Wäre er deine große Liebe gewesen, wäre er nicht gestorben

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An einem Donnerstagabend hatte der Club über Taccas weiteres Leben abgestimmt. Am Freitagmorgen fuhr Judy mit der, von ihr, unterschriebenen Patientenverfügung ins Krankenhaus und reichte sie ein. Am späten Freitagabend trafen die Members im Krankenhaus ein. Zusammen saßen sie im Wartebereich. Die Köpfe gegen die Wände hinter sich gelehnt, in den Handflächen abgestützt und runterhängend. Durch die Glasscheibe konnte man Judy am Bett ihres Onkels sitzend sehen. Seine Hand haltend und weinend. Die Ärzte gaben ihm ein stark dosiertes Beruhigungsmittel, dann ein Betäubungsmittel, ähnlich einer Narkose. Als man sich sicher war, das Tacca uns nicht mehr wahrnahm, schaltete ein Arzt die Geräte aus. Die Members standen vor der Glasscheibe, sahen ihren ehemaligen Präsidenten an und schwiegen. Sie standen einfach nur da, sahen auf den Brustkorb, welcher sich flach hob und senkte. Dad stand direkt vor der Scheibe, wirkte wie gefesselt. Er bekam scheinbar gar nicht mit, dass die anderen Members sich alle nach und nach von Tacca entfernten und zurückgingen, zum Wartebereich. Dad stand einfach nur mit fokussiertem Blick nach vorne da.

„Als Biker geboren, als Biker großgezogen, als Biker gestorben. Gut gemacht, Tacca", murmelte er leise vor sich hin und sah zu, wie der Brustkorb starr in einer Position verharrte und sich nicht erneut hob. Hinter der Glasscheibe sah man Judy zusammenbrechen. Sie weinte fürchterlich und lehnte ihren Kopf auf der Bettkante ab. Sie schluchzte lautstark. Dad presste die Lippen aufeinander und schüttelte in Gedanken den Kopf. Seufzend legte er eine Hand auf meine Schulter und schob mich weg von den beiden. Wir ließen Judy und den leblosen Tacca alleine zurück und gingen zu den anderen Members. Als sie uns bemerkten, standen sie auf.

„Einer bleibt hier und nimmt Judy mit nach Hause", meinte Dad. Ty hob seine Hand. Dad nickte leicht. Wir verließen das Krankenhaus und auf der Harley von Dad fuhr ich mit zum Clubhaus. Es tat weh, Tacca einfach so zurück zulassen, auch wenn wir schon lange vermutet hatten, dass er es nicht schaffen würde. Es ließ all die Sachen mit Ryan wieder hochkommen.

An der Werkstatt angekommen parkten die Männer ihre Harleys und verschwanden dann im Clubhaus. Ich blieb auf dem Innenhof stehen und sah hoch zum sternenklaren Himmel.

„Denkst du noch an ihn?", fragte Dad und sah mich an. Ich atmete tief ein und kramte nach einer Schachtel Zigaretten in meiner Jackentasche. Ich nickte.

„Jeden Tag", gab ich leise von mir und zündete mir meine Zigarette an.

„Du musst langsam vergessen, ansonsten wird es dir nie besser gehen", merkte er vorsichtig an. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich will es nicht vergessen, ich möchte mich einfach nur erinnern und damit keine Probleme haben", wiedersprach ich.

„Trauer ist der Preis, den wir bezahlen für Liebe", seufzte Dad leise. Ich nickte.

„Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit gehabt", murmelte ich leise und nahm einen Zug an der Zigarette.

„Sein Tod hat viel mit dir gemacht", meinte er auf einmal mit fester Stimme. Ich sah hoch zu dem blondhaarigen Mann, mit den schulterlangen Haaren, welche hinter seine Ohren geklemmt waren, und dem Bart.

„Es fühlt sich so an, als hätte sich mein ganzes Leben dadurch geändert", gab ich flüsternd von mir. Dad nickte.

„So ist es auch, aber das ist Leben. Das Leben ist Veränderungen", stimmte Dad mir zu.

„Du hast viele durch den MC verloren, oder?", fragte ich vorsichtig nach. Stumm blies er eine Rauchwolke aus und nickte.

„Ja, das kann man so sagen", murmelte er und setzte sich auf die Bank, welche unter der Überdachung neben der Stahltür zum Büro war. Mit einer Geste zeigte er mir, dass ich mich neben ihn setzen sollte. Abwartend sah ich ihn an.

O U T L A WWhere stories live. Discover now