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Der Tag verlief wie immer sehr entspannt mit netten Kunden, einem leeren Verkaufsstand und einer vollen Kasse und ich ging zufrieden noch etwas einkaufen, bevor ich mich auf den Weg zurück nachhause machte.

Gemütlich lief ich durch den Grätenwald den mir bekannten Weg entlang. Die Sonne ging bereits unter und die letzten Sonnenstrahlen schienen durch die Bäume hindurch und erleuchteten gerade so den Weg vor mir. Der Grätenwald war der dichteste und gefährlichste Wald in ganz Emberess und man konnte ihn nur sicher durchqueren, wenn man sich darin auskannte. Meine ganze Kindheit hatte ich in diesem Wald verbracht. Er erschien mir immer wie einer der wunderschönsten Orte der Welt. Bäume so hoch, dass ich mir die Enden vorstellen musste, und im Herbst waren die Blätter in die nur schönsten Farben eingefärbt. Meine Mutter hatte mir die Wege durch den Wald gezeigt und als ich alt genug war, suchte ich mir eigene Wege und lernte jeden Baum, jeden Stein und jedes Tier in diesem Wald kennen. Es war als sei ich mit diesem Wald von Kopf bis Fuß verbunden. Ich spürte die Wurzeln der Bäume tief unter meinen Füßen atmen, hörte die Tiere schlafen und roch die frische Luft, die die Pflanzen freigaben. Es war schon immer etwas magisches an diesem Wald.

Wenn ich sage ich habe den ganzen Wald kennenlernt, meine ich den größten Teil des Waldes. Ein Teil des Waldes im Osten des Landes war schon von Kind auf für mich tabu gewesen. Die Pflanzen und Tiere hatten mir zugeflüstert, mir gesagt ich solle den Teil des Waldes meiden, ihn niemals betreten, oder ich würde schreckliches Leid erfahren. Auch wenn es mir komisch vorkam, dass die Pflanzen und Tiere mir so etwas sagten, war ich mir doch immer sicher, dass es einen Grund dafür gab und seither mied ich diesen Teil des Waldes. Natürlich kann ich nicht sagen, dass ich nicht sehr neugierig war, was sich dort verbarg, doch meine Angst überwog die Neugier und ich hielt mich fern.

Gerade als der letzte Sonnenstrahl erlosch, kam ich an meinem Haus an. Es war ein kleines Haus auf dem dicksten und höchsten Baum in der Umgebung. Ein Baumhaus nicht aus Holz, sondern aus Stein, das durch Balken und einer Plattform am Baum getragen wurde. Eine Wendeltreppe aus Holz führte um den dicken Baumstamm herum nach oben und Äste des Baumes umschlossen die Treppe wie Geländer.

Als ich damals nach dem Tod meiner Patenmutter durch den Wald gewandert war auf der Suche nach einem neuen Zuhause, entdeckte ich dieses Haus im Baum. Es stand leer und war bedeckt mit Staub und Spinnenweben. Doch die Möbel schienen beinahe unbenutzt und es war alles da, was ich nur hätte brauchen können, also zog ich ein. Ich fühlte mich immer gut aufgehoben und beschützt, umgeben von Blättern und dem wohl stärksten Baum, des Waldes.

Zufrieden schritt ich die Treppe hinauf zum Haus und räumte die Lebensmittel in die Schränke, bevor ich mich wusch und mich im Nachthemd und einer Strickjacke auf die Bank auf der Veranda des Hauses setzte. Die nächtliche Stille des Waldes beruhigte mich schon immer und ich öffnete das Buch, das ich mit nach draußen genommen hatte. Eine Weile saß ich da und las, bis die Müdigkeit mich übermannte und ich mich schläfrig in mein Bett legte.

Am nächsten Morgen stand ich auf und kämmte mein langes schwarzes Haar durch, bevor ich es ordentlich zu einem Knoten zusammenwickelte und mich in einem langärmligen dunkelgrünen Kleid auf den Weg zum Grafenhaus machte. Da gestern die Waren komplett verkauft wurden, musste ich mir neue aussuchen und dafür musste ich die Gräfin Rheya im Grafenhaus aufsuchen. Da ich dort regelmäßig zu Besuch war, kannten mich die Beamten am Tor bereits und ließen mich freundlich lächelnd hinein.

Etwas aufgeregt klopfte ich an die Tür des Damensalons, welche sich gleich darauf öffnete. Eine Zofe der Gräfin lächelte mich höflich an und deutete mir hineinzukommen. So trat ich hinein und ging gleich darauf der Zofe hinterher, die mich an den Tisch führte, an dem Gräfin Rheya mit ihrer Tochter der Comtesse Rhaka Schach spielte.

Rhaka und ich kannten uns schon seit wir klein waren. Meine Patenmutter arbeitete bei der Grafenfamilie schon lange bevor sie mich bei sich aufnahm und als ich alt genug war und mich zu benehmen wusste, durfte ich mich im Grafenhaus aufhalten und meine Patenmutter musste niemanden einstellen, der auf mich aufpasste, während sie auf der Arbeit war. Das ersparte uns viel Geld und je älter ich wurde, desto nützlicher konnte ich mich machen. Irgendwann hatte der Graf mich auserkoren seiner Tochter der Comtesse Gesellschaft zu leisten. Und so wurden wir über die Zeit Freunde. Ich sah dabei zu, wie sie zu einer wunderschönen und wohlerzogenen jungen Frau heranwuchs und ich erwischte mich schon als Teenager dabei neidisch auf ihre tiefschwarze porzellan-ähnliche Haut, ihre natürlichen schwarzen Locken und die grellen grauen Augen zu sein.

Jedes Mal, wenn ich das Grafenhaus besuchte, fiel mir die Ähnlichkeit zwischen Rheya und Rhaka auf und so auch diesmal. Beide hatten diese wunderschöne dunkle Haut, das schwarze Haar und diese rosigen Lippen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen beiden waren die Augen. Während Rhaka diese atemberaubenden hellgrauen Augen hatte, besaß Rheya Augen wie aus Honig, warm und einladend, wie ihre Persönlichkeit und immer, wenn sie lächelte, leuchteten ihre Augen mit.

Es war kein Wunder, dass die Königfamilie ihren Sohn mit Rhaka verlobt hatte, noch bevor sie sie gesehen hatten. Allein die Gerüchte über die Schönheit und die Wohlerzogenheit reichten der Königin, um sie als ihre Nachfahrin zu wollen. Und ich wusste genau, dass Rhaka eine wunderbare Königin dieses Königreiches sein würde.

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