My Little Angel #30

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"Komm schon, Helena! Ruf ihn doch an und erzähl ihm alles. Er soll auch Verantwortung für seine Taten übernehmen", meckerte Lene mich enttäuscht an.
"Nein! Wie oft noch? Ich will die Stimme von diesem Mistkerl nicht hören. Warum verstehst du das nicht?!"
Das ging nun schon den ganzen Tag so. Lene, die Begeisterung und ein Dankeschön erwartet hatte, war extrem enttäuscht von meiner Reaktion. Ich war nämlich gar nicht begeistert und noch weniger dankbar. Diesen Namen und diese Person dahinter, ich wollte alles vergessen. Die schmerzvollen Erinnerungen wieder in mein Gedächtnis zu bringen, war gerade das Letzte, was ich wollte.
Vor allem nach seinem Brief war für mich dieses Kapitel komplett abgeschlossen. Ein unvergleichbarer Hass hatte sich in mir gegenüber dieser Person entwickelt. Vorher hätte ich es ihm gerne gesagt. Aber nach dieser Aktion, nach diesen Worten, definitiv nicht mehr. Er sollte weder mir, noch meinem Kind zu nahe kommen. Mein Kind verdient so einen Mistkerl, der zu seiner Freundin abgehauen ist, nicht als Vater.
Da ich Lene vom diesem Brief, den ich übrigens immer noch habe, nie etwas erzählt hatte, konnte sie gerade meine Reaktion auch nicht nachvollziehen. Das erwartete ich von ihr auch nicht. Denn theoretisch hat sie - rein objektiv betrachtet - ja Recht. Ein Vater hat auch das Recht zu wissen, dass er bald ein Kind bekommen wird. Ein Vater ja, aber dieser Mistkerl definitiv nicht.

"Helena, er ist der Vater deines Kindes! Ich weiß, dass er ein Mistkerl ist, aber dennoch muss er es doch wissen. Was willst du später deinem Kind erzählen, wenn es nach dem Vater fragt?! Denk doch mal nach!
Ich sage ja nicht, das du ihm in die Arme springen sollst. Um Gottes Willen! Da würde ich dich eigenhändig umbringen!
Du sollst ihn nur anrufen und von deiner Schwangerschaft erzählen. Mehr nicht! Ich weiß nicht, warum du dich so anstellst dabei. So schlimm ist das ja nicht."
"Lene, bitte ändern wir das Thema. Bitte", seufzte ich und versuchte ruhig zu bleiben.
"Aber Helena..-"
"Gib mir etwas Zeit zum Überlegen. Dann werde ich gucken, ob ich es tue oder nicht. Okay?"
"Na gut. Aber behalte den Zettel und überlege gut. Denk an meine Worte", sagte sie schließlich enttäuscht und verabschiedete sich mit einer Umarmung von mir.
Dank ihr konnte ich heute den ganzen Tag im Unterricht nicht aufpassen. Sie musste mich ja die ganze Zeit voll labern damit.

Den Zettel knüllte ich schnell wieder zusammen und warf ihn in meine Tasche. Ich wollte nicht mehr an diese Nummer und an diese Person denken. Mit diesen Gedanken machte ich mich auf den Heimweg.
Zu Hause angekommen, bemerkte ich, dass ich das ganze Haus für mich alleine hatte. Meine Eltern waren heute den ganzen Tag nicht da.
In der Küche machte ich mir etwas leckeres zum essen. Ich verhungerte, obwohl ich bestimmt erst vor einer Stunde meine letzte Mahlzeit hatte. Vor allem hatte ich auch immer Lust auf Dinge, die ich vor der Schwangerschaft niemals gegessen hätte, wie zum Beispiel Gewürzgurken. Oft nahm ich ein ganzes Glas in mein Zimmer und innerhalb von einer Stunde, war da nichts mehr drin.

Mein Klingelton riss mich aus meinen Gedanken und gerade als ich es aus meiner Tasche kramen wollte, berührte ich stattdessen den Zettel. Ich nahm es aus der Tasche und faltete es langsam auseinander. Es sind doch nur ein paar Zahlen. Warum habe ich dennoch so ein Herzklopfen?!
Ich nahm mein Handy aus der Tasche und sah schon von wem der Anruf kam. Mirco!
Oh nein.
"Hallo?"
"Hey Helena, ich bins Mirco", ertönte seine Stimme erfreut am anderen Ende.
Ach echt? Und ich dachte schon du wärst der Weihnachtsmann!
"Ja, ich weiß."
"Gut..äh...Hast du heute Zeit? Wir könnten ja ins Kino? Na wie wärs?", fragte er mich neugierig.
"Heute habe ich leider keine Zeit. Ich fahre mit meinen Eltern einkaufen für das Baby. Tut mir Leid", log ich und hoffte das es glaubwürdig genug klang.
"Oh schade. Wie wäre es dann mit morgen?"

Gibt er nie auf?!
So Leid es mir auch tut, Mirco. Wir sollten uns eine Weile nicht sehen, denn ich glaube, das du Gefühle entwickelst, die nicht gut sind.

"Morgen bin ich bei Lene. Tut mir Leid. Ich habe es ihr versprochen. Aber wenn ich Zeit habe, kann ich dich ja anrufen?"
"Ja, das wäre toll", hörte ich ihn erfreut am anderen Ende sagen.
Ja, sehr toll.
"Ich muss dann mal auflegen, um mich fertig zu machen. Bis dann!"
"Helena! Warte..-"
"Ja?", fragte ich neugierig.
"Ich..äh...ach egal. Bis dann", und damit legte er auf.
Was war das denn?
Mirco hatte sich in den letzten Monaten echt verändert. Ich konnte ihn kaum wiedererkennen. Zu gerne hätte ich den alten Mirco wieder.

Den restlichen Abend schaute ich langweilige Serien, bis ich dann keine Lust mehr hatte. Ich schaltete den Fernseher aus und schloss die Augen.

"Helena, er ist der Vater deines Kindes!"

" Was willst du später deinem Kind erzählen, wenn es nach dem Vater fragt?! Denk doch mal nach!"

"Du sollst ihn nur anrufen und von deiner Schwangerschaft erzählen. Mehr nicht!"

Lenes Worte gingen nicht aus meinem Kopf. Obwohl ich versuchte nicht an dieses Thema zu denken, meine Gedanken fand ihren Weg immer wieder zurück.
Vielleicht hat Lene ja Recht und ich sollte es ihm zumindestens sagen. So fällt mir dann eine große Last weg.
Seufzend nahm ich den Zettel und lief langsam zum Telefon. Dort tippte ich dann mit zitternder Hand die Nummer ein und wartete. Als das Piepen ertönte, klopfte mein Herz bis zum geht nicht mehr.
Mein Körper zitterte und ich war so nervös. Ich verstand selber nicht mal, was mit mir abging. Mir gings aber echt schlecht!
Was soll ich denn sagen?
'Hallo, ich bins Helena. Du hattest mit mir ja einen One-Night-Stand, weißt du noch? Nun bin ich halt schwanger! Tut mir Leid für die Störung und viel Glück weiterhin mit deiner Freundin?'
Das klingt so dumm und falsch!
Sehr schön, Helena!
Wie konnte ich mich bloß auf sowas einlassen und..-

Plötzlich ertönte am anderen Ende seine Stimme und mein Herz stockte. Alles drehte sich vor Aufregung und mir wurde schlecht.

"Hallo?"

Diese Stimme schaffte es erneut mein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen und das nur mit einem Wort.

My little AngelWhere stories live. Discover now