"Der eine geht, der andere rückt nach"

856 62 5
                                    

In Leggings und viel zu großem Sweatshirt ging ich in Flip Flops durchs Clubhaus. Auf dem Arm trug ich einen der Welpen, welche George am Rand des Highways vor einigen Tagen gefunden hatte. Hunde galten im MC als Familienmitglieder und dementsprechend wurden die drei Welpen nun hier groß gezogen. Es war erstaunlich ruhig im Clubhaus. Sally und Maya schienen auf ihrem Zimmer zu sein, da nur Hannah in der Küche stand und den Geschirrspüler ausräumte. Es war circa 9pm und ein großer Teil der Members war direkt nach dem Abendessen mit vier Vans losgefahren. Keine Ahnung was die schon wieder vorhatten. Die anderen Members schienen ihren Dienstagabend mit ihren Frauen und Kindern zu verbringen. Das bedeutete also für mich, ein relativ einsamer Abend im Clubhaus. Irgendwo geisterten hier auch noch die Brüder Taylor und Ty rum, aber die würden eh nur wieder zusammensitzen und trinken, oder in der Werkstatt an irgendeinem Gefährt rumschrauben. Das was Brüder halt so machen.

„Brauchst du noch was?", kam es auf einmal von Hannah aus der Küche.

„Ne, ich komme schon selbst klar. Danke", erwiderte ich.

„Okay gut. Ich mach hier eben noch alles sauber und wechsle die Bierfässer, dann geh ich hoch zu Maya und Sally", entgegnete sie.

„Soll ich Ty oder Taylor Bescheid sagen, damit sie dir das neue Bierfass herholen? Das ist viel zu schwer", bot ich an.

„Ja gerne", gab sie lächelnd zurück. Ich brachte den Welpen zu seinen Geschwistern in den Hundekorb unter der Treppe und ging dann nach oben, um Hilfe für Hannah zu organisieren. Als ich am Fenster vorbei ging, sah ich wie die Blitze vom Himmel zuckten, der Sturm um die Ecke fegte und der Regen in Strömen auf den Boden prasselte. So ein starkes Unwetter gab es schon lange nicht mehr. Ich dachte an Ryan. Bei Gewitter hatte ich mich immer an ihn gekuschelt und wenn er nicht da gewesen war, hatte ich mich in seinen Pullis verkrochen. Jetzt, wo er nicht mehr hier war, fühlte ich mich nicht mehr so geborgen, dennoch genoss ich das Gewitter. Ich wusste nicht wieso, aber ich liebte einfach das Geräusch von heftigem Regen und Sturm in einer dunklen Nacht. Ich finde es so friedlich.

Bei Taylors Zimmer angekommen klopfte ich und kurz darauf ertönte zwischen lautem Gelächter ein ‚herein'. Ich fand Taylor auf dem Boden sitzend und Ty im Sessel vor. Die beiden hatten jeder eine Dose Bier in der Hand und wirkten ziemlich vergnügt. Der alte Schallplattenspieler lief und leere Pizzakartons lagen auf dem Bett.

„Könnte einer von euch Hannah ein Fass Bier runter tragen?", wollte ich von den beiden wissen.

„Muss sie schon wieder ein neues Fass an die Zapfanlage schließen?", hinterfragte Ty erstaunt.

„Ihr sauft alle wie Kamele", erwiderte ich nur schulterzuckend.

„Ja machen wir", versicherte Taylor mir. Zufrieden grinsend verließ ich deren Zimmer und ging ins Büro, da ich Dad vor seiner Abfahrt versprochen hatte, die Papiere und die Schlüssel der Autos rauszusuchen, die am nächsten Morgen abgeholt werden würden. Buddy lag zu meinen Füßen und leistete mir Gesellschaft. Durch die Jalousien sah ich, wie nach einiger Zeit jemand mit einem Auto auf den Hof fuhr. Interessiert stand Buddy auf, sprang auf den Sessel vor dem Fenster und sah sich den Ankömmling an. Er bellte nicht lautstark, wie er es bei Fremden immer tat und auch das Motorgeräusch kam mir bekannt vor, nur konnte ich es gerade nicht zu ordnen. Kurz darauf hörte ich jemanden von draußen an der Stahltür und Buddy wurde doch laut. Ich sah neben mich und atmete erleichtert aus, als ich die Waffe erblickte. Als die Tür aufging, das laute Knallen des Donners in den Raum drang und die Person endlich im Licht stand, erblickte ich Jayden. Er zog sich die Kapuze von seinen kurz rasierten Haaren und sah mich prüfend an.

„So still hier?", gab er verwundert von sich.

