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Am Ende des Flurs öffnete sich erneut die quietschende Tür und mein Herz setzte einen Moment lang aus. Schwere Schritte kamen immer näher und blieben vor der Zelle meiner Mutter stehen. Die Tür wurde geöffnet und sie wurde wortlos fortgebracht. Ich beobachtete still was passiert war, während mein Herz im inneren so wild schlug, dass ich dachte es würde jeden Moment aus meiner Brust springen. Wo brachten sie sie hin? Würde ich die nächste sein?

Gerade als ich meinen Gedanken zu Ende gedacht hatte, ging die quietschende Tür erneut auf und die schweren Schritte blieben diesmal vor meiner Zelle stehen. Die Gestalt vor meiner Zelle hatte kein Gesicht und ich erschrak bei dem Anblick. Mir fuhr eine kalte Gänsehaut über den Rücken, als die Tür aufging und die Gestalt mich an meinem Arm packte. Ich wehrte mich nicht, sondern ging der Gestalt bereitwillig hinterher. So sehr ich auch wollte, doch ich konnte mich nicht wehren. Ich war wie gelähmt durch meine Angst. Alles in mir schrie, dass ich rennen sollte, doch ich befürchtete, dass es meiner Mutter dadurch schlecht ergehen würde. Also ließ ich mich mitreißen.

Wir liefen durch etliche dunkle Flure, die nur spärlich durch mattes Kerzenlicht erleuchtet waren, bis wir schließlich in einem großen Saal ankamen. Überall standen schwarze Säulen verteilt im Raum, passend zu den schwarzen Decken und Wänden, die den eigentlich großen Raum kleiner wirken ließ. An der Wand gegenüber der schweren Eisentür, durch die wir gekommen waren, waren große hohe Bogenfenster mit Bildern aus Buntglas, die Geschichten erzählten, und vor den Fenstern stand ein großer Thron aus schwarzen Knochen mit goldenen Ornamenten. Darauf saß eine zufriedenlächelnde Yeseda, die ihre Schwester zu ihren Füßen beobachtete.

Als Yeseda mich entdeckte, sprang sie förmlich aus ihrem Thron auf und stellte sich aufrecht hin. „Willkommen, meine liebe Nichte. Es freut mich sehr, dich wiederzusehen. Wir ist es dir ergangen?" Ich antwortete nicht und wurde von meinem Begleiter unsanft neben meiner Mutter zu Boden gedrückt. Ich kniete vor Yeseda und sah demütig zu meinen Händen herab, die ruhig auf meinen Oberschenkeln ruhten.

Yeseda schnalzte mit der Zunge. „Spielverderberin.", murmelte sie und setzte sich wieder auf ihren Thron. „Nun denn. Ich hoffe du hast dich entschieden deine Kräfte anzunehmen. Andernfalls bekommen wir ein großes Problem miteinander, meine Liebe." Ich schüttelte langsam mit dem Kopf. Yeseda seufzte. „Ich hatte wirklich gehofft, dass es nicht so weit kommen würde. Aber du lässt mir keine Wahl." Sie sprang wieder von ihrem Platz auf und eilte wutentbrannt auf Galaya zu. Sie griff fest in die Haare meiner Mutter und riss ihren Kopf hoch. Meine Mutter schrie schmerzerfüllt auf und ich sah Yeseda panisch an. „Was soll das! Lass sie los!" rief ich und wollte eingreifen, doch die Gestalt hinter mir ergriff meine Arme und hielt mich zurück. Yeseda grinste mich verächtlich an.

„Alles was jetzt passiert, ist allein deine Schuld. Das solltest du wissen." Yeseda zückte einen Dolch und hielt die Klinge an die Kehle meiner Mutter. „NEIN!" schrie ich, während Yeseda ihre Hand hob, um zuzustechen. Doch als die schwere Eisentür hinter uns aufsprang, hielt sie inne. Erschrocken drehte ich mich um und entdeckte Rhaka, Marigold, Calima, Finnian und Kellan in der Tür, alle mehr als bereit zu kämpfen. Bei dem Anblick machte mein Herz einen hoffnungsvollen Sprung, bis ich merkte, wo wir uns eigentlich befanden. „Nein..." keuchte ich atemlos. Sie würden sterben. Und das war allein meine Schuld. Was machten sie hier?!

Yeseda ließ meine Mutter los und beschwor mit ihrer freien Hand ihre Schattengestalten herauf. „Ihr seid wirklich die dümmsten Menschen, die ich je gesehen habe. Ich muss schon sagen, Schwesterchen, das ist mehr als enttäuschend."

