"Der Club zerreißt Familien"

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Es war ein Dienstagnachmittag und zu meinem großen Erstaunen hatte Dad das erste Mal seit Ewigkeiten Zeit, um mit mir gemeinsam außerhalb der Werkstatt etwas zu unternehmen. Wenn wir uns sahen, dann meist spät abends zu Hause, zufällig am Tag bei uns im Haus oder wenn ich in der Werkstatt half. Jedes Mal hatte unser Aufeinandertreffen mit Arbeit, Stress oder dem Club zu tun. Es gab kaum noch Zeit um normale Gespräche zu führen. Wir hatten beschlossen gemeinsam in einem Diner essen zu gehen, weswegen er mich von Zuhause mit einem der Autos von der Werkstatt abgeholt hatte. Nun saß ich in dem Diner auf der Retro Sitzbank und stützte mich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab. Immer wieder schlürfte ich an meinem Strohhalm, um mein Milchshake zu trinken. Mir gegenüber saß Dad. Er sah aus dem Fenster. Sein markantes Gesicht, der blonde Bart und die blonden, längeren Haare auf dem Kopf.

„Wie läuft's mit Ryan?", durchbrach er die angenehme Stille.

„Es geht. Die üblichen kleinen Streitigkeiten, aber eigentlich nie was richtig schlimmes", erwiderte ich schulterzuckend.

„Er boxt noch immer, oder?", wollte Dad wissen. Ich nickte.

„Ja, er kann damit einfach nicht aufhören, auch wenn er sich die Hände irgendwann brechen wird", gab ich kopfschüttelnd von mir. Dad musste leicht grinsen.

„Jungs halt", kommentierte er frech.

„Was denkst du über ihn?", fragte ich nun, weil es mich wirklich interessierte. Dad seufzte hörbar und schien nachzudenken.

„Ich weiß nicht. Du bist mein jüngstes Kind und dazu noch meine Tochter und eigentlich ist es dann ja typisch, dass man besonders vorsichtig ist und genauestens darauf achtet, mit wem sie sich umgibt, aber so wie ich Ryan bis jetzt kennengelernt hab, hab ich ein gutes Gefühl bei ihm. Ich kenne ihn ja nur von den paar Malen, wenn er dich von der Werkstatt abgeholt hat oder wenn er bei den großen Festen mit beim MC war. Er wirkt so, als könnte er dich schützen", meinte er

„Ja, er ist ein guter Freund. Gewisse zwischenmenschliche Spannungen gehören scheinbar zu meinem Leben", entgegnete ich schulterzuckend. Dad lachte heiser auf.

„Bei deinem Bruder und dir weiß ich auch nicht, was ich falsch gemacht hab", erwiderte er kopfschüttelnd.

„Du glaube ich gar nichts. Es kam einfach so und sein Freundschaftskreis hat viel Einwirkung gehabt", versicherte ich ihm. Dad nickte und sah aus dem Fenster. Wieder schwiegen wir einige Zeit.

„Wie sieht's aus, kommst du mit zur Ausfahrt?", wollte er wissen und seine Blicke lagen auf mir. Ich ließ von meinem Getränk ab und sah ihn mit großen Augen an. Die Ausfahrt war das große Event vom Club aus. Einige Tage lang raus aus Ontario und LA, an einen Ort wo wir alle zusammen Leben, grillen und stressfrei ein paar Tage gemeinsam Zeit verbringen. Die Ausfahrt ist dafür, um wieder Ruhe in den Club zu bringen.

„Darf ich?", entgegnete ich mit einem breiten Lächeln auf meinen Lippen. Dad nickte minimal und atmete hörbar ein.

„Du und Damian, ihr sollt beide mitkommen", erwiderte er und lehnte sich gegen die Rückenlehne der Sitzbank. Ich nahm wieder einen Schluck von meinem Milchshake.

„Clubangelegenheit?", hinterfragte ich deutlich leiser als zuvor. Wieder ein minimales Nicken von meinem Vater.

