„Weil du meine Schwester bist"

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Ich saß im Büro auf einem Stuhl und starrte gedankenverloren ins Leere. Owen lehnte sich gegen den alten Holzschrank und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Durch das gekippte Fenster kamen die Stimmen und die Hektik des Werkstattgeländes dumpf in den Raum.

„Jayden! Fahr den Pick Up aus der Werkstatt", rief Thomas. Kurz darauf hörte man das laute Knattern von Harleys.

„Na endlich.", murmelte Owen und stieß sich von dem Schrank ab

„Dein Vater ist da", richtete er nun an mich. Minimal nickte ich. Owen sah mich kurz an, schüttelte dann den Kopf und ging aus dem Büro.

„Charles!", ich hörte wie Owen nach meinem Vater rief. Scheinbar war gerade wieder alles wichtig, was rund um den Club passierte, weswegen mein Vater nur kurz vorbeikam, nach Owens Anruf. Kurz darauf hörte ich, wie die Harley ausgemacht wurde.

„Owen, ich muss zum Hafen mit Thomas", hörte ich Dads Stimme näher kommen.

„Charles, das ist jetzt echt wichtig", unterbrach dieser ihn nun. Ich sah wie mein Vater mit großen Schritten ins Büro kam und mich ernst ansah. Langsam hob ich meinen Blick und etwas verwundert lagen seine Blicke auf mir. Er schloss die Bürotür und nahm auf einem Stuhl an der Wand Platz.

„Elo, was ist passiert?", wollte er mit ruhiger Stimme wissen. Ich sah ihn nur an und spürte wie vereinzelte Tränen meine Wangen runterliefen. Meine Blicke wanderten zu Owen, der mit den Händen in den Hosentaschen da stand und stumm dreinschaute. Ich nickte ihm leicht zu und er seufzte.

„Ryan ist tot. Gestern Abend um 8pm haben sie ihn am Highway im Graben gefunden", gab er seufzend von sich. Dad atmete tief ein, lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten und holte tief Luft. Dann stützte er seinen Kopf in seiner einen Hand ab und schloss kurz die Augen. Entgeistert schüttelte er den Kopf und sah zu Owen hoch.

„Fahr mit Thomas zu Hafen. Ich bleib hier", meinte Dad.

„Fahr ruhig", krächzte ich heraus. Dad stand auf, zog mich hoch und setzte sich auf meinen Stuhl, sodass ich auf seinem Schoss saß.

„Nein, das können die auch ohne mich", murmelte Dad und nahm mich in die Arme. Ich begann fürchterlich zu weinen und mein Vater versuchte gar nicht erst mich zu beruhigen, er war einfach nur da. Die Bürotür ging auf und jemand wollte reinkommen, doch ich hörte nur das laute und bedrohliche „Raus!" von Dad. Ich fing mich langsam wieder und setzte mich auf den Sessel vor dem Fenster. Dad setzte sich an den Computer und sah irgendwas nach.

„Hast du die Nummer seiner Eltern?", wollte er wissen. Ich nickte minimal.

„Ich werde sie anrufen. Er soll von einer Eskorte begleitet werden", erklärte er.

„Darüber kann ich noch gar nicht nachdenken", murmelte ich niedergeschlagen

„Wirst du auch nicht müssen, darum kümmert sich der MC", erwiderte Dad und sah mich an. Die Hintertür vom Clubraum ging auf und Damian kam rein.

„Die Bullen stehen auf dem Hof", meinte er ernst und sah von Dad zu mir. Auf mir blieben seine Blicke hängen. Dad stand auf und sah durch die Rollos hindurch auf den Werkstatthof.

„War klar, dass sie hier auftauchen.", murmelte er missmutig.

„Du bleibst bei deiner Schwester", ordnete er an und sah Damian ernst an. Mein Bruder hätte am liebsten die Augen gerollt, tat dies jedoch nicht und ließ sich auf den Stuhl an der Wand fallen. Dad schloss die Tür hinter sich.

