Kapitel 41 - Carla Houseman

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Jordan hatte sich entschieden. Er würde Anne einen kurzen Besuch abstatten um ihr zu sagen, dass sie ohne ihn besser dran sei. Dass ihm alles furchtbar leid täte, und er die Beziehung beenden würde, bevor er noch mehr Schaden anrichtete. Entschlossen nahm er seinen Haustürschlüssel vom Schlüsselbrett, warf sich vorsorglich einen seiner Hoodies mit dem Schullogo über, schlüpfte in seine Nike-Turnschuhe, ohne sie zuzubinden und griff nach seinem Skateboard, das er immer direkt neben der Haustür abstellte.

Er brauchte nicht lange bis zum Elternhaus von Anne. Er kannte den Weg und außerdem hatte er ein ziemlich halsbrecherisches Tempo drauf, es grenzte durchaus an ein Wunder, dass er nicht stürzte.

Der Vorgarten der Familie Renner lag nur zum Teil im Dunkeln, der überwiegende Bereich wurde durch geschickt im Boden eingelassene kleine Strahler beleuchtet.

Jordan schlich an der Hauswand entlang wie ein Dieb. Dabei - weshalb eigentlich? Annes Eltern konnten ihn doch ruhig sehen. Er würde ihnen gleich eine große Freude machen und Anne den Laufpass geben.
Ich muss mich also nicht verstecken, dachte Jordan und blieb weiterhin konsequent im  Schutz der Dunkelheit.

Annes Zimmerfenster lag an der Ostseite des Hauses mit Blick auf den Wald, der an das Grundstück grenzte. Jordan stellte erleichtert fest, dass Licht in ihrem Zimmer brannte, woraus er schloss, dass sie dort auch anzutreffen war.

Er sah sich um, auf der Suche nach einem geeigneten Wurfgeschoss und pickte sich drei kleine Kieselsteine vom Boden, die den akkuraten Blumenbeeten als Deko dienten. Er zielte, schmetterte den Kiesel in Richtung Fenster und traf.

Nur Sekunden später tauchte eine Silhouette am Fensterrahmen auf. Die Gardine wurde zur Seite geschoben, das Fenster geöffnet. Anne beugte sich heraus.

***

Etwa zur selben Zeit

Dee zögerte keine Sekunde. Der Fund des Amuletts aus ihren Träumen bestätigte ihr die Notwendigkeit, ein weiteres Mal den Rat von Carla Houseman einzuholen. Dies hier war ganz eindeutig ein guter Grund, sich an jemanden zu wenden, der über den Tellerrand hinausblickte und sich dabei nicht von den Fesseln der Rationalität zurückhalten ließ.

Sie verschloss die Fundkiste, aber auch die anderen Umzugskisten sorgfältig und machte sich auf den Weg nach unten.

Ihr Dad saß vor dem Fernseher, die Füße auf den kleinen Beistelltisch gelegt, und schlief. So sehr Dee sonst bedauerte, dass ihr Vater zu keiner Zeit mehr richtig am Leben teilnahm, so sehr kam es ihr im Augenblick entgegen. Für den Anruf bei Carla brauchte sie wahrlich keine Zeugen.
Leise verschwand sie in der Küche, schloss die Tür hinter sich, stellte den Wasserkocher an und gab einen Löffel der Sahnekaramell-Tee-Mischung in ein Tee-Ei.

Mit der dampfenden Tasse setzte sie sich an den Küchentisch und legte die Unterarme auf die Tischplatte. Sie brauchte diese Atmosphäre für den Anruf, der nun stattfinden würde. In der hell beleuchteten Küche zu sitzen, an dem selben Holztisch, an dem sie schon als Kind mit ihrer Mutter Hausaufgaben gemacht hatte, gab ihr ein Gefühl der Stabilität und der Normalität, und das benötigte sie gerade ganz dringend.

Diesmal machte sie sich nicht die Mühe, erst per Mail nach einem Termin zu fragen und tippte mit zitternden Fingern die Nummer von Carla in ihr Mobiltelefon.

Sie versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren, während sie wartete, dass sich jemand meldete. Es klingelte, einmal, zwei mal, drei mal, vier mal. Dee wappnete sich innerlich, dass sie heute ihre dringenden Fragen wohl nicht mehr erörtern würde.

„Hallo? Hier spricht Carla Houseman".

Überrascht, dass ihr Anruf nun doch angenommen wurde, reagierte Dee im ersten Moment gar nicht. Dann verhaspelte sie sich. „Ja, hallo, hier ist Dee. Also ich meine García, Dee García, ist hier", stammelte sie.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon