Kapitel 46 - Das Schwitzhüttenritual

70 12 83
                                    

„Gib mir bitte mal diesen ganz Langen da", sagte Bones zu niemand Bestimmten und wies auf den Haufen unterschiedlicher Äste, die sie gerade mühsam zusammengetragen hatten.

Jake zerrte an dem glatten Stamm einer jungen Espe und bemühte sich dabei, den Spitzen der vielen dünnen Zweige auszuweichen, die es offenbar auf sein Gesicht abgesehen hatten.

Richie saß auf einem Felsvorsprung und studierte die Bauanleitung, die sie sich ausgedruckt hatten.

„Wir müssen diese Enden hier zusammenbinden", erklärte Dee, während sie zwei biegsame Astspitzen aneinander hielt und sie prüfend betrachtete.

„Hast Du eigentlich Isabelle und Allegra Bescheid gegeben, dass wir dieses bescheuerte Ding hier machen?", fragte Richie und wedelte mit dem Schriftstück durch die Luft.

Dee schüttelte nur den Kopf anstatt zu antworten, und verband die beiden Zweige mit einem Stück Kordel.

Es dauerte über zwei Stunden, bis das Grundgerüst für ihr spirituelles Vorhaben stand. Ein kuppelförmiges Dach, errichtet aus langen, biegsamen Ästen, die sie zuvor mit einer kleinen, handlichen Axt geschlagen hatten. Als Feuerstelle dienten einige größere Steine, die man im nahegelegenen Flussbett des Arroyo Grandes finden konnte. Bones hatte neben der Axt auch noch ein großes Stück Zeltplane aus dem Werkzeugschuppen seines Vaters entwendet. Wobei entwendet  wohl nicht die richtige Bezeichnung war, wenn man bedachte, dass seit dessen plötzlichem Tod niemand mehr einen Fuß in die kleine Werkstatt setzte.
Jake und Dee zerrten gemeinsam an dem sperrigen Stück Stoff, um das Provisorium möglichst flächendeckend zu verschließen.    Ihre Finger berührten sich dabei, was sich beschleunigend auf Dees Herzschlag auswirkte. Jake warf ihr einen schnellen Blick zu, den sie jedoch ignorierte.

Sie befestigten die Ränder der Plane so gut es ging unter den Verstrebungen des Gerüstes. Am Ende konnte man noch vereinzelte Lücken in ihrem Kuppeldach erkennen, doch das beruhigte vor allem Richie irgendwie, da er nach wie vor sehr besorgt war, dass eine Kohlenmonoxidvergiftung ihr Leben beenden könnte.

Als sie wenig später die dürren, trockenen Zweige in der Mitte der Feuerstelle anzündeten, sprachen sie nur das Nötigste. Angespannt setzten sie sich schließlich um die kleinen wärmenden Flämmchen, die sich bald zu einem ansehnlichen Feuer entwickelten.

Konzentriert studierte Richie noch immer die Seiten mit dem ausgedruckten Text. Mit dem Finger tippte er auf eine Stelle des Papiers.

„Laut Beschreibung müssen wir jetzt warten, bis irgendeiner Visionen bekommt", verkündete er mit einem kritischen Unterton.

„Lass mal beschleunigen!", sagte Jake grinsend, schob die Hand in die Tasche seiner College-Jacke und beförderte einen kleinen Plastikbeutel mit Marihuana zutage.

„Das ist doch nicht dein Ernst", rief Dee verärgert aus.

„Klar, Mann, ich habe echt keine Lust, hier Stunden auf eine Vision zu warten."

Während Jake sich eine ordentliche Tüte baute, starrten die anderen in die Flammen. Niemand sprach. Jake zündete das Ende des Joints an und inhalierte den Rauch, bevor er ihn an Bones weiterreichen wollte. Doch der lehnte ab. So wie der Rest der kleinen Gruppe auch.

Nichts geschah. Das leise Prasseln des Feuers war das einzige wahrnehmbare Geräusch - von dem heiseren Ruf eines Steinadlers, der in großer Höhe seine Kreise über ihrem Lager zog, einmal abgesehen.

Die Spitzen der Flammen zitterten leicht. Sie verzogen sich. Oder?

Dee versuchte, sie mit den Augen zu fixieren, aber es gelang ihr nicht. Jetzt dehnten sie sich aus, veränderten ihre Farbe. Rauch kitzelte ihre Nase, drang in die Atemwege und kratze an den feinen Verästelungen ihrer Bronchien. Kurz schoss ihr durch den Kopf, dass das hier wahrlich nicht gesund sein konnte, als sie plötzlich glaubte, ein Gesicht in den Flammen zu erkennen. Carlas Gesicht.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleМесто, где живут истории. Откройте их для себя