Kapitel 29 - Der Stoff aus dem die Träume sind

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Bei einem Albtraum bist Du zugleich Regisseur als auch Zuschauer Deines eigenen Horrorfilms

Dieser Traum war neu. Nicht der mittlerweile vertraute Urgroßvater kam darin vor, aber auch nicht Laurie Holland.

Stattdessen befand Dee sich in einem Waldgebiet, das ihr vage bekannt vorkam. Als Kind war sie mit ihren Eltern häufiger im Los Padres National Park wandern gewesen, einem Wiesen- und Waldgebiet, das sich im Hinterland zwischen Ventura und Monterey erstreckte und beeindruckende Felsformationen, weitläufige Täler, Wasserfälle und verwunschene Badestellen zu bieten hatte.

Von ihrem Wohnhaus war dieses schöne Fleckchen Natur relativ schnell zu erreichen, und sie hatten damals öfter die Gelegenheit genutzt, dort spazieren oder schwimmen zu gehen. Doch das war lange her. Und nun fühlte sich der Traum so an, als würde sie sich in diesem Park befinden.

Sie stand am Anfang eines Kieswegs, der sich bergauf durch ein Feld voller unterschiedlicher Wildblumen schlängelte. Neugierig sah sie sich um, beobachtete, wie sich die Gräser und Blüten leicht hin und her bewegten, als hätte eine Windböe sie erfasst. Sie wollte noch stehen bleiben und weiterhin diesen Anblick genießen, aber der Traum hatte anderes mit ihr vor. Zögerlich setzte sie sich in Bewegung und folgte dem Weg, fast so, als wüsste ihr Traum-Ich, wo es hinzugehen hatte. Obwohl der Anstieg steil war, bewältigte Dee ihn mühelos. Körperliche Anstrengungen schien es im Traum nicht zu geben.

Das Landschaftsbild veränderte sich. Akazien- und Zypressenbäume verdrängten nach und nach die vielen Wildblumen, das Gras wurde dunkler und länger, veränderte seine Struktur. Der Kiesweg, auf dem Dee gekommen war, hatte sich zu einem ausgetretenen Trampelpfad entwickelt, in dem sich Reifen- und Fußspuren fanden.

Parallel zur Umgebung änderten sich auch Dees Empfindungen. Hatte sie sich gerade noch entspannt und sicher gefühlt, ergriff sie nun eine unbestimmte Furcht, gepaart mit Hoffnungslosigkeit und Trauer. Alles in ihr sträubte sich weiterzugehen. Aber ihre Füße wollten nicht stoppen. Lass mich aufwachen, dachte sie verzweifelt. Aber diesen Gefallen wollte ihr Unterbewusstsein ihr nicht tun.

Sie hatte nun ein stark bewaldetes Areal erreicht. Den tiefblauen Sommerhimmel, der gerade noch für eine Bilderbuchkulisse gesorgt hatte, konnte man hier oben kaum noch sehen. Dee sah sich widerwillig um. Sie wollte zurück, den Weg durch das Blumenfeld hinunter in die Sonne und in die Wärme.

Stattdessen fiel ihr Blick auf ein teuer aussehendes Mountainbike, das ordentlich an einen Baum gelehnt war. Das ist ein Scheiß-Albtraum, dachte sie entsetzt, obwohl sie bisher ein Fahrrad nicht unbedingt zu den klassischen Horrorelementen gezählt hätte. Ihr Blick wanderte nach oben, über faseriges Moos und über die kleinen Risse in der Rinde des Baumes, die wie winzige, ausgetrocknete Flussbetten aussahen.

Ihre düstere Vorahnung bestätigte sich. Um einen der dickeren Äste war ein Seil geschlungen, der untere Teil zu einer Henkersschlinge geknüpft. Dee kämpfte jetzt  mit aller Macht darum,  aus diesem Traum zu erwachen, was ihr schließlich auch gelang. Allerdings nahm sie während des Schwebezustandes zwischen Tiefschlaf und Erwachen, am Rande ihres Bewusstseins, schemenhaft den mittlerweile vertrauten Anblick des Kapuzenpullis wahr.

***                         

Während Dee mit nächtlichen Dämonen kämpfte, hatte Christina einen angenehmen Traum. Sie sah die Gestalt in dem dunklen Hoodie am Strand stehen, den Blick auf die unruhigen Wellen des Pazifiks gerichtet. Anders als die anderen, die bei der Begegnung in eine lähmende Angst verfielen, empfand Christina eher Neugierde. Das Bedürfnis, hinter die Fassade dieser geheimnisvollen Figur zu blicken. Und da war noch ein anderes Gefühl, das diesen Traum begleitete: Verständnis. Christina spürte den Zorn, der von der Gestalt ausging, sie konnte ihn deutlich fühlen, auch wenn sie nicht direkt davon angesteckt wurde. Es war eher so, dass sie nachempfinden konnte, was diese Wut auslöste. In gewisser Weise sah sie in dieser undurchsichtigen, unterschwellig zornigen Gestalt einen Mitstreiter. Einen Seelenverwandten, einen dunklen Ritter, der neben ihr kämpfte, wenn sie gegen ihre eigene Nemesis zu Felde zog.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