My Little Angel #20

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"Geht es Ihnen nicht gut?", fragte mich die alte Krankenschwester, die gerade die Spritze vorbereitete. Sie hatte anscheinend meinen schlechten Zustand bemerkt.
"Ich..äh..doch", stotterte ich leise und senkte meine Blicke.

Eigentlich ging es mir gerade richtig schlecht. Das Pochen meines Herzens übertönte die Stille des Raumes. Alles drehte sich vor meinen Augen und meine Hände zitterten wie verrückt.
Wollte ich das wirklich?
Könnte ich wirklich mit meinen Gewissen danach noch leben?

"Bereiten Sie alles vor, ich gehe noch schnell ein paar Unterlagen holen. Wir haben ja noch ein paar Minuten", sagte die Ärztin zu der alten Krankenschwester und verließ den Raum. Die Krankenschwester jedoch richtete ihre Blicke auf mich.
"Sind Sie sicher das es Ihnen auch wirklich gut geht? Sie sehen so blass aus. Haben Sie eventuell noch irgendwelche Fragen, bevor wir gleich beginnen?"
"Ja..Das Baby..Wird das Baby etwas spüren?" Bei der Frage schluckte ich ängstlich und versuchte meine Tränen zu unterdrücken.
Die alte Krankenschwester, die die Spritze in ihrer Hand hielt, zog einen Stuhl neben mich und setzte sich zu mir.
"Das klingt jetzt hart, aber indirekt schon. Das Kind wird, um jetzt halt wirklich bei der Wahrheit zu bleiben, am Ende auf grausame Weise getötet, Liebes. Und da es ein Lebewesen ist, spürt es natürlich alles", seufzte sie traurig.
Meine Augen weiteten sich und die Tränen, die ich mit voller Kraft versucht hatte zu unterdrücken, fanden nun ihren Weg über meine Wangen.
Die Krankenschwester, die meinen schlechten Zustand sah, legte ihre Hand auf meine.
"Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, aber wollen Sie das wirklich tun?", fragte sie mich ernst und erntete darauf komische Blicke von ihren jüngeren Kolleginnen.
"Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht", schluchzte ich leise und richtete meine Blicke auf den Boden. Ich versuchte krampfhaft nicht gleich einen Heulanfall zu bekommen.

"Ich weiß, wie Sie sich gerade fühlen. Ich tu es wirklich, denn ich habe..", sie seufzte und suchte nach den richtigen Worten. "..Ich habe diesen Fehler vor vielen Jahren auch getan.." Eine Träne kullerte über ihre Wange und ihre Stimme zitterte.
Mit großen Augen schaute ich sie neugierig an.
"Damals war ich auch noch sehr jung. Ich hatte gerade erst mit meiner Ausbildung begonnen. Die Ausbildungsstelle hatte ich sehr schwer ergattert und es war eine einmalige Chance. Genau zu dieser Zeit wurde ich dann ungewollt schwanger. Ich war verzweifelt und wusste nicht, wie ich handeln sollte! Mein Mann und meine Eltern waren für eine Abtreibung, aber ich wollte es nicht. I..Ich konnte es einfach nicht! Naja, aber ich wollte auch nicht meine Stelle und meinen Mann verlieren! Ich war halt noch viel zu jung und naiv. Die Liebe hatte mich blind gemacht. Ich konnte nicht mehr klar denken und schließlich wurde ich dann aus Verzweiflung irgendwann umgestimmt. I..Ich habe abgetrieben. Ich habe mein Baby getötet.."
Bei ihrem letzten Satz senkte sie ihre Blicke.
"..Danach habe ich es so bereut! Egal was ich auch getan habe, immer war mein schlechtes Gewissen da. I..Ich habe ständig Babyschreie gehört und war jahrelang in Therapie. Naja, selbst heute bin ich noch nicht völlig darüber hinweg. Denn sowas vergisst man niemals! Dieser Schmerz und das schlechte Gewissen wird einen immer begleiten. Schauen Sie mich an. Ich habe jetzt meinen Beruf, den ich so gerne haben wollte damals, doch glücklich bin ich definitiv nicht. Nichts auf dieser Welt wird den Schmerz in meinem Inneren dämpfen. Nichts wird mir helfen können."
Sie wischte sich ihre Tränen weg und richtete ihre Blicke auf mich. In ihren Augen sah ich ihre große Trauer.
"Deswegen will ich eigentlich nicht, dass Sie den selben Fehler machen. Sie haben mich an mein jüngeres Ich damals erinnert. Deshalb habe ich Ihnen das alles erzählt", gab sie ernst von sich und drückte liebevoll meine Hand.

Ihre Worte hatten mich echt berührt. Es fühlte sich gerade alles extrem falsch an. Meine zitternde Hand wanderte über meinen flachen Bauch.
Die Krankenschwester lächelte schwach.
"Es wird immer besser. Glauben Sie mir! Egal wie hoffnungslos die Situation bei Ihnen gerade auch sein mag, alles nimmt irgendwann ein Ende und dann kann es nur besser werden."
Ich schaute hoch und lächelte. Doch bevor ich etwas sagen konnte, kam der komische Arzt in den Raum.

"Sie haben immer noch keine Narkose bekommen?!", fragte er mich geschockt und schaute die Krankenschwestern, die versuchten die Sache von eben nicht anmerken zu lassen, vorwurfsvoll an.
"Ich mache das schon", seufzte er genervt und riss der Krankenschwester die Spritze aus der Hand.
"So Miss Dorn, strecken Sie mal Ihren Arm aus!"
"N..Nein, ich..-", stotterte ich ängstlich, doch er ließ mich nicht aussprechen. "Keine Sorge! Das geht ganz schnell und wird auch nicht weh tun!"
Bevor ich erwidern konnte, griff er schon nach meinem Arm.

My little AngelWhere stories live. Discover now