Kapitel 17 - Grauen

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Curt Henderson keuchte hinter Frances her, seinem Golden Retriever, der wesentlich fitter war als er selbst. „Warte Frances", japste er und wischte sich zum wiederholten Male die dicken Schweißtropfen von der Stirn. Frances war plötzlich vom Waldweg abgebogen und rannte nun rücksichtslos immer tiefer ins Untergehölz. Curt musste sich kurz an einem dicken Baumstamm abstützen und tief Luft holen, bevor er seinem hyperaktiven Hund ins Dickicht folgte. Schon nach kurzer Zeit war Frances nicht mehr zu sehen. Curt verfluchte die vielen Stücke Apfelkuchen, die fettigen Burger von C.J.s, aber auch die blöde Idee, zur Gewichtsabnahme joggen zu gehen. Und er verfluchte außerdem, dass er Frances immer alles durchgehen ließ und dieser deshalb gerade nicht die Bohne auf ihn hörte. „Frances!!!", brüllte er, „wenn ich dich erwische, bringe ich dich ins nächste Tierheim! Und vergiss, dass du weiterhin in meinem gottverdammten Bett schlafen darfst!" Curt hetzte schnaufend durch das lose Laub, trat auf abgestorbene, am Boden liegende Äste, die laut unter seinen Laufschuhen knacksten und ihn furchtbar nervös machten, wunderte sich nebenbei über den unangenehmen, süßlich-fauligen Geruch, der ihm zuvor gar nicht so deutlich aufgefallen war, als er Frances endlich entdeckte. Der Hund hatte seine typische „in diesen Kaninchenbau passe ich hinein"-Haltung eingenommen und kratzte aufgeregt mit den Pfoten. „Aus!", schnauzte Curt, ehe er überhaupt wusste, was Frances entdeckt hatte. Als er jedoch erkannte, was die Aufmerksamkeit des Hundes erregte, da wünschte er sich, er hätte nicht hingesehen. Er wünschte sich zurück auf sein Sofa und verfluchte seine Fitnessabsichten. Er blickte noch einmal auf die am Boden liegende Leiche, registrierte Dinge, die er nie in seinem Leben wieder vergessen würde, wandte sich mit einer fast eleganten Drehbewegung ab und übergab sich sprudelnd in das unschuldige Laub.

Detective Gregory Masterson hatte seine Mordserie, davon war er spätestens jetzt überzeugt. Er beobachtete die Forensikerin, wie sie sich behutsam um den Leichnam bewegte, sorgfältig von allen Seiten Aufnahmen mit ihrer Kamera anfertigte und mit einer Pinzette Proben entnahm, die sie in kleine Plastikröhrchen füllte. Er wandte sich zu dem armen Kerl um, der die sterblichen Überreste gefunden hatte, und der nun, grün im Gesicht, wie ein Häufchen Elend auf einem Baumstamm saß, neben sich einen äußerst agilen Hund, der sich nur schwer bändigen ließ. Kein Wunder, dass der Mann so in den Seilen hing, nach dem, was er zu sehen bekommen hatte. Der Leichnam war übel zugerichtet. Davon abgesehen, dass sich wilde Tiere an ihm zu schaffen gemacht hatten, wies der Hals, der ehemals glatt und sehr schmal gewesen sein musste, tiefste Schnittwunden auf. Die Wundränder jedoch waren nicht glatt, sondern ausgefranst, Fleischfetzen standen grotesk in alle Richtungen ab, so als ob sich jemand mit einem stumpfen Hackebeil daran ausgetobt hätte. Ein sogenannter Overkill, schätzte Gregory, was bedeutete, dass mit deutlich größerer Intensität Gewalt angewendet wurde, als für den Eintritt des Todes nötig gewesen wäre. Allerdings - und hier war er sich absolut sicher - tritt dieses Phänomen nicht im Zusammenhang mit Selbstmord auf. Was Gregory besonders nahe ging, war die Vermutung, dass es sich bei der verstorbenen jungen Frau um die vermisste Teenagerin handelte, deren Gesicht einem von Plakaten überall in der Stadt entgegenblickte. Er durfte gar nicht daran denken, dass ihm die Aufgabe zu kommen würde, die ohnehin schon völlig traumatisierten Eltern zu informieren und ihnen auch noch das letzte bisschen Hoffnung zu zerschmettern.

***
Oxnard, Kalifornien

Carla Houseman blickte Dee freundlich an, als sie sagte: „Ich mochte Deine Mutter wirklich sehr und werde Dir gerne das Ein oder Andere aus meiner Erinnerung erzählen, aber zunächst mal bist Du ja nicht deshalb zu mir gekommen. Ich denke, Du bist auf der Suche nach etwas. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, geht es um Träume, die Du hast?" Dee fühlte sich kurz etwas überrumpelt, war dann aber erleichtert, dass Carla ihr auf diese Weise den Einstieg in das beängstigende Thema ermöglichte, ohne dass sie noch weiter darum kreisten, wie eine Katze um den heißen Brei. Sie holte tief Luft, dann nickte sie.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWhere stories live. Discover now