Kapitel 61 - Team Ghostbusters

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Ventura 1984

Wie in Trance richtete Stanley sich schließlich auf und blickte durch einen Tränenschleier auf Finley und seine Schergen.

„Hör zu, du erbärmliches Polenschwein, wir geben dir eine Chance, wie du uns ein für alle mal loswirst. Morgen Mittag an dem Rastplatz oben im Wald? Ich weiß, dass du da manchmal hingehst! Keine Ahnung was du da treibst, du Psycho. Aber wenn du um vierzehn Uhr da bist, kannst du dich befreien."

Er spuckte geringschätzig ein weiteres Mal aus und drehte sich dann um. Seine tumben Freunde folgten ihm und ließen einen innerlich völlig zerstörten Stanley zurück.

Ventura heute

Das erste, was Dee bemerkte, nachdem ihre Sinne sich geklärt hatten, war das Blinken ihres Mobiltelefons, das eine eingegangene Nachricht anzeigte.

Als sie auf das Display schaute, weiteten sich ihre Augen überrascht. Mit einer schnellen Handbewegung öffnete sie den kurzen Text.

„Hey, Lust auf ein Spiel, Ihr alten Langweiler? Ich bin gleich oben auf dem Partyplatz von gestern. Spielregeln erfahrt Ihr dort. Bis dann, wer sich traut, Ethan."

Dees Finger zitterten, als sie nur einen Augenblick später eine Nachricht an Bones, Richie und Jake verfasste.

„Habt Ihr auch diesen weirden Quatsch von Ethan bekommen? Aber davon mal abgesehen - gerade eben hatte ich einen Traum, oder eine Vision, oder was auch immer, jedenfalls werde ich jetzt hoch in den Wald zu unserem Rastplatz fahren. Christina scheint in diesen Schacht zu wollen, und dass Ethan irgendetwas plant, sagt uns seine Message, aber auch das habe ich in meiner Vision gesehen. Bitte versucht nicht, mir das auszureden. Ihr könnt mitkommen, aber ich gehe auch ohne euch."

Genau vier Sekunden, nachdem sie auf Senden gedrückt hatte, klingelte ihr Telefon.

Richie.

Dee schloss ganz kurz die Augen, bevor sie den Anruf entgegen nahm.

„Ich komme mit", war das erste was er sagte. Und dafür liebte sie ihn gerade sehr. Dafür, dass er nicht versuchte, ihr dieses Himmelfahrtskommando auszureden, dass er nicht mit Ratschlägen kam, besser den Detektive um Hilfe zu bitten oder den Traum zu ignorieren.

Bones schrieb kurz darauf in die Gruppe:

„Komm bitte vorher hie vrbei",

was Dee zu einem kurzen Stirnrunzeln veranlasste.

Jake reagierte auf die Nachricht absurderweise mit dem Daumen-hoch-Symbol, so als würden sie sich zu einem Picknick verabreden.

Mit einem Blutdruck, der der Intensität eines Presslufthammers Konkurrenz gemacht hätte, trat Dee nur Minuten später in die Pedale und raste durch die nachmittäglich ruhigen Straßen Venturas, nachdem sie ein paar Kleinigkeiten in ihren Rucksack geworfen und sich das Medaillon an einem einfachen Lederbändchen um den Hals gehängt hatte.

Bones wartete schon draußen, als sie, Richie und Jake kurz nacheinander in die Straße einbogen, in dem das Haus der Familie Springfield stand.

Erschrocken über Bones' desaströses Aussehen, machte Dee eine Vollbremsung und ließ ihr Rad achtlos auf den Bürgersteig fallen.

„Wie siehst du denn aus?"

„Danke, du biss heute auch scher hübsch!"

„Mal im Ernst jetzt, du bist leichenblass", sagte sie besorgt, während sie resolut auf ihn zuschritt. Schnuppernd hob sie ihre Nase.

„Und du riechst wie ein ganzer Liquorstore!"

Jake, der ebenfalls von seinem Bike abgestiegen war, kam nun näher und nahm Bones kritisch ins Visier.

„Sag mal, Junge, was hast du dir denn dabei jetzt wieder gedacht?"

Bones schnaubte wütend, bevor er sich rechtfertigte:

„Ja, en schulligt bitte, dass ich nich vorsehallber nüchtern  bliebenbinn, damit ich jedesseit mittem Ghostbusters-Club auf Tuuuhr gehn kann."