„Was ist los?", wollte Damian distanziert wissen. Ich sah ihn mit einem vernichtenden Blick an und sah dann zu Boden.

„Was soll schon sein?", hauchte ich mit brüchiger Stimme.

„Für wie blöd hältst du mich? Du heulst, Dad ist bei dir und allen wird es verboten ins Büro zu kommen", entgegnete Damian. Ich schluckte meinen Kloß im Hals runter und sah meinen Bruder verletzlich an.

„Ryan", begann ich, „Ryan ist tot" Augenblicklich erstarrte mein Bruder. Er sah mich einfach nur an und wusste nichts zu sagen.

„Darum sind die Bullen also hier", schloss er dann schlussendlich. Ich nickte minimal und kämpfte erneut mit den Tränen. Damian stand auf und hockte sich vor mich

„Hey", redete er mit ungewohnt vertraulicher Stimme auf mich ein, doch ich konnte meine Tränen nicht unterdrücken. Ich begann fürchterlich zu zittern und zog meine Beine an meinen Körper. Damian seufzte leicht, zog sein Sweatshirt aus und reichte es mir.

„Zieh es an, du hast seit gestern bestimmt nicht neues angezogen", gab er murmelnd von sich. Ich nickte, richtete mich auf, zog mein Shirt aus und das Sweatshirt über. Es fühlte sich deutlich besser an. Damian strich über meinen Rücken und ging dann zum Fenster. Er beobachtete das Geschehen, welches sich dort abspielte. Kopfschüttelnd setzte er sich dann hinter den Schreibtisch und nahm sein Handy. Er tippte irgendeine Nummer ein und wartete dann, bis jemand abnahm.

„Hey Jayden, kannst du bitte in unsere Wohnung fahren und Klamotten für Eleanor holen?", bat er den 21 jährigen.

„Okay danke, was geht da draußen jetzt ab?", wollte er dann noch wissen. Kurz darauf legte er auf.

„Dad fährt mit zur Wache und muss Aussagen machen. War ja klar, das Club wieder ins schlechte Licht rückt.", erklärte er schlussendlich. Ich nickte zustimmend. Damian kam wieder auf mich zu und hielt mir die Hand hin.

„Komm mit", meinte er.

„Wohin?", gab ich nur leise von mir.

„Ins Clubhaus. Ich glaube es ist besser eine Weile hier zu bleiben, als wenn du jetzt nach Hause gehst", erwiderte er. Ich nahm seine Hand entgegen und er zog mich vom Sessel hoch. Stumm ging ich vor ins Clubhaus und ließ mich wieder aufs Sofa fallen. Er setzte sich mir gegenüber aufs andere Sofa und sah mich einfach nur an.

„Warum hier bleiben?", wollte ich wissen.

„Weil du Zuhause in ein tiefes Loch fallen, dich in deinem Zimmer einsperren und wohl nie wieder vor die Tür gehen würdest", entgegnete er

„Und hier?", hakte ich nach.

„Hier ist der MC. Deine Familie. Du hast dir dein eigenes Zimmer, aber auch die Menschen die dich lieben und die sich um dich kümmern. Du bist hier nicht allein", meinte mein Bruder. Ich nickte und sah runter auf den Teppich, auf welchem fünf Pitbulls lagen.

„Und sicher bist du hier auch noch", setzte Damian nach, als er meinen Blicken folgte. Die Tür von der Werkstatt zum Clubhaus ging auf und Jayden kam rein. Er hatte einen Rucksack bei sich und warf ihn Damian zu.

„Ihr bleibt jetzt hier?", fragte Jayden nach

„Ja, erst einmal. Ich hole meine Sachen nachher", erwiderte Damian.

„Warum bleibst du auch hier?", gab ich verwundert von mir.

„Weil du meine Schwester bist", entgegnete Damian, sah mir direkt in die Augen und in diesem Moment war keinerlei Hass, Aggression oder Distanz in seinem Blick. Es war die pure Ehrlichkeit und das pure Vertrauen, welche er viele Jahre mir gegenüber nie gezeigt hatte.

O U T L A WWhere stories live. Discover now