Kapitel 24 - Geteiltes Leid ist halbes Leid

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„Ritch, bitte nicht - wach auf", wimmerte Dee.

Mittlerweile hatte Bones' Bewusstsein sich fast vollständig geklärt. Als er realisierte, was er getan hatte, wurden seine Augen unglaublich groß, und seine Gesichtszüge entgleisten regelrecht. Wäre die ganze Situation nicht so tragisch gewesen, hätte sich Dee über seinen Anblick amüsiert. Er schüttelte sich einmal kurz, packte dann Richie unter die Arme und zog ihn aus dem Wasser. Dessen Kopf hing schlaff zur rechten Seite, aus der Nase rann Blut. Er war bewusstlos.
Das ließ Bones nun endgültig wach werden. „Scheiße!", fluchte er, bewegte sich rückwärts auf den Strand zu, während er Richie behutsam in den Armen hielt.

Nachdem sie ihn aus dem Wasser gezogen hatten, betteten Bones und Dee den Bewusstlosen vorsichtig auf den weichen Sandboden.
„Wach auf, bitte!" Dee klopfte ihm immer wieder sanft auf die farblosen Wangen.

Endlich stöhnte Richie schmerzerfüllt, seine Lider flatterten und er öffnete langsam erst das eine, dann das andere Auge.
„Oh Mann, ich bin so ein Arschloch, tut mir echt leid, Ritch!" Bones Stimme klang erschüttert. Fahrig raufte er sich die Haare, was das Zittern seiner Hände allerdings trotzdem nicht verbergen konnte.
Richie tastete vorsichtig nach seiner Nase. „Was hattest du eigentlich vor?" , krächzte er, „wolltest du dich im Meer ersäufen?"
Bones blickte zwischen Dee und Richie hin und her. „Ich", er zögerte, sprach dann stockend weiter, „ich habe da was gesehen. Oder, eher jemanden...."

Alarmiert sah Richie zu Dee. Dann wandte er sich an Bones: „Wen denn?"

„Das war total unheimlich, ich habe zum Meer gesehen, und plötzlich stand da ein Typ. So ein Typ mit..."
„Mit Kapuze?", fragte Dee. Bones riss die Augen auf. „Ja, aber woher weißt du das?"

„Du hast ihn also auch gesehen, Dee", stellte Richie sachlich fest.
Dee wandte sich ihm zu, auch wenn sie nicht sofort antwortete. Sie suchte in seinen Augen nach dem selben Grauen, das sie vor wenigen Tagen auch schon bei Jake gesehen hatte und das sich vermutlich ebenfalls in ihrem eigenen Blick widerspiegelte. „Du auch, oder?", fragte sie schlicht. Richie nickte müde und wischte sich mit dem Handrücken über die geschwollene, schmerzende Nase. Die Bewegung hinterließ eine blutige Spur auf seiner Haut.

„Könntet ihr mir bitte sagen, was hier vorgeht?" Bones Stimme klang aufgebracht und erschrocken zugleich. Dee sah ihn an und bemerkte erleichtert, dass er zwar immer noch einen ziemlich derangierten Eindruck machte, aber die hilflose, mechanische Haltung, die sie vorhin so bestürzt hatte, war endlich ganz verschwunden.

„Ich habe ihn hier am Strand bemerkt, damals als wir noch nachts surfen waren, erinnerst du dich?" Richie blickte Bones fragend an, doch der reagierte nicht. Er saß nur mit großen, ungläubigen Augen da und hörte zu.

„Und Dee, glaube ich, am Abend als der Ball war, hab ich Recht?"