Richie, der noch auf seinem Fahrrad saß, fluchte leise.

„Vielleicht brauchst du erstmal einen Kaffee!", schlug Jake vor.

Dee knetete ungeduldig ihre Hände.

„Das dauert zu lang, glaube ich. Entweder Bones wird jetzt gleich wieder fit, oder wir müssen ohne ihn gehen."

„Dann gehen wir ohne ihn", schlussfolgerte Richie gnadenlos, während Bones noch eine Spur blasser um die Nase wurde, wobei das im Grunde gar nicht möglich war.

„Du biss so ein Aaschloch, Richard", sagte  er mit kloßiger Sprache, fasste sich mit einer plötzlichen Bewegung an den Hals, stürzte in Richtung des Vorgartens seiner Mutter und spuckte einen Schwall Restalkohol über die blütenweißen Rosen.

Der Geruch von Erbrochenem stieg Dee in die Nase und ließ sie leise aufstöhnen.

Bones schüttelte sich wie ein nasser Hund und lehnte sich dann vorsichtig mit der Hüfte gegen den grün gestrichenen Gartenzaun. Der Ton des wettergegerbten Holzes ähnelte beängstigend der ungesunden Färbung seiner Gesichtshaut.

Zumindest hatte die Kotzeinlage aber geholfen, seine Sinne ein wenig zu klären. Er artikulierte sich weitaus deutlicher als noch Sekunden zuvor.

„Wenn ihr geplant habt, irgnwie in diesen Schach reinzugehen, habt Ihr hoffelich an'n Seil gedacht."

Niemand reagierte.

So desolat Bones Zustand auch sein mochte, er konnte nicht umhin, den kurzen Moment des verblüfften Schweigens zu genießen, den seine Frage hervorgerufen hatte. Dann wandte er sich an Richie und sagte scharf:

„Wolltest du se ernshaft ohne irgendeine Sicherung da reinsteigen lassen, du bist so'n Lauch."

„Du hast Recht, das ist eine gute Idee sich irgendwie abzusichern, aber ich habe tatsächlich an nichts dergleichen gedacht", erwiderte Dee und legte beschwichtigend ihre feingliedrigen Finger auf Bones fleischigen Unterarm.

Zornig schüttelte Bones ihre Hand ab, und hastete dann in Richtung des Werkzeuschuppens seines Vaters, weshalb ihm Dees verletzter Gesichtsausdruck entging. Minuten später kam er mit einem langen Nylonseil zurück, das Bergsteiger nutzten, oder auch ängstliche Menschen, um sich damit bei einem Feuerausbruch aus dem Fenster ihres brennenden Hauses retten zu können.

Er reichte es Richie, der bestürzt bemerkte, wie stark Bones Hand dabei zitterte und wie fahl dessen Haut noch immer wirkte. Und wie zur Bestätigung drehte Bones sich plötzlich diskret zur Seite und verunzierte zum zweiten Mal die Blumenbeete seiner Mutter.

Ventura 1984

Obwohl Stanley sich sehr deutlich bewusst war, dass es keine gute Idee sein konnte, zu dem von Finley angegeben Treffpunkt zu kommen, gab es keine Alternative.

Er hätte sich seinen Eltern anvertrauen müssen.

Er hätte sich der Polizei anvertrauen müssen.

Er hätte sich, in welcher Form auch immer, irgendwo Hilfe holen müssen.

Aber er machte sich nichts vor. All das hätte doch nichts geändert. Sie würden ihm weiterhin auflauern, schlimmer als je zuvor. Sein Selbstwertgefühl war zerstört, es gab keine Heilung.

Für Stanley stellte sich demnach nicht die Frage, ob er die Einladung Finleys ignorieren konnte.

Mit einem Anflug von Traurigkeit betrachtete er seine Mutter, die in der kleinen Küche stand und Kartoffeln schälte.

„Ich mache noch kurz eine Tour in den Wald", murmelte er, in der Hoffnung, dass sie nicht weiter nachfragen würde.

Und tatsächlich nickte sie nur und erwiderte:

„Es wäre schön, wenn du pünktlich zum Abendbrot zurück kämst. Dein Vater freut sich, wenn wir gemeinsam essen."

Stanley schloss ganz kurz die Augen, so als wolle er dieses vertraute Bild ausblenden.

Mit einem knappen „Bis bald", verließ er schnell die Wohnung.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWhere stories live. Discover now