"Eleanor hat ihren Platz in der Welt gefunden"

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„Eleanor, ich hab ne Aufgabe für dich", rief Dad mir über den Werkstattlärm zu. Fragend sah ich ihn an, ließ von den Bremsen des Chevrolets ab und ging zu ihm.

„Evan hat versucht die rostige Schraube aus den Karoserieteilen zu bekommen, damit die beiden getrennt voneinander geschliffen werden können", begann er und kratzte sich am Hinterkopf

„Die Schraube ist abgebrochen und das Gewinde steckt noch in der Karoserie. Dir fällt schon irgendwas Gescheites ein, damit wir die daraus bekommen", meinte er und ließ mich mit dem Problem allein. In den Regalen mit den Kleinteilen suchte ich eine passende Mutter und besorgte mir ein Schweißgerät, damit ich die Mutter, an das Gewinde schweißen konnte. Mit ein wenig Hämmern und Luftdruck brachte ich die Schraube endlich dazu, dass sie sich dem Schraubenschlüssel fügte und aus den Karosierteilen drehen ließ.

„Sollen die Sachen jetzt zu Lance?", wollte ich von meinem Vater wissen

„Ja bitte", erwiderte er nur gestresst. Gemeinsam mit Ty und Tyler verfrachtete ich die unhandlichen Blechteile auf die Ladefläche des Werkstat-Pick Ups und George fuhr sie in die Halle auf der anderen Seite des Geländes. Wir waren einfach viel zu faul, um die dort hinzutragen.

Auf einmal rollte ein Dodge Ram auf das Werkstattgelände und ich sah verwundert in die Richtung. Es war kein Auto der Größe für heute angekündigt und aus der Gewohnheit erkannte ich, dass es auch kein Kunde war.

„Dad?", rief ich skeptisch durch die Werkstatt. Mein Vater ließ von dem Auto ab und legte den Schraubenschlüssel beiseite. Mit gerunzelter Stirn kam er zu mir und als er das Auto erblickte, wie es versuchte irgendwie eine Lücke auf dem vollen Werkstattgelände zu finden, spannte er sich an.

„Wo ist Damian?", wollte er nur wissen

„Er ist mit Jayden und dem Abschlepper los. Die holen ein Auto vom Highway", erwiderte ich.

„Eure Entscheidung wie ihr euch verhaltet, aber in dem Auto sitzt eure Mutter", meinte er nur und ging auf den Dodge Ram zu. Meine Mutter. Ich hatte sie seit der Trennung meiner Eltern nicht mehr gesehen. Das war jetzt vier Jahre her. Was ich davon hielt, dass sie jetzt hier war? Nichts. Sie hatte sich nie bei uns gemeldet, nachdem sie Ontario verließ und auch die zwei Wochen in San Francisco mit Marc nach meiner Haftstrafe spiegelten ihre Art wieder. Sie war nur bei der Arbeit gewesen und hatte nie Zeit für mich. Wir hatten in der Zeit so gut wie gar nicht geredet.

Aus dem Schatten des Autos kam eine schlanke große Frau mit langen Beinen. Ihre Haare hatte sie wie immer blond gefärbt und an den Füßen trug sie hohe Stöckelschuhe. Ein wenig unbeholfen tippelte sie über den, teilweise aufgeplatzten Asphalt des Werkstatthofes und ging geradewegs auf meinen Vater zu. Sie trug eine hautenge Jeans, eine weiße Bluse und einen Blazer. Über ihrem Arm hing eine kleine Handtasche.

„Komm mit rein. Reicht schon, dass du mit deinem Auto für Aufsehen gesorgt hast", richtete mein Vater distanziert an sie und ging vor ins Clubhaus. Mom folgte ihm zügigen Schrittes und rümpfte ihre Nase, als sie einen kurzen Blick in die Werkstatt warf. Ich konnte die Sorge meines Vaters verstehen, schließlich standen wir unter ständiger Beobachtung aufgrund der ausstehenden Deals.

Ich kümmerte mich darum, dass der Chevrolet fertig wurde und fuhr ihn dann aus der Werkstatt, damit das nächste Auto rein konnte.

„Habt ihr noch etwas zu tun?", wollte ich von Owen wissen. Er schüttelte den Kopf.

„Im Clubhaus müssen noch ein paar Sachen erledigt werden", meinte er nur. Da ich eh nichts Besseres zu tun hatte, beschloss ich, mich darum zu kümmern und ging durchs Büro ins Clubhaus. Mom und Dad saßen an einem Tisch sich gegenüber. Dad lehnte sich distanziert gegen die Rückenlehne seines Stuhls, und sah auf die Tischplatte, währenddessen Mom kerzengerade ihm gegenüber saß, die Beine überschlagen hatte und sich mit den Unterarmen auf dem Tisch auflehnte. Die beiden unterschieden sich nicht nur in der Körperhaltung wie Tag und Nacht. Ich trat hinter die Theke und erblickte das Chaos, welches wohl von gestern noch stehen geblieben war. Scheinbar hatte ich die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt, da Mom aufgehört hatte ihren Monolog zu halten und jetzt in meine Richtung sah.

„Eleanor. Schön dich zu sehen. Man bist du erwachsen geworden", plapperte sie wieder los. Ich sah kurz von den dreckigen Gläsern hoch und nickte. Bei jeder Bewegung spürte ich die Waffe im Rücken drücken und beschloss sie abzunehmen, da sie mich beim Arbeiten echt einschränkte. Wie gewohnt griff ich hinter meinen Rücken zur Waffe, nahm sie unter meinen Klamotten hervor und legte sie vor mich auf den Tresen. Dann machte ich mich daran Wasser in die Spüle zu lassen und die Gläser auf einen Haufen zu stellen.

„Charles!", hörte ich Mom auf einmal entsetzt nach Luft keuchen, „Charles, seit wann trägt unsere Tochter eine Waffe bei sich!" Dad sah von der Tischplatte auf und warf einen Blick zu mir rüber.

„Eine Zeitlang", erwiderte er schulterzuckend.

„Ich habe die Kinder bei dir gelassen, in der Hoffnung du würdest etwas Gutes aus ihnen machen. Stattdessen hast du sie zu dem erzogen, was du selbst bist! Wie kannst du nur? Nimm Eleanor die Waffe wieder ab. Was ist, wenn sie die falsch einsetzt? Was ist, wenn sie deswegen in Schwierigkeiten gerät?", kam es aufgebracht von meiner Mutter. Dad sah sie an und lächelte minimal

„Mach dir keine Sorgen Grace, deine Tochter ist jetzt ein Rebel Rider", erwiderte er nur

„Ich soll mir keine Sorgen machen?! Was hast du aus meiner Tochter gemacht? Wo ist das kleine liebe Geschöpf hin, welches sie vor vier Jahren war? Wo ist ihre Unschuld? Wo sind ihre treuen Augen? Was hast du gemacht, Charles?", warf meine Mutter meinem Vater aufgebracht vor. Er sah nur zu mir rüber, wie ich dabei war die Gläser abzuwaschen und zuckte minimal mit den Schultern.

„Sie ist der Beweis, dass du durch die Hölle gehen und immer noch ein Engel sein kannst", entgegnete Dad. Ich musste lächeln auf seine Aussage hin. Ich wusste es sehr zu schätzen.

„Charles. Das will ich nicht hören. Was hast du mit unserer Tochter angerichtet? Sie ist doch nicht mehr dieselbe? Schau sie dir an. Die eiserne Miene. Keinerlei Emotionen. Ihre Augen wirken wie tot. Was hat sie da über der Augenbraue? Das ist eine Narbe. Hast du sie zu einer Schlägerin großgezogen? Oder wurde sie geschlagen?", dibberte Mom weiter vor sich hin. Dad rollte die Augen und sah mich an

„Grace. Alles ist in Ordnung. Eleanor hat ihren Platz in der Welt gefunden und du kannst mir glauben, dass wirklich jedes einzelne Member für ihr wohl sorgt.", versicherte mein Vater

„Wir wissen beide, dass sie nicht ansatzweise so viel zu sagen hat im Club, wie zum Beispiel Damian oder du. Frauen haben doch nie etwas mitbekommen, geschweige denn mitentschieden im MC. Was macht sie denn den ganzen Tag hier? An Autos schrauben und Geschirr abwaschen?", fragte Mom prüfend nach und sah ihren Ex-Mann abwartend an.

„Jedes einzelne Member hat großen Respekt vor Eleanor. Sie ist zwar noch jung, aber hat viel durchmachen müssen. Es ist viel passiert, was sie als Mensch beschädigt hat", meinte er daraufhin

„Und was hat das bitte damit zu tun?", hakte sie skeptisch nach

„Beschädigte Menschen sind gefährlich. Sie wissen, wie sie die Hölle wie Zuhause sich anfühlen lassen können.", erklärte Dad mit ruhiger Stimme. Mom schüttelte entgeistert den Kopf und sah mich mit großen Augen an

„Was haben sie mit dir getan?", hauchte sie fast tonlos

„Mom, ich bin nicht das Kind aus deinen Erinnerungen", gab ich schulterzuckend von mir.

„Eleanor, du brauchst eine Familie. Du bist 21 und stehst hier ganz alleine. Du brauchst Sicherung in deinem Leben. Du musst dir ein eigenes Leben, eine eigene Familie aufbauen. Unabhängig werden. Ich, als deine Mutter, will dich nicht untergehen sehen", flehte meine Mutter mich halbwegs an, doch ich schüttelte nur minimal den Kopf

„Familie ist nicht, mit wem du geboren wurdest. Familie ist, für wen du stirbst. Sieh dich um", meinte ich und zeigte um mich, „diese vier Wände sind mein Zuhause und sie beherbergen meine Familie. Ich habe mir dieses Leben ausgesucht, weil ich es liebe, auch wenn mein Verstand schon oft gesagt hat, dass es wohl besser wäre zu gehen", erwiderte ich

O U T L A WWhere stories live. Discover now