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Ich hatte nie wirklich viel vom Königreich Emberess gesehen. Meine Mutter zeigte mir jeden Winkel des Grätenwaldes, weil wir dort wohnten, doch ich hatte nie die Möglichkeit und die Lust gehabt mehr zu entdecken. Hätte ich jedoch gewusst, dass das Kapitol so wunderschön ist, wäre ich schon längst hierher gereist.

Wir kamen an, als die Sonne bereits lange untergegangen und alles dunkel war, doch die Lichter in der Hauptstadt erleuchteten alle Straßen. Wir fuhren durch ein großes Tor, das scheinbar der einzige Ein- und Ausgang von Civita war. Denn die ganze Stadt war von einer hohen Mauer umgeben, an der alle paar hundert Meter ein Wachturm stand, auf dem sich mehrere Beamten aufhielten. Die Stadt bestand aus vielen Straßen, Häusern und in der Mitte stand ein gigantisches Schloss, das von jeder Position aus gut sichtbar war. Es war ein traumhaft schönes Schloss mit hohen Türmen und dunkelblauen Dachziegeln, die im Sonnenlicht glitzerten.

Ich beobachtete die Häuser und Leute, an denen wir auf dem Weg zum Schloss vorbeifuhren und stellte fest, dass alles so friedlich und verträumt wirkte wie als würde ich schlafen, als wäre es surreal. Und doch war ich sehr wohl dort und nahm Gerüche und Eindrücke wahr, die ich nur in Civita wahrnehmen konnte. Meran war trotzdem schöner, das war mir sofort aufgefallen und ich war froh, dass ich in der Nähe von Meran wohnte und dort arbeitete. Der Gedanke an Meran machte mich glücklich.

Die Kutsche hielt vor den Schlosstoren und ich stieg begeistert aus. Von Nahem sah das Schloss sogar noch majestätischer aus. Es ragte beinahe unendlich hoch in die Luft und die ganzen Säulen und eingemeißelten Details an den Wänden waren faszinierend. Als würden sie alle eine Geschichte erzählen und die Menschen einladen ins Schloss einzutreten.

Ich folgte den Beamten durch hohe Gänge mit Mosaikgemälden an den Decken und großen Bildern an den Wänden, die in goldene Rahmen gefasst waren. Als wir durch eine große hölzerne Tür mit goldenen Akzenten traten, kamen wir in einen großen Saal, in dem ausschließlich zwei große Throne standen – ganz offensichtlich der Thronsaal. Auf dem größeren mit Gold verzierten Thron saß ein großer Mann mit braunem Haar und Vollbart. Er trug einen langen roten Umhang mit schwarz-weißem Fell an den Rändern und darunter ein einfaches schwarzes Hemd und eine schwarze Hose. Auf seinem Kopf leuchtete die Königskrone und es war klar, wer der Mann war – König Godwyn Farley von Emberess. Er lächelte, als er mich erblickte und deutete mit einem Handzeichen, dass ich näherkommen sollte. Die Beamten hatten neben der Tür ihre Plätze eingenommen und ich trat unsicher näher an das Podest, auf dem die Throne standen. Kaum zwei Meter vor dem Thron, hielt der König die Hand hoch und ich blieb wie gefroren stehen.

„Willkommen Miss Norwood. Es freut mich Sie kennenzulernen. Mein Sohn hat mir ein wenig von Euch erzählt." „Vielen Dank, Eure Majestät. Vielen Dank für die Einladung ins Schloss. Es ist wirklich wunderschön hier." „Danke sehr, es freut mich, dass Euch das Schloss gefällt. Ihr seid hier stets willkommen. Nachdem Finnian so positiv von Euch gesprochen hatte, musste ich Euch einfach kennenlernen." „Es ist eine Ehre Euch kennenzulernen, Eure Hoheit." Ich knickste vornehm und lächelte dann, als der König breitgrinsend aufstand. Er kam zu mir herunter und deutete auf eine Nebentür. Ich folgte ihm durch die Tür in einen großen Raum, der scheinbar sein Arbeitszimmer war und nahm Platz auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch, als er mir deutete mich zu setzen. Er nahm hinter seinem Schreibtisch platz und schob mir einen zusammengerollten Brief entgegen. Die Rolle hielt durch das Königliche Wachssiegel zusammen und ein braunes Paketband umschloss die Rolle zusätzlich. Irritiert sah ich den König an.

