"Ein Leben im Chaos"

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Ich saß in kurzer Hose, Sweatshirt und Badelatschen auf der hölzernen Picknickbank vor der Werkstatt und sah zu, wie die Sonne langsam hinter Ontarios Gebäuden verschwand. Auf dem Tisch standen zwei Flaschen Bier. Eine leere und eine halb angetrunkene. Daneben mein Feuerzeug und eine Schachtel Zigaretten. Stumm setzte ich die Flasche Bier an, nahm einen kleinen Schluck und stellte sie wieder auf dem Tisch ab. Bedacht langsam ließ ich das eiskalte Getränk den Rachen hinunterlaufen und spürte, wie sich die Kälte der Flüssigkeit in meiner Magengegend breit machte. Aus dem Clubhaus kamen vertraute Geräusche. Eine Mischung aus munteren Gesprächen, Country Musik und klapperndem Glas, welches durch Anstoßen mit Bierflaschen entstand. Gelegentlich hörte man ein lautes Lachen oder ein Aufbellen von einem der Hunde. Es war wie gesagt eine sehr vertraute Atmosphäre. Ich hörte wie mit einem leisen Quietschen die Metalltür zum Büro der Werkstatt aufging und kurz darauf mit einem Knall ins Schloss fiel. Niner, welcher neben mir lag, hob fragend den Kopf, doch ich sah einfach stur weiter den rosa-orangen Himmel über meiner Heimatstadt an. Langsam kamen Schritten näher auf mich zu und jemand stellte seine Bierflasche auf dem Tisch ab. Ich warf kurz einen Blick über meine Schulter, und erblickte meinen Vater, wie er sich zu mir setzte.

„Hast du mal ne Zigarette?", fragte er distanziert.

„Nimm dir", entgegnete ich nur. Daraufhin folgte ein längeres Schweigen, welches ich brach, nachdem die Sonne hinter der Wellblechhalle verschwunden war.

„Warum sitzt du hier und nicht bei den Members?", wollte ich wissen. Dad sah mich nachdenklich an.

„Warum tust du es?", entgegnete er nur. Ich brach den Blickkontakt ab und sah auf Niner.

„Ich habe irgendwie den Glauben in den Club verloren", erwiderte ich leise.

„Inwiefern?", hakte Dad nach und blies eine Rauchwolke aus. Ich schüttelte nachdenklich den Kopf.

„Warum müssen so viele Brüder sterben, damit wir als Club zusammenleben können?", stellte ich als Gegenfrage. Dad spannte seinen Kiefer an, sah auf das Werkstattgebäude und nahm einen Schluck Bier.

„Dieser Club ist vor langer Zeit vom Weg abgekommen und ich gebe alles, um ihn wieder auf die richtige Bahn zubringen, doch reite alles immer tiefer in die Scheiße", gab er unschlüssig von sich.

„Was bedeutet dir der MC überhaupt? Ist er für dich Geldquelle oder Familie?", wollte ich gefrustet von ihm wissen. Das kaute auf seiner Unterlippe rum und sah mich an.

„Liebe. Der Club bedeutet mir eigentlich Liebe. Ein Zusammenschluss von Männern zu einer Bruderschaft. Aber alles was ich in den letzten Monaten spüre ist Hass. Abgrundtiefer Hass gegen jeden, der uns Schaden will", erwiderte er und lachte gegen Ende hin auf.

„Du kannst alles verdrängen. Warum erlaubst du dann ein so unnötiges Gefühl wie Hass?", fragte ich skeptisch nach.

„Es ist schwer nicht zu hassen. Menschen, Sachen, Umstände. Wenn sie deinen Geist brechen und dir beim Ausbluten zugucken, dann ist Hass das einzige Gefühl das Sinn macht. Aber ich weiß was Hass mit einem Mann macht. Es spaltet ihn ab, verändert ihn zu etwas was er nie sein wollte. Wenn ich mir meinen Tag angucke, besteht er nur daraus illegale Deals über den Tisch zubringen ohne das Cops davon mitbekommen und Menschen zu vernichten, die uns vernichten wollen. In diesem Leben hat man auf Dauer keine Zukunft.

Ich habe meinen besten Freund vor einer Woche begraben. So klischeehaft es klingt, ich habe einen Teil von mir in der Box gelassen. Ein Teil den ich gut kannte, einen Teil den ich nie wieder sehen werde.", kam es heiser von ihm. Ich nickte minimal.

„Es kommt mir so bekannt vor von Ryan. Und Judy hat es bei Tacca mitgemacht. Das passiert jedem, der jemanden verliert, den er liebte", entgegnete ich leise. Dad nickte minimal.

O U T L A WWhere stories live. Discover now