„Was ist deine Mission?"

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Ich war zurück zur Schule gegangen. Nach langem hin und her, etlichen Diskussionen und einem krachendem Streit zwischen Dad und mir, hatte ich meinen Fuß zwei Wochen nach Ryans Tod wieder in das Schulgebäude gewagt. Ich spürte all die Blicke, hörte das Tuscheln und merkte wie Leute nicht wussten, wie sie auf mich zu gehen sollten. Es war alles anders – so wie ich es befürchtet hatte. Wenn einer je wieder behauptet, dass zwei Wochen keine lange Zeit waren, dann hat er noch nie zwei Wochen am Stück in der Schule gefehlt. Ich hing absolut zurück, hatte keine Ahnung von dem, was die Lehrer redeten und meine Mitschüler antworteten. Den ganzen Schultag über saß ich stumm neben Lily, kritzelte auf meinem Block rum und hörte nur halbherzig zu. In den Pausen gingen wir zielstrebig zum hinteren Schulhof, um unsere Ruhe zu haben. Auf die dummen Kommentare von Chloe und Mia antwortete ich nicht, sondern warf ihnen nur vernichtende Blicke zu. Es interessierte mich nicht, was sie über mich sagten oder dachten. Meine damalige, schüchterne und beeinflussbare Art war zum Teil verschwunden.

„Guck mal. Da ist die ehemalige Freundin von Carter", hörte ich mein Mädchen leise zu einem anderen sagen. Ich ging unbeirrt weiter zu meinem Spind, nahm mein Sweatshirt heraus, zog es über und stopfte meinen Rucksack rein. Genervt schloss ich ab und sah in das abwartende Gesicht von Lily.

„Wohin soll die Reise gehen?", wollte sie wissen.

„Auf den Innenhof im Anbau", erwiderte ich und wir drängelten uns durch die Menschenmasse. Als ich endlich die Tür zum Innenhof aufstieß und die kleine Steintreppe runter ging, atmete ich erleichtert aus.

„Ich hatte ganz vergessen wie nervig ist, mit all den Leuten hier", gab ich kopfschüttelnd von mir. Lily lachte leicht auf.

„Tja, das ist nicht deine Familie", entgegnete sie amüsiert.

„Ein Glück", stimmte ich ihr zu und sie musste lachen. Zielstrebig ging ich zu der Gruppe Jungs, welche in einem Kreis zusammen standen. Lily sah mich skeptisch von der Seite an.

„Was ist deine Mission?", hakte sie verwundert nach. Unbeirrt ging ich weiter und rempelte leicht den breitgebauten Braunhaarigen an. Genervt drehte sich dieser zu mir um und sah emotionslos zu mir runter. Als Damian mich erkannte, seufzte er leicht, reichte mir ein Feuerzeug und kramte die Schachtel Zigaretten aus seiner Jackentasche. Er hielt sie mir geöffnet hin und ich nahm eine. Er tat es ebenfalls und wir hielten sie beide über die Flamme des Feuerzeugs.

„Auf ihn", murmelte Damian und nickte mir zu. Ich nickte leicht zurück, gab ihm sein Feuerzeug wieder und er machte Platz für Lily und mich im Kreis. Wir beteiligten uns nicht wirklich am Gespräch, sondern hörten Damian und seinen Jungs nur zu. Mein Blick wanderte durch den Innenhof, an den Fenstern des Gebäudes entlang, bis ich an einem Bodentiefenfenster des Aufenthaltsraumes stoppte. Dort standen Mia und Chloe und sahen mit weitgeöffneten Augen mich schockiert an.

„Da hast du zwei aber schockiert", stellte Lily auflachend fest. Damian sah uns erst an und folgte dann meinem Blick. Er rollte die Augen und schüttelte unterbewusst den Kopf.

„Ich fühl' mich wie ein Tier im Zoo dank' den beiden", gab er murmelnd von sich.

„Dann sprich' mal Klartext", kam es von einem seiner Jungs.

