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Abrupt öffnete ich meine Augen und fand mich in einem dunklen kleinen Raum wieder. Das einzige bisschen Licht, dass den Raum minimal erhellte, war das Mondlicht, dass durch ein kleines vergittertes Fenster einen Meter über mir trat. Es war feucht und roch modrig und der kalte Stein, auf dem ich lag, war glitschig. Ich richtete mich langsam auf und sah mich um.

Ganz offensichtlich saß ich in einer Zelle, denn der Boden und die Wände waren aus massivem Stein und der Eingang zur Zelle war ein dickes Eisengitter, das den Blick auf die gegenüberliegende Zelle freigab. Dort hing das Skelett eines Menschen von der Decke herab, die Handgelenke an Ketten befestigt. Ich schauderte. Mein ganzer Körper war eisigkalt und ich musst mich zusammenreißen nicht vor lauter Panik in Tränen auszubrechen.

Am Ende des Flures ging eine schwere Tür knarzend auf und ich drängte mich ängstlich in die hinterste Ecke der Zelle. Mein Atem beschleunigte sich und mein Herz raste wie wild.

Als die Tür sich schloss und laute kräftige Schritte den Flur entlang liefen und näher kamen, hielt ich den Atem an, doch die Person hielt scheinbar vor einer anderen Zelle, drehte sich dann wieder um und verschwand wieder durch die Tür. Ich atmete erleichtert aus und setzte mich auf den Boden.

„Alvena?" hellhörig schaute ich auf. „Mom?" mein Herz machte einen Freudensprung. Ich stand wieder auf und eilte zum Zellengitter. Ich schaute hindurch zu den gegenüberliegenden Zellen, soweit ich eben konnte, und entdeckte in der Zelle neben der, in der das Skelett hing, eine Frau mittleren Alters mit langen dunklen Haaren und einem weißen Kleid, dass seine besten Tage bereits hinter sich hatte. „Alvena... Ich hatte so gehofft dich hier nicht sehen zu müssen." „Ich habe es versucht. Aber die Schattengestalten haben mich in einem ungeschützten Moment erwischt." „Aber hast du denn nicht deine Kräfte benutzt?", meine Mutter klang traurig und hoffnungslos und es brach mir das Herz eine Göttin in einer Zelle zu sehen. „Bevor ich konnte, schlug mich die Gestalt. Ich war ohnmächtig."

Bei dem Gedanken an meine Kräfte sah ich hoffnungsvoll auf meine Hände. „Ich kann uns sicher hier herausholen.", sagte ich und wollte gerade beginnen, als meine Mutter den Kopf schüttelte. „Das wird nicht funktionieren. Seit du hier bist hat Yeseda die Zellen und das halbe Schloss mit einem Zauber belegt, der verhindert, dass jegliche Energie verwendet werden kann." Galaya ließ ihren Kopf hängen und seufzte. „Ich hätte nie gedacht, dass Yeseda zu so etwas im Stande sein würde. Als wir Kinder waren, verstanden wir uns so gut. Doch nun?" Sie sah mich nun mit ernstem Blick an. „Du musst Yeseda aufhalten. Ich kann es nicht. Nicht nur weil du den Großteil meiner Kräfte hast, sondern auch weil..." „Weil sie deine Schwester ist. Ich verstehe. Was muss ich tun?" Meine Mutter richtete sich auf. „An dem Tag im Teich habe ich dir nicht alles erzählt. Ich wollte, dass du erst deine Fähigkeiten erlernst, bevor ich dir dein Schicksal offenbare." Irritiert sah ich sie an. „Was meinst du?"

„Meine Aufgabe als Mutter Tag war es, der Welt zu dienen und sie zu beschützen. Da du jetzt meine Kräfte besitzt, wird dies nun zukünftig deine Aufgabe sein." Sie machte eine Pause und ich schluckte schwer. Worauf wollte sie hinaus? „Yeseda kann dir deine Kräfte noch nicht nehmen, da du deine Aufgabe erst annehmen musst. Erst dann erlangst du die volle Macht deiner Kräfte. Das will Yeseda erreichen. Und um Yeseda aufzuhalten brauchst du deine ganze Macht. Das heißt, dass du Yeseda erst besiegen kannst, wenn du deine Aufgabe als Mutter Tag annimmst – wodurch du dich damit aber angreifbarer machst." Schockiert starrte ich sie an. Ich sollte Mutter Tag werden? Und ich sollte Yeseda töten? „Du willst mir also sagen, dass ich eigentlich keine Wahl habe und deine Aufgaben übernehmen muss, um Yeseda zu töten?" „Nein! Nein, du sollst Yeseda nicht töten. Das Licht kann nicht ohne Schatten existieren, der Tag nicht ohne Nacht. Du musst Yesedas Kräfte in ihrem unsterblichen Körper einsperren, damit sie sie niemals wieder benutzen und auch an niemanden weitergeben kann." Etwas erleichtert atmete ich aus. Ich muss wohl den Atem angehalten haben.

Jemanden zu töten, wäre das Schlimmste für mich. Ich spürte immerhin das pure Leben in jeder einzelnen Person, es dann auch noch auslöschen zu müssen, würde mir das Herz zerreißen. Ich setzte mich ans Gitter und sah hinauf zum Fenster an der Wand gegenüber und seufzte. Ich musste also mein sterbliches Leben aufgeben und eine Göttin werden, um meine Freunde und die Welt zu retten?

Ich würde Rhaka nie wiedersehen. Oder Cali. Oder Mari und Finnian.

Kellan.

Ich schluckte schwer und verdrängte den Gedanken an Kellan, für den ich scheinbar Gefühle entwickelte, die mir nicht gelegen kamen.

Doch was sollte ich machen? Um alle zu retten musste ich ein Opfer bringen, welches offensichtlich mein Leben auf der Erde beinhaltete und meine Freundschaften. Ich musste es tun, ich hatte schließlich keine Wahl. Doch würde ich es wirklich tun...?

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Natures HeritageWhere stories live. Discover now