Kapitel 11 - Nur ein Tanz

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Aber Dee blieb stehen. Das Blut war ihr in den untersten Bereich ihrer Beine gerutscht und gab ihr das Gefühl, ihr Gehirn hätte sich in Wackelpudding verwandelt, und wäre dadurch nicht mehr in der Lage, Befehle an Nerven und Muskeln weiterzuleiten.

„Dee?", Richie schüttelte leicht ihren Arm. "Du musst aufs Treppchen. Du wurdest gewählt."

Sie sah ihn an und brauchte weitere Sekunden, bis sie realisierte, dass er Recht hatte. Sie war wirklich gewählt worden von den Schülern ihrer Highschool. Vor Anne und vor Eve, die sicherlich auch gute Chancen gehabt hätten.

Endlich setzte sie sich in Bewegung und konnte es nicht lassen, Christina doch noch einen kleinen Seitenhieb zu verpassen. Mit einem Blick unter ihren unverschämt langen Wimpern hervor zwinkerte sie ihr ein weiteres Mal zu.

Richie sah ihr nach, als sie mit ihren langen Beinen über die Tanzfläche schritt. Alle Blicke waren auf den tiefen Rückenausschnitt ihres Kleides gerichtet, viele bewundernd, noch mehr beneidend.

Er hatte Dee gewählt, das war für ihn gar keine Frage gewesen. Er fand, mit ihrem aparten Äußeren wirkte sie wie eine Elfe aus dem Märchen. Bei der Wahl zum König hatte er für Jordan gestimmt, weil der sein bester Kumpel war, und es wäre leichter zu ertragen gewesen, Jordan an Dees Seite zu sehen. Noch mehr hätte er sich natürlich gefreut, wäre die Wahl auf ihn selbst gefallen, aber so richtig hatte er daran nie geglaubt. Er hielt sich für zu unscheinbar, nicht groß genug, nicht attraktiv genug. Doch dass die Krone nun an Jake gegangen war, gefiel ihm irgendwie überhaupt nicht.

Dee fing Jakes Blick auf, während sie mit wackligen Beinen auf das Podest stieg. Sein Gesichtsausdruck wirkte verunsichert, er sah in diesem Moment so unglaublich jung aus, und fast ein wenig überrascht darüber, dass er jetzt hier oben stand.

Nacheinander wurde ihnen die jeweilige Krone aufgesetzt - Dee wusste später nicht einmal mehr zu sagen von wem - es folgte ein tosender Applaus mit der lautstarken Forderung zu tanzen.

„Los, jetzt, Jackson, schaff sie auf die Tanzfläche", grölte es anzüglich aus der Menge.

Jake sah sie fragend an, sein Blick flackerte unstet, woran sie erkannte, wie nervös er sein musste. Doch dann stieg er die zwei Stufen des kleinen Treppchens hinunter und hielt Dee seine Hand entgegen.

„Darf ich bitten, meine Königin?", fragte er mit einem ironischen Unterton, während er eine Verbeugung andeutete.

Er versucht es zu überspielen, dachte Dee, aber ich glaube, er ist genauso aufgeregt wie ich.

🎶 I was a quick wet boy
divin' too deep for coins 🎶
tönte es im nächsten Moment schleppend aus den Lautsprechern.

Dee hob skeptisch die Augenbrauen, als sie Jake zaghaft den Arm auf die Schulter legte.
Flightless Bird, aus Twilight, das fand sie nun wirklich etwas aufgesetzt, ja, fast erzwungen romantisch.
Funksoulbrother hätte ihr eher zugesagt.

Jake beugte sich zu ihr herunter, sein Atem streifte ihr Ohr.
„Ich bin etwas nervös. Aber ich freue mich trotzdem, mit dir zu tanzen."

Dee brachte ein schiefes Lächeln zustande.
„Mal sehen, ob das klappt zu diesem Lied."

Aber es tat letztendlich nichts zur Sache, zu welcher Musik sie tanzten. Sie machten diesen Tanz zu ihrem Moment. Denn plötzlich fühlte es sich an, als wären sie ganz alleine in einem leeren Saal, sie blendeten alle anderen um sich herum aus. Dee konnte sich nicht so ganz erklären, was sich gerade zwischen ihnen veränderte, und auch nicht, weshalb es passierte. Ein wenig verwundert sah sie Jake in die Augen und bemerkte weder Christinas bitterböse Blicke, noch, dass Richard einen Long Island Icetea vor sich stehen hatte, den er bedrohlich schnell leerte. Hier hieß er übrigens nicht Long Island sondern Ventura Beach, dennoch hatte er die gleichen Zutaten, nämlich Rum, Wodka, Gin und Triple Sec Curaçao.

Jake zog Dee näher zu sich, als es vielleicht angemessen gewesen wäre und atmete den Duft ihrer Haare ein. Auch er realisierte, dass irgendetwas anders war, nur eine Nuance, zu wenig greifbar, um es einordnen zu können. Eins wusste er allerdings ziemlich sicher, nämlich, dass er sie im Moment einfach nicht mehr loslassen wollte. Dee passte sich mühelos seinen Bewegungen an, jeder Schritt saß wie einstudiert, doch sie tanzten, ohne darüber nachzudenken. Dee registrierte nur am Rande, dass Jakes Lippen ihre Haare streiften. Ihre Finger verschränkten sich ineinander, und in diesem intimen Moment kam ihr das wie ein Versprechen vor. Sie schloss die Augen und überließ sich seiner Führung.

Der nächste Song, der auf der Playlist des Organisationsteams stand, war Not fair von Lily Allen.

🎶 When we go up to bed
You're just no good
It's such a shame 🎶

In einer schnellen Abfolge drangen die Worte aus den Lautsprechern und man musste höllisch aufpassen, dass man bei der Fußfolge nicht durcheinander kam. Und tatsächlich benötigten Dee und Jake mehrere Anläufe, bis sie ihren Rhythmus gefunden hatten.
Sie traten sich wiederholt auf die Füße, was Dee erröten und Jake verlegen grinsen ließ, versuchten es erneut und stießen mit den Knien gegeneinander.

"Konzentrier' dich, Süße", ermahnte Jake, während Lily Allen reklamierte: You're supposed to care, but you never make me scream, no you never make me scream

Dee fing unseriös an zu kichern, und wieder war es mit der professionellen Haltung vorbei. Schließlich gelang es ihnen aber doch noch ganz gut, die Schrittkombination ohne blaue Flecken zu meistern.

Auf die fröhliche Melodie von Not Fair folgten die langsameren, schweren R&B Rhythmen des Songs Crazy in Love, einem Liebeslied aus dem Erotik-Film Fifty-Shades of Grey.

🎶 I look and stare so deep in your eyes
I touch on you more and more every time 🎶

Als würde Jake das wörtlich nehmen, legte er seine Arme behutsam um Dees schmale Taille und zog sie eng an sich. Ihr Puls hüpfte unkontrolliert in ihrer Brust, als sich ihre Oberschenkel bei jeder Bewegung wie selbstverständlich berührten. Plötzlich führte Jake sie nicht länger, sie wurden eins miteinander.

Wüsste ich nicht, dass wir tanzen, ich würde denken, dass es hier um mehr geht, schoss es ihr durch den Kopf.

You got me, seufzte Beyoncé, und Dee fragte sich, ob sie ihr rechtgeben musste.

Sie hätten ewig weiter tanzen können, zu dieser gefühlvollen Filmmusik, bei der jede gesungene Silbe fast wie eine Streicheleinheit wirkte.

Dass ihr Auftritt eindeutig für Getuschel sorgte, bekamen sie dabei gar nicht mit.

Als Beyoncés letzte Worte verklangen, wirkte die plötzliche Stille unangenehm laut.

„Die Musik ist vorbei, glaube ich", flüsterte Jake.

Dee sah ihm in die Augen.

„Welche Musik?", fragte sie leise.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt