Kapitel 27 - Hinweise

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Keiner sagte ein Wort. Alle drei Jungs sahen Dee betreten an und wussten nicht, was sie von ihrer Eröffnung halten sollten. Richie fand als erster seine Sprache wieder: „Könnte es denn gar nicht sein, dass du sie irgendwann vorher mal gesehen hast, dann hast du gehört, dass sie verschwunden ist, und das hat dich so beschäftigt, dass du davon geträumt hast?", schlug er vor.

Jake nickte eifrig, zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger zustimmend auf Richie und sagte: „Genau!"
Nur Bones verhielt sich still, weil er genau wusste, dass die Erklärung ganz so einfach nicht sein konnte.

Dee hob die Schultern. „Ja, grundsätzlich wäre das bestimmt möglich", räumte sie ein, „ aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie nie zuvor gesehen habe.

„Was genau hast du denn von der Toten geträumt?", fragte Bones jetzt vorsichtig.
Dee sah ihn gequält an. Die Erinnerung an die Träume, insbesondere an den ersten, in dem sie das blutige, schwerverletzte Mädchen zum ersten Mal gesehen hatte, ließen sie innerlich erstarren. Trotzdem war ihr klar, dass jetzt der Moment gekommen war, im wahrsten Sinne des Wortes einen Seelenstriptease hinzulegen, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Die Angst davor, dass ihre Freunde sie nicht ernst nehmen würden, dass sie alles als Hirngespinste abtaten, war dabei viel größer als die Angst vor einer möglichen lebensbedrohlichen Gefahr.

Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und schilderte detailgetreu die Träume, die sie gehabt hatte und die ihr manchmal eher wie Visionen vorkamen.

„Also gut", sagte Jake, nachdem Dee ihre Geschichte beendet hatte und erwartungsvoll in die Augen ihrer Freunde blickte, „nehmen wir mal an, dass diese Träume uns irgendwas sagen wollen. Sollten wir dann nicht vielleicht erst mal rausfinden, wer dieser Typ mit der Kapuze überhaupt ist? Wieso sehen wir ihn und andere nicht? Oder was ist mit seinem Gesicht? Hat der vielleicht einen Riesenkoffer mit Theaterschminke zu Hause und kleistert sich damit zu? Wie kann es sein, dass der auf einmal verschwindet, als wäre er nie da gewesen? Ernsthaft - existiert der überhaupt wirklich? Ich meine, Dee, alle, von denen du geträumt hast, sind ja nachweislich tot. Ist er also auch tot?"

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Ventura, Juni 1981

Stanley Kowac, wie er jetzt hieß, hasste die Schule. Schon auf dem Schulweg brach ihm regelmäßig der Schweiß aus und er hatte so furchtbare Bauchschmerzen, dass er eigentlich hätte zu Hause bleiben müssen. Aber seine Mutter schickte ihn trotzdem hin. Dabei hatte sie diesen traurigen Ausdruck im Gesicht, der Stanley Schuldgefühle verursachte, denn natürlich wollte er nicht, dass sich seine Mom um ihn Sorgen machen musste. Also quälte er sich tapfer jeden Morgen aufs Neue zu dem Ort, der für ihn gleichbedeutend mit der Vorstellung seiner persönlichen Hölle war.
„Die Kinder sind doch sicher nett, wenn du dich nur ein bisschen um sie bemühst", pflegten seine Eltern zu sagen.

Die Kinder waren nicht nett, obwohl er sich bemühte, und zwar jeden Tag mit einer anderen Strategie. Alles hatte er bisher versucht. Er hatte sich im Klassenraum neben den Jungen gesetzt, den er für das schwächste Glied in der Klassengemeinschaft hielt, doch dieser hatte nach der zweiten großen Pause seine Sachen genommen und sich woanders hingesetzt. Er hatte versucht, die Mädchen mit witzigen Bemerkungen zu beeindrucken, aber nachdem die erste angefangen hatte, die Augen zu verdrehen, hörten ihm immer weniger Mädchen zu und begannen sogar, sich mit einem genervten Blick von ihm abzuwenden.

Stanley hatte sich schließlich gewagt, seinen größten Peiniger, Finley Keeling, anzusprechen und ihn zu bitten, mit seiner Schikane aufzuhören. Finley war so etwas wie der Leader der Klassengang. Er befehligte noch drei weitere Jungs, die alle nicht unbedingt mit großer Intelligenz gesegnet waren, die aber in Finley jemanden gefunden hatten, der sie akzeptierte, vorausgesetzt natürlich, sie tanzten nach seiner Pfeife. Und das taten sie eifrig, besonders wenn es darum ging, ihren Frust an ihren Mitschülern auszulassen. Und seit einigen Wochen traf es fast ausschließlich Stanley, der sich dauernd fragte, wie er in eine derart aussichtslose Opferrolle hineinrutschen konnte.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWhere stories live. Discover now