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Am Morgen sprang ich aufgeregt aus dem Bett, wusch mich, kämmte mein nasses Haar und zog mir eine bequeme braune Stoffhose und ein dunkelrotes Hemd an und machte mich direkt auf den Weg zum botanischen Garten. Mir war ganz flau im Magen, sowohl vor Aufregung als auch vor Hunger, doch ich konnte jetzt nichts essen. Ich wollte sofort beginnen.

Ich setzte mich an dieselbe Stelle wie am Tag zuvor und legte meine Hände ins Gras. Es war weich und feucht, von dem Tau, der sich über Nacht gebildet hatte. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Um mich herum war es bis auf das Rauschen des Wasserfalls komplett still und ich genoss die Umgebung. Ich konzentrierte mich auf das Gras unter mir und lenkte meine Energie in meine Hände. Als ich die Augen öffnete, sah ich mich enttäuscht um. Es war nichts geschehen. Was hatte ich falsch gemacht? Im Kampf gegen Yeseda hatte ich doch genau dasselbe getan?

Ich versuchte eine ganze Weile lang immer wieder meine Kräfte heraufzubeschwören, doch nichts geschah. Meine Enttäuschung wuchs mit jedem Mal mehr und irgendwann beschloss ich eine Pause zu machen und legte mich rücklings ins Gras. Ich gab ein frustriertes Seufzen von mir. Ein verächtliches Schnauben ertönte ein paar Meter von mir entfernt und ich richtete mich ruckartig auf. Ein Stück neben dem Wasserfall stand Kellan mit verschränkten Armen und hob eine Augenbraue. „Das war schon alles? Wie erbärmlich." Wut durchzuckte mich und ich sprang auf. „Ach ja? Dann mach es besser!" „Woah, nicht so stürmisch, Zauberfee. Du könntest noch jemanden verletzen, im schlimmsten Fall mich." „Zauberfee?", wiederholte ich ungläubig und starrte ihn wütend an. „Bist du etwa keine Zauberfee?" „Glaubst du auch noch an Einhörner und Elfen, oder was soll das?" Er verdrehte die Augen und kam auf mich zu. Ich trat einen unsicheren Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast jetzt stundenlang versucht zu zaubern, aber nichts ist passiert. Hast du deine Kräfte verloren oder was ist los?" „Ich weiß es nicht, sei nicht so aufdringlich. Es ist das erste Mal, dass ich meine Kräfte versuche bewusst einzusetzen. Sonst war es ja nur in gefährlichen oder notwendigen Augenblicken."

Kurz sah er mich nachdenklich an und zückte Sekunden später sein Schwert, das er mir direkt vor die Nase hielt. Reflexartig schwang ich meine Arme hoch und er war gefangen von Ranken, genau wie Yeseda. Er ließ sein Schwert fallen und sah mich ausdruckslos an. Erschrocken starrte ich auf meine grünleuchtenden Hände. „Da haben wir's ja. Bisher kannst du deine Kräfte nur durch Gefühle auslösen, du solltest versuchen deine Gefühle bewusst mit deinen Kräften zu verbinden. Vielleicht hilft das ja." Ich nickte nur und sah zu ihm hinauf. „Kannst du mich dann bitte wieder herunter lassen?" Irritiert sah ich wieder auf meine Hände und machte eine sanfte Bewegung über die Ranken. Wie befohlen zogen sie sich in die Erde zurück und ließen von Kellan ab. Dieser hob sein Schwert vom Boden auf, steckte es wieder in seinen Gürtel und setzte sich auf den Boden vor mich.

„Na los, setz dich. Wir haben viel zu tun und ich will den Tag schnell hinter mich bringen." Seufzend setzte ich mich ihm gegenüber und sah ihn erwartungsvoll an. „Was hast du gefühlt, als ich dir das Schwert vor die Nase gehalten habe?" Ich schluckte. „Todesangst." Kellan sah mich einen Moment lang überrascht an und nickte dann. „Versuch dich an das Gefühl zu erinnern und beschwöre eine kleine Ranke. Wir fangen klein an."

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Das Gefühl machte sich in mir breit und ich spürte, wie ich begann zu schwitzen. Alles in mir wurde warm und ich stellte mir vor, wie eine kleine Ranke zwischen uns wuchs. „Sehr gut.", sagte Kellan leise und ich öffnete neugierig meine Augen. Zwischen uns war eine Ranke gewachsen bis auf Augenhöhe und bewegte sich als sei sie ein Grashalm im Wind. Um sie herum leuchtete ein schwaches grünes Licht, nur etwas schwächer als meine Hände. Fasziniert beobachtete ich die Ranke, bevor ich sie mit einer sanften Handbewegung dann wieder zurück in die Erde schickte.

„Wenn ich richtig liege, habe ich deine Hände in drei verschiedenen Farben leuchten sehen. Das Grün ist scheinbar für die Natur, das Blau war die Heilung von Rhaka und Gelb gegen die Schattengestalten. Vielleicht hast du noch mehr als die drei Kräfte, aber da wir nur die kennen, sollten wir uns erstmal auf die konzentrieren." Langsam blinzelnd sah ich ihn an. Er wollte mir bei meinen Kräften helfen? Eigentlich hatte der König ihm nur befohlen mir im Kampf zu helfen. Was wollte er erreichen? „Was ist?", fragte er genervt und ich schnaubte. „Wieso willst du mir bei meinen Kräften helfen?" Er stutzte. „Ich kann dich nicht im Kampf trainieren, wenn du deine Kräfte nicht unter Kontrolle hast. Wenn ich dich nochmal mit dem Schwert angreife und du mich mit deinen Ranken aufhältst, bringt das nichts. Du musst dich auf den Kampf konzentrieren." Das ergab sogar Sinn...

„Bleiben wir aber erstmal bei den Naturkräften, bevor wir uns an die anderen beiden machen. Versuch die Ranken mit positiven Gefühlen zu beschwören." Wieder atmete ich tief durch. Doch an welches Gefühl - welche Erinnerung - sollte ich denken? Die Erinnerungen an meine Patenmutter waren schön, aber nicht schön genug. Ich versuchte mich an einen Moment in meinem Leben zu erinnern, an dem ich wahrhaft glücklich war. Doch mir fiel nichts ein. Traurig sah ich ins Gras. „Du... hast keine glücklichen Erinnerungen?", fragte Kellan vorsichtig und ich nickte nur. „Und dabei dachte ich, du wärst eines von diesen typischen Mädchen, die gutbehütet und mit viel Geld aufwuchsen. Hochnäsig und eingebildet." Verständnislos sah ich ihn an. „Wie kommst du darauf?" „So wie du dich immer aufgeführt hast, hatte ich den Eindruck du wärst Teil dieser Gesellschaft." „Da muss ich dich wohl leider enttäuschen. Ich bin ärmlich und streng erzogen aufgewachsen. Tut mir leid, dein Weltbild zu zerstören, dass nicht jeder so ist, wie du ihn einschätzt." Ernsthaft angegriffen von seinen Worten, stand ich auf und wollte losgehen, als Kellan meinen Arm ergriff und mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen ansah. „Wir sind noch nicht fertig." „Ich schon.", gab ich wieder und riss meinen Arm frei und ging auf direktem Weg in mein Zimmer. Wut durchzuckte meinen Körper und ich erwischte mich dabei, wie ich eine gewisse Enttäuschung verspürte. Dass Kellan so von mir dachte, ärgerte mich. Dabei wollte ich mich nicht ärgern lassen.

Ich tigerte ein paar Minuten wütend im Zimmer umher, bis ich tief durchatmete und beschloss etwas zu essen. Mein Weg führte mich in die Küche des Schlosses, in der einige Frauen und Männer aufgeregt umher wuselten, um das Mittagessen fertigzumachen. Sie wirkten sehr gestresst und ich hörte den Chefkoch sagen, dass ihnen ein bestimmtes Kraut für die Lieblingssuppe des Königs fehlte. Als ich durch die Tür in die Küche trat, stoppten die Leute kurz, sahen mich freundlich lächelnd an und verbeugten sich höflich, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandten. Ich ging zum Chefkoch und sprach ihn an. „Verzeihung. Ihr sagtet es würde ein Kraut fehlen. Vielleicht kann ich helfen?" „Mit Verlaub, Madame, aber ich glaube nicht, dass Ihr uns helfen könnt. Uns fehlt ein sehr spezielles Kraut, dass leider nicht überall wächst." „Wie heißt es denn?" Der Koch sah mich unsicher an. „Fundelwurzel."

Ich nickte und legte meine Hände zusammen. Mit geschlossenen Augen leitete ich meine Energie an meine Hände weiter und öffnete sie wenig später wieder. Eine dicke Wurzel ist zwischen meinen Handflächen gewachsen und ich reichte sie dem Koch. Völlig perplex starrte er zwischen mir und der Wurzel hin und her. „Was...?", begann er, doch ich legte einen Finger über meine Lippen und brachte ihn zum Schweigen. „Der König hat befohlen kein Wort darüber zu verlieren." Sagte ich leise und der Koch nickte langsam. Er bedankte sich und fragte mich dann, wie er mir helfen könnte. Ich sagte ihm, dass ich gerne mein Mittagessen alleine im Zimmer essen würde. Er lächelte mich an und sagte mir, dass das kein Problem sei, also bedankte ich mich und verschwand zurück in mein Zimmer.

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