„Ignoranz ist die größte Qual", entgegnete ich die Idee des Jungen. Mit einem skeptischen Blick sah er mich an.

„Sie ist das Mädchen", unterstützte Mason meine Aussage. Damian nickte nachdenkend und sah auf sein Handy.

„Eine Option ist es", stimmte er mir zu.

„Jayden holt dich nach der Schule ab", setzte er hinterher.

„Ich weiß. Danke", erwiderte ich, trat meine Zigarette aus und ging mit Lily zurück ins Gebäude.

Nach der Schule holte mich Jayden mit einem der großen Vans ab. Er stand mit laufendem Motor vor der Tür, sodass ich direkt einsteigen und er losfahren konnte.

„Folgendes", begann er, ohne auch nur mich zu begrüßen, „wir fahren zu Taccas Haus und müssen dort die Zulassung für seine Harley finden. Die Polizei braucht die"

„Lebt Tacca nicht bekanntlich im Chaos?", wollte ich wissen. Jayden nickte seufzend und bog links ab. Er parkte auf der Auffahrt des Einfamilienhauses und schloss die Haustür auf. Augenblicklich kam uns abgestandene Luft gemischt mit dem Geruch von Rauch entgegen.

„Der hat auch immer seine Zigarren gequalmt", murmelte Jayden und begann im Arbeitszimmer in den Schubladen zu wühlen. Ich kletterte über all die Bierkästen die rum standen und bahnte mir einen Weg ins Schlafzimmer. Es war seltsam in einem ‚fremden' leeren Haus rumzuschnüffeln, weil man etwas suchte, auch wenn wir legal hier waren.

„Hier stehen mindestens vier Lieferungen Bier für das Clubhaus", rief ich Jayden zu.

„Die nehmen wir auch definitiv mit", kam es von ihm zurück. Das Schlafzimmer war verwüstet. Überall lagen Zettel, Kleidungsstücke und andere Gegenstände rum. Ich suchte in der großen Kommode nach den Zulassungspapieren, wurde aber nicht fündig. In dem Nachttischschrank entdeckte ich dafür etwas anderes interessantes. Es war dasselbe Buch, wie Ryan es mir einmal gezeigt hatte. Kurz war da wieder der Schmerz, als ich an ihn dachte. Ich setzte mich auf das Bett und begann zu blättern. Wieder blieb ich an dem Kapitel über die Rebel Rider hängen und musste feststellen, dass die Seiten mit Kugelschreiber überkritzelt und mit Bier oder Kaffee übergossen waren. Jayden kam ins Zimmer und hielt die Zulassungspapiere hoch. Dann wanderte sein Blick zu dem Buch auf meinem Schoss.

„Was ist das?", wollte er wissen und kam zu mir.

„So ein Buch. Ich kenn das aber von den Carters", erklärte ich. Jayden schlug das Buch und sah das Cover an.

„Wie du kennst das Buch?", hakte er skeptisch nach.

„Als ich einmal bei Ryan war, hatte er das Gleiche Buch auch in der Hand. Sein Grandpa hat es geschrieben", erwiderte ich schulterzuckend, „Wieso?"

„Wo ist das Buch jetzt?", wollte Jayden mit zusammengebissenen Zähnen wissen.

„Ich hab es zuletzt bei Ryan in der Schublade in seinem Zimmer gesehen", entgegnete ich verwirrt, „Was ist so besonders an dem Buch?"

„Hast du das Kapitel über die Rebel Rider gelesen?", erwiderte Jayden und sah mich prüfend an

„Nur überflogen", meinte ich.

„Das ist die blanke Wahrheit. Der alte Mr. Carter wusste viel über den Club – zu viel. Wir müssen das Buch von den Carters wegbekommen, bevor es einer der Carters in die Hände bekommt", kam es fast ein wenig panisch von dem Anfang 20 Jährigen.

„Dann lass uns hinfahren und ich hol es da raus", schlug ich vor. Er nickte.

„Aber vorher das Bier einladen", warf er ein. Ich lachte leicht auf und machte mich an die Arbeit.

O U T L A WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt