„Das bleibt einfach im Club"

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„Es geht los", murmelte Evan und stellte sich zu Taylor und Thomas. Es war dunkel und die Bikes standen hinter der verlassenen Scheune versteckt. Ich saß versteckt im Schutz der Scheune und der Bäume auf meiner Harley und beobachtete die Members. Jayden bewegte seinen Kopf zur rechten und anschließend zur linken Seite, um seinen Hals von Verspannungen zu lösen, er löste dabei nicht den Blick von der Schotterpiste, welche die Zufahrt zu diesem Treffpunkt war. Damian knetete seine Hände und Dad zog seine Lederhandschuhe aus. Er warf mir sie zu und ging dann zurück zu seinen Männern. Mit fokussiertem Blick standen sie als Wand aus Männern da und warteten. Drei Autos kamen vollbesetzt angefahren und leuchteten mit ihren Scheinwerfern direkt die Members an. Sie hielten, sprangen aus ihren Autos und stellten sich vor den Rebel Ridern auf. Ganz vorne stand Blake, der Präsident der Devils und sah stur meinen Vater an. Rebel Rider und Devils standen sich unmittelbar gegenüber. Feind und Feind.

„Mann gegen Mann. Meint ihr, ihr könnt einen fairen Kampf händeln?", gab Dad provokant von sich und sah den Präsident der Devils finster an.

„Fair ist für Verlierer", erwiderte Blake, „ich gewinne lieber". Er nickte seinen Members zu, die alle ihre Waffen luden und auf die Rebel Rider richteten. Dad sah ihn schief grinsend an.

„Ja, ich auch", entgegnete er und nickte Damian zu. Mein Bruder pfiff und ich erhob mich leicht amüsiert von meiner Harley. Einige Members der Rebel Rider aus Roseville waren gekommen, um uns zu unterstützen. Sie kamen aus dem Schutz der Scheune hervor. Ihre geladenen Waffen richteten sie auf die Members der Devils. Einige Members, und auch ich, hatten ein paar unserer Hunde mit. Laut bellend sprangen sie immer wieder in ihre Geschirre. Ich musste mich mit meinem gesamten Körpergewicht gegen die Kraft des Dobermanns legen.

„Nehmt die Waffen runter", befahl Thomas dem Devils Präsidenten. Er sah kurz seine Members an, tat jedoch nichts. Dad sah mich an und nickte mir zu. Kurz hielt ich den Dobermann nur in einer Hand und löste die Schnallen am Maulkorb, sodass er nun seinen Kiefer frei bewegen konnte und wütend die Zähne zeigte. Wieder drehte sich der Devils Präsident zu seinen Members um.

„Nehmt sie runter", befahl er nun und seine Members gehorchten.

„Das bleibt einfach im Club", gab Dad mit aggressiven Unterton von sich und ging auf die Devils Members zu. Ich zog meinen Dobermann zurück und kämpfte mit dem aufgebrachten Tier. Mit Mühe verfrachtete ich ihn hinter der Scheune ins sichere Auto. Die Members aus Roseville zogen sich zurück währenddessen auf der anderen Seite der Scheune die Rebel Rider sich mit den Devils die Köpfe einschlugen. Ich hörte auf einmal in der Ferne eine Sirene eines Polizeiautos. Ein Member von einem der beiden Clubs gab ein Warnschuss, als Warnung von den ankommenden Cops ab.

„Scheiße", hörte ich Dad fluchen, doch direkt danach setzte er noch einen Schlag in das Gesicht des Devils Präsidenten. Die Rebel Rider Roseville sprangen alle auf ihre Bikes. Einer deren Members kam auf mich zu, riss mich grob mit sich und zwang mich auf meine Harley.

„Fahr den hinterher", schrie er mich an und zeigte auf die beiden Vans, welche mit den Hunden flohen. Ich hatte nicht lange Zeit nachzudenken und tat das, was mir gesagt wurde. In Begleitung des Chapters Roseville ließ ich die Rebel Rider Ontario zurück.

„Wo lang müssen wir?", wollte ein anderes Member wissen. Durch die Dunkelheit konnte man den Highway kaum erkennen. Ich zeigte auf die Abbiegung rechts neben uns und das Member fuhr vor, um die Vans in die richtige Richtung zu lenken. Gemeinsam mit dem Chapter Roseville fuhr ich über den leeren Highway durch die Nacht. Es war wie immer. Ich auf meiner Harley in mitten einer Kolonne bestehend aus anderen Harley-Fahrern und Vans. Doch es fühlte sich so fremd an. So unfassbar fremd, obwohl diese Members ebenfalls Rebel Rider waren und alle quasi Freunde von uns waren. Leise seufzend drehte ich mich während der Fahrt um und sah über meine Schulter in Richtung des Waldes, in welcher die alte Scheune stand. An einer Stelle über des Himmels war es nicht ganz so dunkel, wie der Himmel über dem restlichen Wald. Da also standen gerade die Members gemeinsam mit den Cops. Kopfschüttelnd drehte ich mich wieder nach vorne. Nirgends konnten sich diese ‚Gesetzeshüter' raushalten. Nicht einmal in einem Faustkampf ohne Waffen. Fehlte nur noch, dass sie demnächst in das Box Gym kommen und Kämpfe im Ring schlichteten. Kurz sah ich hoch zu Himmel über mir.

„Wärst du jetzt hier, würdest du meinen Hass vielleicht verstehen", dachte ich mir und meinte Gedanken schweiften zu Ryan. Ryan wäre so ein guter Outlaw gewesen. Er konnte sich durchsetzen, hatte ein gutes Gespür für Charaktereigenschaften von Menschen, die er nur flüchtig kannte. Er konnte sich im Notfall gut durchboxen und er wusste wie er sich in schwierigen Situationen zu verhalten hatte. Über drei Jahre nach seinem Tod konnte ich nun sagen, dass ich ihn nicht mehr liebte. Dad hatte recht gehabt, er war meine erste Liebe, aber nicht meine große. Die Zeit und die Ereignisse haben dieses vertraute Gefühl zu ihm immer mehr distanziert. Ich weiß noch genau, was er zu mir sagte. Ich weiß noch genau, wie wir stritten und was unsere Argumente waren, weil es immer dieselben waren. Ich weiß noch genau wie wir uns geliebt haben, aber ich kann mich nicht mehr an das Gefühl erinnern, welches ich hatte wenn er vor mir stand. Ich kann mich nicht mehr an seine Berührungen erinnern und auch nicht mehr an seine Stimme. Das schlimmste aber, ich konnte mich nicht mehr an sein Gesicht so richtig erinnern. Immer wenn ich es mir vorstellte, fehlten einzelne Gesichtsteile. Es waren entweder Lücken oder verschwommene Stellen, die mir das gesamte Gesicht verschwiegen. Was genau mir das sagen sollte, war mir ein Rätsel. Einerseits glaubte ich daran, dass das bedeuten soll, dass ich endgültig damit abschließen würde. Andererseits hat mich sein Tod mich verändert und zu dem gemacht was ich bin. Mein jetziges Ich wird mich immer daran erinnern, wer er war und was er in mir ausgelöst hat. Vielleicht bedeuteten diese seltsamen Gedächtnislücken aber auch, dass etwas Neues auf mich zukommt. Etwas, bei dem ich mich nicht an meiner Vergangenheit festhalten könnte. Ich wusste es ehrlich gesagt nicht. Manchmal bereute ich es echt, dass ich so schnell wilde Gedanken spinne und so sehr aus der Realität abschweifte, dass ich das eigentliche Hier und Jetzt komplett hinter mir ließ. Andererseits musste ich dies auch manchmal tun, denn meine Realität kann man zwischenzeitlich kaum ertragen.

Ich schaltete das Bike einen Gang höher, um mit den Members vom Chapter Roseville mithalten zu können und sah dabei kurz auf meine Lederhandschuhe. Auf beiden Handrücken waren ein kleines D und ein kleines C gestickt. Damian. Charles. Ich lachte leicht auf. Meine Realität bestand aus zwei Männern, die ich abgrundtief liebte, hinter ihnen stand, weil sie meine Familie waren, und das tat ich trotzdem beide regelmäßig mit blutverklebten Armen und rot durchtrieften T-Shirts nach Hause kamen. Sie waren beide Mörder, Gesetzesbrecher und Schwerkriminelle, doch ich stand zu ihnen. Fuck Eleanor, dass hier ist dein Leben.

O U T L A WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt