"Ich darf schlicht-weg nicht verlieren"

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Heute war einer von Ryans Kämpfen gewesen. Ich hasste seine Kämpfe und ich hasste es, ihn kämpfen zu sehen. Ja, er war gut. Ja, es war seine Leidenschaft. Und ja, ich war seine Freundin. Doch dennoch ging ich ungern mit in den Boxclub. Es lag nicht an der Sportart. Nein, ich trainierte sogar manchmal gemeinsam mit Ryan am Boxsack oder machte Kickboxen mit ihm. Es waren die öffentlichen Kämpfe, die ich hasste. Die Kämpfe, in denen mein Freund im überfüllten Boxclub im Ring stand und ernsthaft einen Gegner quasi verprügelte. Die Kämpfe in denen darauf gewettet wurde, wer gewinnen würde. Ich stand bei diesen Kämpfen immer am Rand des Boxclubs und sah von weiter weg zu. Er meinte zwar jedes Mal, ich könnte mich mit an den Ring zu seinem Trainer stellen und von da aus zu gucken, schließlich wäre ich ja ein besonderer Zuschauer, aber ich verzichtete freiwillig auf diese Extra-Wurst. Ich musste mir nicht ansehen, wie sein Gesicht demoliert wurde, mir reichte der Anblick nach dem Kampf.

Wir hatten am späten Abend den Boxclub verlassen, nachdem Ryans Augenbraue wieder zusammengeflickt worden und er duschen war. Da seine Hände diesmal ziemlich gelitten hatten, musste ich sein dunkel grünes Auto nach Hause fahren, währenddessen er seine Hände mit Eisbeuteln kühlte. Da sein Vater, welcher momentan mit Ryan in dem ehemaligen Familienhaus lebte, nicht Zuhause war, und wir keine Lust auf die Streitigkeiten meiner Eltern hatten, beschlossen wir heute bei ihm zu schlafen und uns einen entspannten Fernsehabend zu machen. Wegen dem ganzen Stress in der Werkstatt, der gewissen Unruhe im Club und der ganzen Hausarbeit Zuhause, hatte ich in letzter Zeit kaum die Möglichkeit meinen Freund zu sehen.

Weil Ryan seine Boxsachen noch auspacken musste, bot ich mich an etwas zu Abendessen zu kochen. Ich kramte die zwei Kochtöpfe aus dem Küchenschrank, füllte Wasser in den Wasserkocher und nahm zwei Teller aus dem Schrank. Als ich sie auf den Küchentisch stellen wollte, sah ich etwas, was in mir die Wut zum Kochen brachte.

„Ryan", schrie ich wütend, als ich das kleine leere Tütchen auf dem Küchentisch erblickte. Ich hörte wie er die Treppe runter kam.

„Was?!", entgegnete er genervt und kam in die Küche.

„Was soll das?!", platzte ich wütend raus und zeigte auf das Tütchen.

„Kann dir doch egal sein", blaffte er mich an. In mir kochte es vor Wut. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und holte aus. Bäm! Ich feuerte ihm eine.

„Sag mal spinnst du?!", kam es aggressiv von ihm und er packte mich an dem Oberarmen. Ich spürte seine geballte Wut in seiner Kraft. Wütend sah ich ihm geradewegs in die Augen.

„Lass. Mich. Los", hauchte ich ihm bedrohlich ins Ohr. Der Griff um meine Arme wurde lockerer und er schubste mich grob nach hinten.

„Halt dich da doch einfach raus!", pöbelte Ryan mich an.

„Ach?! Ich soll mich raushalten, wenn du dich voll dröhnst, besäufst und dein Leben in den Abgrund steuerst?", konterte ich wütend.

„Es ist mein Leben", erwiderte er. Augenrollend drehte ich mich von ihm weg.

„Ryan, du verstehst es nicht?", gab ich seufzend von mir und sah ihn, mit verschränkten Armen vor der Brust an.

„Was?!", wollte er wissen. Kopfschüttelnd mit Tränen in den Augen sah ich ihn an.

„Ich liebe dich. Dein Leben interessiert mich. Du bist Teil meines Lebens und ich teil deines. Ich mach mir Sorgen um dich. Du bist mein Freund", meinte ich. Ryan lehnte sich gegen die Küchentheke und sah seufzend auf den Boden.

„Elo, ich bin abhängig. Ich bin süchtig. Ein Drogenabhängiger", gab Ryan kleinlaut von sich und sah mich verletzlich an.

„Was muss passieren, damit du merkst, dass das hier auf der Kippe steht?", erwiderte ich. Ryan hielt sich seine eine Hand vors Gesicht und schüttelte den Kopf. Ich atmete tief ein und ging auf ihn zu. Ich schlang meine Arme um seinen Bauch.

„Verstehe mich doch mal. Meine ach-so-tollen-Eltern interessiert es einen Scheißdreck was mit mir ist. Denen geht es doch momentan nur um ihre Scheidung. Wer bekommt das Haus? Wer bekommt die Autos? Wer bekommt das Apartment in San Francisco? Wer bekommt den Hund? Wer bekommt wie viel von dem gemeinsamen Konto? Sie streiten sich um alles vor dem Richter, aber ich bin ihnen scheißegal. Es interessiert sie nicht, ob ich zur Schule gehe oder nicht. Es interessiert sie nicht, was für Noten ich schreibe. Und wenn sie dann mal da sind, dann meckern sie mich an, dass ich nicht einkaufen war, dass ich dies nicht getan habe und dass ich jenes nicht getan habe. Ich bin der Fußabtreter für deren schlechte Laune und Schuld an allem. Ich versuche es jedem Recht zu machen und werde wie scheiße behandelt. Ich liebe das Boxen über alles, aber sie erwarten von mir nur gewonnene Kämpfe. Ich darf schlicht weg nicht verlieren. Ich muss Gewinne ins Haus holen. Von überall kommt Druck und das eine, was ich als Zuflucht ansehe, wird auch zur Hölle. Ich bin kaputt, darum nehme ich das Zeug, um zu überleben. Das ist meine Zuflucht. Eleanor, du bist die Einzige, die mein wahres Ich kennt. Nicht mal meine Familie kennt mich so, wie du mich", gab er zögernd von sich. Ich nickte und starrte gegen die Wand.

„Ich weiß", entgegnete ich murmelnd.

„Ich bin so unfassbar süchtig", gab er nuschelnd von sich.

„Ich werde dich nicht verlassen", gab ich leise zu, „dafür weißt du zu viel über mich". Auf Ryans Gesicht bildete sich ein kleines Lächeln.

„In meiner Gegenwart ist es wie hinter den geschlossenen Türen im Club. Jeder kann sein wahres Gesicht zeigen. Jeder darf weinen und mal schwach sein. Dafür sind wir füreinander da. Wenn du dieses Haus verlässt bist du der starke, gefürchtete und undurchschaubare Ryan, wie man es von dir erwartet, aber mir gegenüber bist du, du selbst", meinte ich

O U T L A WTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon