Er passt auf sie auf.

894 64 1
                                    

Die Tür zum Clubhaus ging auf und Scott, Ty und Dale kamen hintereinander herein. Sie trugen schwarze oder graue Hemden und hatten darüber ihre Kutten an. Dale sah mich, wie ich auf dem Sofa saß und warf mir einen bemitleidenden Blick zu.

„Sie sind da", verkündete Scott schlussendlich und sorgte dafür, dass sich alle Members im Clubhaus in Bewegung setzten. Ich stand mit Mühe vom Sofa auf und folgte den anderen mit Abstand. Dad stand rauchend neben der Tür und seine Blicke lagen konzentriert auf mir.

„Sie sind alle da", murmelte er und schob mich dann ebenfalls durch das Büro nach draußen auf das Werkstattgelände. Die Harleys der Members standen geputzt nebeneinander und etliche Members der Rebel Rider hatten sich eingefunden. Die Hunde liefen bellend umher und alles wirkte so, wie ein normales Zusammentreffen des großen Kreises des MC's. Fast alle Nomaden waren gekommen. Dad klärte irgendwas mit einigen Members und neben mir tauchte Jayden auf. Er nahm sich eine Zigarette und klemmte sie sich zwischen die Lippen.

„Auch?", wollte er wissen und hielt mir die Schachtel hin. Ich nickte minimal, nahm mir eine Zigarette und steckte sie in meine Jackentasche. Fragend sah er mich an.

„Für nachher", erwiderte ich nur. Damian gesellte sich zu uns, legte einen Arm über meine Schulter und blickte zum hohen Maschendrahttor. Einige Männer schoben es gerade auf, damit der Leichenwagen auf das Werkstattgelände fahren konnte. Hinter ihm der Geländewagen der Familie Carter.

„Dann sind wir wohl vollständig", gab Jayden seufzend von sich und nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette.

„Elo", rief Owen mir zu, „wo willst du mitfahren?" Ich spürte die Blicke meines Bruders auf mir und sah fragend zu ihm hoch.

„Hinter mir auf meiner Harley ist noch Platz", meinte er nur und sah mich abwartend an.

„Ich fahr bei Damian mit", richtete ich an Owen, welcher zu kenntnisnehmend nickte und zu Thomas ging. Scott wies den Leichenwagenfahrer ein, wo er hinfahren sollte und so blieb er mittig auf dem Werkstattgelände stehen. Die Members sammelten sich in einem Halbkreis um das Auto und verstummten. Komplett aufgelöst standen Mrs. Und Mr. Carter neben George und sahen dem ganzen Schauspiel zu. Ich atmete tief ein und stotternd aus. Es kam mir noch immer so unreal vor. Kurze Zeit lagen alle Blicke stumm auf dem schwarzen Wagen.

„Dann wollen wir ihm mal seine letzte Ehre erweisen", gab Dad leise von sich und sah mich an. Ich nickte ihm zu.

„Sind die Bullen da?", wollte Dad von Thomas wissen, welcher dies sofort bestätigte. Ich zog meine Lederjacke über, nahm meinen Helm und setzte mich hinter Damian auf seine Harley. Mit lautem Knattern starteten die etlichen Bikes und Dad und Owen fuhren als erster vom Hof, dicht gefolgt von dem Geländewagen der Carters. Danach folgte der Leichenwagen, dann Jayden, Damian und ich. Hinter uns reihten sich die restlichen, knapp 30 Members in Zweierkonstellation ein. Ganz vorne und ganz hinten wurden wir von jeweils einem Polizeiauto mit Blaulicht begleitet. Geschlossene Gesellschaft. Der Weg führte zu einem, etwa 45 Minuten entfernten Friedhof. Es war schwer, die ganze Fahrt über Damians Schulter auf den Leichenwagen zu schauen, in welchem mein toter Freund lag. Die Person, die ich noch immer liebte.