„Wissen Sie, Miss Norwood, ich habe Sie nicht nur eingeladen, weil mein Sohn so hoch von Ihnen gesprochen hat." Setzte er an und sein Blick wurde plötzlich sehr ernst. Ich schluckte nervös. „Ich habe Sie herbringen lassen, weil mein Sohn mir von Ihrer Beziehung mit der Grafenfamilie Raewyn berichtet hat. Graf Rhalgar hat seit Monaten keinen meiner Briefe beantwortet. Ich bat ihn bereits mehrere Male seine Tochter zu mir ins Schloss zu schicken, um das Band zwischen meinem Sohn und seiner Tochter zu besiegeln, doch nichts passierte. Ich möchte Euch bitten, diesen Brief bei Graf Rhalgar abzuliefern und ihm meine Bitte etwas näherbringen. Vielleicht habt Ihr ja etwas mehr Glück als ich." Überrascht sah ich auf den Brief und dann wieder zum König. „Nun, Eure Majestät, ich kann gerne versuchen mit dem Grafen zu sprechen, doch mein enger Kontakt gilt eher der Gräfin und ihrer Tochter. Ich habe den Grafen als einen sehr ernsten und konfliktfreudigen Menschen kennengelernt. Als ehemaliger Oberbefehlshaber der Streitmacht, scheut er natürlich keine Konflikte und diskutiert auch sehr gerne. Ich weiß nicht, was am Ende bei unserem Gespräch herauskommen wird. Aber wie gesagt, versuchen werde ich es." „Das ist schon alles was zählt, ich danke Ihnen." Erleichtert atmete der König aus und lächelte mich dann wieder breit an. „Die Fahrt nach Civita war sicherlich sehr beschwerlich. Ich möchte Euch gerne einladen mit uns zu dinieren und Euch für die Nacht eines unserer Gästezimmer anbieten. Morgen früh stelle ich Euch dann gerne eine Kutsche bereit, die sie direkt zum Grafenhaus bringt. Wäre das für Sie in Ordnung?" Aufgeregt sagte ich dem König zu und saß keine halbe Stunde später mit König Godwyn, Königin Freya und Prinz Finnian an einer langen Tafel, auf der Essen für eine ganze Armee angerichtet war.

Die Königin und ich führten ein interessantes Gespräch über ihre vielen Haustiere, wie ihre Pferde, Hunde, Katzen, Vögel und einiges mehr und genossen dabei das köstliche Essen, bis Prinz Finnian mir anbot mich zu meinem Zimmer zu geleiten.

„Es freut mich dich hier zu sehen, Gwenneth." Sagte Prinz Finnian als wir allein durch die Flure seines Schlosses in Richtung Gästeflügel gingen. „Es freut mich ebenfalls Euch wiederzusehen Prinz." Sagte ich ehrlich und spürte, wie mir plötzlich sehr warm wurde. Prinz Finnian lächelte mich an und mein Herz machte einen Salto vor Aufregung. „Nenn mich einfach nur Finn bitte." Ich nickte lächelnd. „Geht es deinen Füßen besser? Du sagtest letztes Mal, dass du dich an den Füßen verletzt hättest." „Danke Finn, mir geht es wieder blendend. Seither auch keine Entführung von irgendwelchen schwarzen Gestalten." Sagte ich lachend und Finn stieg mit ein. „Sehr gut, das freut mich zu hören."  Wir unterhalten uns noch eine kurze Weile, bis wir am Zimmer ankamen und Finn sich höflich von mir verabschiedete und eine gute Nacht wünschte.

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Natures HeritageWhere stories live. Discover now