Sie nickte zögerlich. Jetzt war er da, der Moment, den sie so gefürchtet hatte. Irgendwie hatte sie wohl gehofft, der Kapuzenmann würde aus ihrer Erinnerung verschwinden, wenn sie nicht über ihn sprach. Und vielleicht würde er auch nicht wieder auftauchen, so dass sie sich irgendwann fragen konnte, ob er überhaupt real gewesen war. Aber dann fiel ihr ein, dass auch Jake dieses Thema angesprochen hatte und dass es wohl ziemlich naiv war, wenn man sich einredete, es sei gar nichts passiert. Sie erinnerte sich an die Rückfahrt von Oxnard, wo sie Carla Houseman aufgesucht hatte, und wie groß ihr da die Notwendigkeit erschienen war, mit Richie darüber zu reden.

„Sie sah ihre beiden Freunde an und antwortete: „Ja, an dem Abend, als ich zur Schule gelaufen bin, da stand er auf einmal da, so wie hingebeamt. Wie ein Geist, nur dass ich ihn deutlich sehen konnte. Bis auf das Gesicht. Das konnte ich nicht sehen." „Ich auch nicht", warf Bones ein, „wie verschwommen war das. Als bräuchte ich eine Brille."
„Aber nur fürs Gesicht, oder?", fragte Richie, „alles andere ist ganz klar zu erkennen.".
Bones nickte zustimmend, während Dee sich nervös auf die Lippen biss.
„Jake hat ihn auch gesehen", sagte sie dann. „Er will euch schon die ganze Zeit davon erzählen, wir müssen ihn mit einbeziehen."
Richie verspürte einen kleinen, fiesen Anflug von Eifersucht, als Dee Jake erwähnte. Es enttäuschte ihn, dass sie sich mit Jake offensichtlich über den Kapuzentyp ausgetauscht hatte, mit ihm selbst aber nicht.
„Was ist mit den anderen, mit Isabelle, Jordan, Ethan?", fragte Bones.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie noch keine Begegnungen hatten,", überlegte Dee, „Jake und ich haben ihn schon mal gesehen, auf dem Weg zu diesem Milkshake-Laden, Dairy Queen, oder so ähnlich. Da hat aber sonst niemand irgendwas mitbekommen."
„Da war ich doch mit", warf Bones ein. „War das, als Jake mitten auf der Straße stehen geblieben ist?" Dee nickte.

Bones schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Ich habe mich echt gewundert, was da los war. Hab nichts mitbekommen von 'nem Kerl in 'ner Kapuze. Aber dafür habe ich den Typen ja gerade eben gesehen. Vielleicht ist den anderen was Ähnliches passiert?"

„Ich weiß nicht", sagte Dee. „Mich wundert auch, dass von der Aktion hier gerade niemand was mitbekommen hat. Schau sie dir an, sie sitzen da alle friedlich und feiern, und sie haben mit Sicherheit nicht mal bemerkt, dass Du ins Wasser gegangen bist."
„Und mir eine reingehauen hast", ergänzte Richie mit anklagendem Unterton.
„Sorry, Mann, das tut mir ehrlich leid. Ich war wie vernebelt." Bones verschwieg vorsichtshalber, wie wütend er noch vor wenigen Minuten auf Richie gewesen war.
„Schon gut", sagte Richie, „aber ich will trotzdem wissen, was das für ein Kerl ist. Warum sehen wir ihn, andere nicht? Warum erschreckt der einen so?"
„Also erschrocken war ich nicht, so würd' ich das nicht beschreiben. Ich war traurig. Und ich wollte nicht mehr hier sein, ich wollte überhaupt nirgendwo sein", versuchte Bones seine Empfindungen zu beschreiben.
„Ich habe von ihm geträumt", sagte Dee. Bones und Richie starrten sie an. „Warum hast du das nie erzählt?", fragte Richie vorwurfsvoll. „Das wollte ich ja", verteidigte sie sich, „aber ich konnte nicht. Bitte lass uns das morgen in Ruhe besprechen. Und wir müssen auch Jake mit einbeziehen."

„Also gut, dann morgen Abend bei mir zu Hause", schlug Bones vor. „Ich werde Jake auch Bescheid geben."

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWhere stories live. Discover now