Kapitel 14 - Vibes

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Jake lehnte sorgfältig sein Bike an die Hauswand, lief die drei Stufen zur Haustür der Garcias hinauf und betätigte den Klingelknopf. Obwohl er keine Ahnung hatte, was genau er sich von dem Abend versprach, hatte er sich sorgfältig zurecht gemacht. Er war frisch geduscht, hatte großzügig Eau de Toilette aufgesprüht und seine dunklen Locken im Surferlook verwuschelt. Seine Wirkung auf Dee verfehlte dies jedenfalls nicht, denn als sie die Tür öffnete und ihm in die Augen sah, startete eine kleine Schmetterlingsversammlung in ihrem Bauch einen Rundflug.

Sie trat zur Seite, um Jake hineinzulassen. Für einige Sekunden standen sie beide sich schweigend im Flur gegenüber und vermieden es, einander anzusehen, bis Dee sich sammelte, eine einladende Handbewegung machte, und Jake bedeutete, ihr in ihr Zimmer zu folgen.

Normalerweise ging sie ganz locker mit Jake um, hatte nie Probleme, ihm Dinge zu erzählen oder einfach nur mit ihm abzuhängen, aber gerade eben bemerkte sie, dass sich die Stimmung zwischen ihnen verändert hatte. Seit dem Schulball war die unkomplizierte Freundschaft, die sie bisher miteinander verband, einer nervösen Unsicherheit gewichen.

So stand sie nun auch etwas verloren mitten im Raum, knetete ihre Finger und wartete ab, was Jake als nächstes tun würde. Dieser sah sich in ihrem geschmackvoll eingerichteten Zimmer um und nickte dann anerkennend in Richtung Dees imposanten 85 Zoll Fernsehers, den ihr Vater an der Wand genau gegenüber ihres Bettes angebracht hatte.

Jake setzte sich wie selbstverständlich auf das breite Bett und sagte: „Ja dann, lass uns doch einfach anfangen, oder?"

Jetzt musste Dee grinsen, ob der Zweideutigkeit dieses Vorschlags. Jake klopfte neben sich auf die Matratze, und sie ließ sich an seine Seite fallen, stopfte sich einige ihrer Kissen hinter den Rücken und angelte nach der Fernbedienung auf ihrem Nachttisch. „Was wollen wir überhaupt gucken?", fragte sie, während sie den Netflix-Kanal suchte.

„Egal", sagte Jake, „lass mal einfach was anfangen."

„Dann wäre ich für Bridgerton". Dee suchte die entsprechende Serie raus und drückte die OK-Taste auf der Fernbedienung.

„Dein Ernst?", fragte Jake, nachdem sie die ersten fünf Minuten lang Damen in monströsen Kleidern beim Tee zugesehen hatten.

„Ja, auf jeden Fall!", erwiderte Dee mit einem verschmitzten Lächeln, froh, dass ein bisschen von der Leichtigkeit zurückgekehrt war und die nervöse Spannung zwischen ihnen relativierte.

Jake lehnte sich auf dem Bett zurück, stützte sich auf seinen Unterarm und sah Dee an. „Wolltest du mir nicht noch was erzählen? Mir kam es so vor, als wäre das am Ballabend ziemlich dringend gewesen."

Dees Augen weiteten sich überrascht, mit dieser direkten Frage hatte sie jetzt nicht gerechnet. Dann jedoch richtete sich ihr Blick ins Leere. Die Erinnerung an die Gestalt im Kapuzenpulli überkam sie mit Macht und ließ sie innerlich frösteln. Der Songtext ‚ you can catch a cold from the ice inside yourself' fiel ihr als passender Vergleich ein. Sie versuchte in Worte zu fassen, was sie erlebt hatte, aber es gelang ihr nicht. Wie konnte sie Jake dieses Grauen, aber auch gleichzeitig diese dunkle, kranke Faszination erklären, die die Begegnung in ihr ausgelöst hatte? Später, dachte sie schließlich, und gab sich selbst eine Gnadenfrist. Gerade fehlte es ihr einfach an Mut, sich diesen Empfindungen erneut auszusetzen.

Stattdessen erzählte sie Jake von der anderen Sache, die ihr ebenfalls ständig durch den Kopf ging: Der Dauerstreit mit Christina. Jake hörte ihr zwar aufmerksam zu, wirkte allerdings ein wenig irritiert darüber, dass es schon wieder um die alten Streitigkeiten ging. Natürlich war auch ihm nicht verborgen geblieben, dass irgendetwas zwischen den beiden Freundinnen vorgefallen war, denn sie gingen sich plötzlich auffällig aus dem Weg und unternahmen nichts mehr miteinander. Aber ob das nun wirklich der Grund war für Dees späte Nachricht letztens? Auch auf dem Ball hatte er das Gefühl gehabt, sie wolle ihm ihr Herz ausschütten. Dass es um einen Streit unter Mädchen ging, hätte er jetzt wirklich nicht vermutet.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWhere stories live. Discover now