„Warum Dad?", wollte ich nun heiser wissen. Als Antwort bekam ich nur ein minimales Kopfschütteln von ihm.

„Das wirst du bald verstehen", gab er stattdessen von sich.

„Das sagst du immer", widersprach ich vorwurfsvoll. Dad seufzte und lehnte sich nach vorne. Eine Zeit lang sah er mir in die Augen.

„Hör zu", begann er schlussendlich, „wir werden mit fast dem ganzen Club zusammen fahren. Du und Damian werden mitkommen und auch die meisten Kinder und Frauen von den anderen Members. Wir fahren weg von hier für ein paar Tage."

„Was ist mit Mom?", wollte ich wissen.

„Sie wird hierbleiben", entgegnete er

„Aber wieso?", erwiderte ich erneut.

„Eure Mom muss momentan eine schwierige Entscheidung treffen. Da soll sie ein wenig Zeit für sich haben sich zu entscheiden", erklärte er. In mir kamen einige Erinnerungen wieder hoch, welche mich an die Zeit vor ein paar Jahren erinnerten, in welcher Mom und Dad oft stritten. Ich war mir sicher, dass es sich auch jetzt um dasselbe Thema hielt.

„Ihr Job oder du?", fragte ich leise. Dad sah mich eine Zeitlang an, sah dann wieder nach draußen und nickte erneut.

„Ja, genau wie damals", entgegnete er nur. Ich sah auf meinen Milchshake und dachte darüber nach, wie Mom sich entscheiden würde.

„Und?", hinterfragte ich nach einiger Zeit des Schweigens. Dad lehnte sich wieder nach hinten und sah mich ernst an. Dann zuckte er mit den Schultern.

„Ich hab nicht den geringsten Schimmer", antwortete er nur schulterzuckend. Wenn Mom und Dad sich trennen würden, zu wem würde ich dann ziehen? Zu Mom, die Frau die ihren gesamten Alltag für ihren Job opferte und deswegen kaum Zeit für den Haushalt, geschweige denn für Damian, mich oder Buddy hatte? Oder doch zu Dad, der sein Leben nach dem Club richtet, quasi in der Werkstatt lebt, mit den anderen Members auf den Highways unterwegs war und ständig mit dem Gesetz Probleme bekam? Ich wusste es ehrlich gesagt nicht. Alles was ich wusste war, dass Mom und Dad so nicht weiterleben konnten. Mom hatte einen seriösen Job und Dad war mehr oder weniger ein Verbrecher. So oft wie er schon im Knast saß, konnte man ihn eigentlich als Verbrecher bezeichnen.

„Sie liebt dich", meinte ich nur in die Leere. Dad sah mich distanziert an und schüttelte in Gedanken den Kopf.

„Sie wollte nie von einer anderen Person finanziell abhängig sein", widersprach er. Ich konnte darauf nichts sagen, denn er hatte Recht.

„Der Club zerreißt Familien. Das war schon immer so", gab Dad seufzend von sich. Er musste es wissen. Er war in den Club geboren worden, genau wie Damian und ich.

„Angenommen es würde so weit kommen", begann ich und hatte augenblicklich Dads Aufmerksamkeit, „ich würde bei dir bleiben. Damian auch" Fast ein wenig erleichtert ausatmend sah er mich an und lächelte schief.

„So ist es, wenn man in den Club rein geboren wurde", meinte ich nur grinsend.

„Mitgehangen, mitgefangen", erwiderte Dad. Ich sah ebenfalls aus dem Fenster und dann kam mir plötzlich ein Einfall. Ich sah meinen Vater an und er widmete seiner Aufmerksamkeit mir.

„Das Thema mit ihrem Job und dir gab es schon immer", begann ich.

„Ja", erwiderte Dad nur. Ich kaute nachdenklich auf meiner Unterlippe, und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen, warum Dad meine Mutter vor die Entscheidung stellte.

„Sie wollen dich als Präsidenten", meinte ich

O U T L A WWhere stories live. Discover now