Im nächsten Moment stürmten ein Dutzend Schattengestalten auf meine Freunde und ich schnappte ängstlich nach Luft. Meine Freunde kämpften um ihr Leben. Jeder von ihnen hatte ein Schwert und ein Messer und ich war verwundert, dass Calima scheinbar wusste, wie man damit umging.

Yeseda wandte sich mir zu, packte mich an der Kehle und hob mich hoch auf ihre Augenhöhe. Ihre lila Augen blitzten abfällig und sie hob den Dolch in ihrer Hand über ihren Kopf. „Wenn ich deine Kräfte nicht bekomme, dann soll sie keiner bekommen.", sagte sie und ich spürte, dass sie es ernst meinte. Sie würde mich umbringen. Blitzschnell stach sie zu. Das Messer glitt wie Butter durch meinen Bauch und ich spürte, wie alles in mir warm wurde. Meine Mutter neben mir schrie, doch ich bekam nichts mehr mit. Mir entglitt langsam mein Bewusstsein und ich konnte den Triumph in Yesedas Augen erkennen. Sie hielt mich noch immer an der Kehle hoch, meine Beine baumelten. Sie wollte mir beim Sterben zusehen. Doch plötzlich hörte ich einen wütenden Schrei und im nächsten Moment prallte ich unsanft am Boden auf. Ich keuchte und blickte mich um. Kellan. Er hatte sich auf Yeseda gestürzt und sie umgeworfen. Er griff sie mit seinem Schwert an und traf sie am Arm, doch Yeseda nutzte ihre Kräfte, um sich zu wehren. Sie kämpften immer weiter - alle um mich herum kämpften - doch ich lag einfach nur da. Ich fühlte mich nutzlos und war erschüttert, wie leicht ich mich hatte angreifen lassen. Ich hätte mich wehren sollen, kämpfen sollen. Genau wie meine tapferen Freunde. Doch ich war feige.

Ich blickte umher. Alles wirkte wieder wie in Zeitlupe. Während ich am Boden lag und vor mich hin blutete, kämpfte Kellan gegen Yeseda, Finnian gegen zwei Schattengestalten, Rhaka und Marigold gegen zwei weitere und Calima gegen die Gestalt ohne Gesicht, die mich aus der Zelle geholt hatte. Immer mehr Schattenfiguren kamen dazu und nach und nach gingen Rhaka, Cali und Marigold zu Boden. Mir entglitten Tränen und ich sah mich nach meiner Mutter um, doch auch sie lag reglos am Boden, ihr weißes Kleid bedeckt mit Blut. Nur Finnian und Kellan standen noch und ich wusste nicht was ich tun sollte. Mein Bewusstsein nahm immer weiter ab.

Als auch Finnian gefallen war, wanderte mein Blick zurück zu Kellan und Yeseda. Kellan kniete hilflos vor Yeseda und blockte ihre Schläge und Tritte gerade so mit seinen Armen ab. Ich wollte ihm helfen, ich konnte nicht ansehen, wie sie ihm schadete. Langsam kroch ich in ihre Richtung, mit aller Kraft, die ich noch hatte, in der Hoffnung, dass ich ihm irgendwie helfen könnte. Yeseda sah mich amüsiert an und verstand zu schnell, dass ich Kellan helfen wollte. Sie packte ihn an der Kehle und hob ihn nun über ihren Kopf nach oben. Sie drehte sich zu mir und zeigte auf Kellan. „Du willst ihm helfen? Dann nimm deine Fähigkeiten an und übergib sie an mich. Dann könnt ihr alle gehen." Kellan versuchte sich zu wehren, doch scheinbar drückte Yeseda seine Kehle fester zu und er griff panisch nach ihrer Hand um seinen Hals. Yeseda beachtete ihn nicht weiter und sah mich fordernd an. Mein Blick ging zwischen beiden umher. „Immer noch nichts? In Ordnung, dann macht es dir ja sicher nichts aus, wenn ich ihn schnell beseitige. Diese Kakerlake geht mir auf die Nerven." Sie hob ihre andere Hand, welche in lila Flammen aufging und wollte Kellan gerade die Hand in die Brust jagen, als mir ein panischer Schrei entglitt. „NEIN! BITTE!" Sie hielt inne und sah mich triumphierend an. „Du nimmst deine Kräfte also an?", fragte sie und ich nickte. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch.

Ich nehme meine Aufgabe als Mutter Tag an.

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Natures HeritageWhere stories live. Discover now