„Die Mädchen, die T-Brüder und ich sind hier", erwiderte ich schulterzuckend. Er nickte und begrüßte kurz Buddy.

„Wo warst du?", fragte ich interessiert nach

„Bei Tacca", entgegnete er seufzend.

„Und?", hakte ich nach. Er schüttelte den Kopf.

„Sie wissen nicht warum, aber sein Zustand verschlechtert sich", erwiderte er schulterzuckend

„Tacca ist 49, raucht seit Ewigkeiten, hat alle erdenklichen Drogen zu sich genommen und einen Riss im Herzen überlebt. Kein Wunder dass sein Herz immer mehr zu kämpfen hat", meinte ich kleinlaut. Jayden nickte zustimmend.

„Das muss mit dem ganzen Club nochmal besprochen werden", erwiderte er.

„Trinkst du ein Bier mit mir?", wollte er wissen. Ich sah auf den Stapel an Unterlagen und nickte dann. Gemeinsam gingen wir ins Clubhaus und Jayden holte jedem eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank in der Küche. Noch immer zuckten die Blitze vom Himmel und dunkles Donnern folgte. Ich ließ mich auf das eine Sofa fallen, da auf dem anderen bereits drei Hunde lagen, und sah rauf zu dem großen Fabrikfenster. Jayden sah skeptisch die Hunde an.

„Wozu hat man zwei Sofa, wenn das eine eh immer nur von denen belegt ist", murmelte er. Ich lachte heiser auf und musste grinsen. Jayden ließ sich neben mich fallen und wir stießen an. Seine Blicke lagen einige Zeit auf mir.

„Was bereitet dir Kopfschmerzen?", wollte er wissen. Ich atmete tief ein und seufzte leicht.

„Meinst du, ich werde irgendwann vergessen, wie seine Stimme klang? Ich hab Angst, dass ich es eines Tages werde", meinte ich leise. Jayden seufzte ebenfalls.

„Wie schrecklich es ist etwas zu lieben, dass der Tod einem nehmen kann", gab er nur leise von sich. Ich nickte. Das war einer der Lebensweisheiten, welche im Haus meiner Großeltern an der Wand hing und vom MC oft zitiert wurde. Es gab so einige Insider, die im MC sehr geläufig waren und die uns immer wieder darin erinnerten, dass Probleme menschlich waren und wir nicht alleine mit ihnen sind.

„Weißt du, man kann es sich so vorstellen, dass er nie in meinem Vokabular war, bis er das einzige Wort wurde, welches ich kannte.", erklärte ich und nahm einen Schluck Bier. Jayden sah zu mir runter und nickte.

„Und jetzt lernst du eine neue Sprache und dass ist klar, dass das nicht einfach ist", erwiderte er.

„Ich glaube, dass sein Verlust in mir etwas ausgelöst hat. Ich glaube ich kann nie wieder jemanden so sehr lieben, wie ihn", brachte ich nachdenklich hervor.

„Es mag sein, dass es jetzt stürmisch ist, aber es kann nicht für immer regnen. Genauso wie du davor lieben konntest, wirst du wieder lieben können. Zeit ist der Killer und der Heiler. So war es immer und so wird es immer sein", entgegnete Jayden und sah zu mir runter. Ich seufzte und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter.

„Es hat sich so viel geändert in den letzten eineinhalb Monaten. Ich hab mich so geändert.", murmelte ich vor mich hin. Jayden legte einen Arm um mich und nahm einen Schluck Bier.

„Was erwartest du denn auch? Wenn du aus dem Sturm kommst wirst du nicht dieselbe Person sein, welche hineingegangen ist. Das ist es, worum es bei diesem Sturm geht", rechtfertigte er meine Aussage.

„Glaubst du, dass das Leben es extra so gewollt hat? Das wir einen geliebten Menschen verlieren und sich deswegen man selbst und das Umfeld sich verändert?", wollte ich wissen. Jayden dachte kurz nach und sah dann auf die Wand zwischen Bar und Küche. Sie war überfüllt mit Bilderrahmen, aus etlichen Jahren Clubgeschichte.

„Der eine geht, der andere rückt nach. Dein Großvater machte Platz für Tacca. Tacca machte Platz für deinen Vater. Mit jedem ‚Verlust' hat etwas Neues begonnen. Jedes Mal ein neuer Abschnitt, und unterm Strich wurde es jedes Mal besser. Das Leben wird sich schon was dabei gedacht haben, warum Menschen gehen müssen. Menschen gehen, aber wie sie gingen bleibt für immer", entgegnete Jayden.

O U T L A WWhere stories live. Discover now