Bei unserer Ankunft am Friedhof war eine Mischung aus Entsetzen, Bewunderung, Trauer und Fassungslosigkeit zu sehen. All die Freunde von Ryan waren gekommen und auch einfach einige Leute, die dachten sie würden mit ihm befreundet sein, wie zum Beispiel Chloe und Mia. Dass ich die beiden hier treffen musste, machte mich halbwegs aggressiv. Ich konnte die beiden abgrundtief nicht leiden und außer als Bespaßung meines Bruders, hatten die mit uns absolut nichts zu tun. Ganz im Gegenteil dazu, erfreute es mich, dass Nathan, Jax und auch Mason gekommen waren. Natürlich war auch Lily da. Sie stand neben Mason und sah mich traurig an. Sie hatte nichts mit Ryan zu tun gehabt, aber sie wusste wie sehr ich ihn liebte. So sehr ich gerne bei Ryans Freunden gewesen wäre und gemeinsam mit ihnen gelitten hätte, ich konnte es nicht. Sie interessierten mich in diesem Moment schlichtweg nicht. Ich hatte nur Augen für den Sarg und die Members des MC's. Ein Pfarrer begleitete die gesamte Beerdigung. Owen, Steve, Bryan, Taylor, Scott und Ty trugen den Sarg aus dem Leichenwagen zum bereits ausgehobenen Grab. Die Angehörigen folgten zum Läuten der Kirchenglocken. Die Members, welche Ryan nicht wirklich kannten, hielten sich beabsichtigt im Hintergrund. Der Pfarrer hielt seine Grabrede und nach und nach durften Verwandte und Freunde sich auch noch dazu äußern. Ich stand einfach nur da und hörte mehr oder weniger anwesend zu. Dad trat vor den Sarg. Seine Hände in der zerrissenen Jeans, sein Blick auf den Sarg gerichtet und seine Miene versteinert.

„Danke, dass du mein Mädchen drei Jahre glücklich gemacht hast", kam es von ihm. Er kramte etwas aus seiner Hosentasche und drehte es immer wieder in den Händen. Es war ein Patch, auf welchem ‚Prospect' stand.

„Du wolltest nie zum Club gehören, aber für uns hast du immer die Stellung eines Prospects belegt. Du warst kein Mitglied, du warst aber auch kein Fremder", erklärte Dad und legt den Patch auf den Sarg. Zögernd trat er zurück und seine Blicke lagen auf mir. Ich holte tief Luft und trat mit zitternden Beinen nach vorne.

„Dich zu lieben, war wie in den Krieg ziehen. Ich kam nie so zurück, wie ich gegangen war.", begann ich seufzend, zündete mir die Zigarette an und sah kurz schweigend auf den Sarg, „das hier ist ein modernes Märchen, kein Happy End. Wir saßen nachts auf Häuserdächern, haben Zigaretten geraucht, getrunken und uns übers Leben unterhalten. Wir haben wild spekuliert, verrückte Pläne geschmiedet und gemeinsame Träume geträumt. Wir waren so unterschiedlich und doch so gleich. Beide aus chaotischen Familien. Wir waren ein Desaster, doch wir waren es gern. Wenn du schon sterben musstest, Ryan, sei dir bewusst, dass dein Leben der beste Part von meinem Leben war." Ich vollendete meine Rede, nahm einen Zug an der Zigarette drückte sie auf dem Fußboden aus und legte sie gemeinsam mit dem Feuerzeug, welches er mir einst gab, auf den Sarg. Ich trat zurück und senkte meinen Blick zu Boden. Wieder war da dieser Schmerz in meiner Brust. Jemand anderes trat vor.

„Sie dachten alle, wir hätten nie ein Wort gewechselt", kam es auf einmal heiser auflachend von der tiefen Stimme meines Bruders. Verwundert sah ich hoch.

„Wir hatten nie etwas miteinander zu tun. Jeder ging sein Weg. Jeder lebte sein Leben. Einzig und allein die Tatsache, dass meine kleine Schwester seine Freundin war, sorgte dafür, dass wir jemals miteinander sprachen. Ich glaube, außer uns zweien weiß da auch niemand etwas von. Ich kam meiner Aufgabe als ‚großer Bruder' niemals nach, weil ich es auch nicht brauchte. Dafür war Ryan da. Er passt auf Eleanor auf, behütete sie, sorgte für ihre Sicherheit. Wir hatten eine Abmachung: ich halte mich aus allem raus, solange er sie nicht verletzte. Und er hat sie nie verletzt. Jeder Mensch mit zwei Augen hat gesehen, wie oft die beiden sich gestritten haben, aber das gehörte zu deren Beziehung. Wie gesagt, ich hatte mit Ryan nicht viel zu tun, aber er hat Eleanor glücklich gemacht und das rechne ich ihm hoch an, denn ich als ihr Bruder hab oft genug für schlechte Laune in ihrem Leben gesorgt", gab Damian erzählend von sich. Ich war erstaunt, dies wusste ich über die beiden nicht.

Nachdem alle ihre Reden und letzten Worte gehalten hatten, wurde der Sarg hinab gelassen ins Grab. Ich stand am Rand, sah auf das hölzerne ewige Bett meines Freundes und schüttelte unterbewusst immer wieder den Kopf. Mit Tränen in den Augen sah ich ihm hinterher. Nun verschwand er offiziell für immer aus meinem Leben. Es war quasi der Zeitpunkt, an dem wir unsere Beziehung beendeten. Nicht weil wir uns nicht mehr liebten, weil wir uns zerstritten hatten, weil jemand fremdgegangen war oder wir uns auseinander gelebt hatten. Nein, einfach nur weil er tot war.

O U T L A WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt