Kapitel 60 -Drei Träume

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Ethan tauschte missmutig seine Klamotten, die er gerade noch auf dieser unsagbar dämlichen Party getragen hatte, gegen ein ausgeleiertes T-Shirt und eine Boxershorts. Müde ließ er sich auf sein Bett sinken, obwohl er sicher war, dass er sowieso wieder nicht würde schlafen können.

Mein Gott, was war das für ein peinlicher Auftritt von Bones gewesen. Wie konnte man sich nur so der Erbärmlichkeit preisgeben, weil man vielleicht ein bisschen scharf auf ein Mädchen war? Und dieses alberne Geturtel von Jordan und Anne.

Er seufzte.

Aber auch Richie, der seine Finger nicht bei sich halten konnte und der es wohl offenbar irgendwie geschafft hatte, bei Dee zu landen.

Die süße Dee - vor etwa zwei Jahren war er selbst für eine kurze Zeit in sie verliebt gewesen, aber er hatte ihre lustige und kameradschaftliche Art ihm gegenüber so interpretiert, dass ein Nerd wie er nicht mehr als Freundschaft erwarten konnte. Und so verflogen seine kurzzeitigen heftigen Gefühle mit der Zeit einfach wieder. Um so armseliger kamen ihm deshalb seine Freunde vor. Eigentlich wusste er gar nicht, ob er sie noch so nennen wollte. Freunde? Traurige Individuen traf es eher.

Er gähnte und ließ sich auf seine Kissen fallen. Die Leere und Belanglosigkeit, die er schon den ganzen Abend gefühlt hatte, nahmen nun vollständig Besitz von ihm und zogen ihn langsam und fast unbemerkt in ein verhängnisvolles Traumgeschehen.

Der Typ mit dem Hoodie stand wie in seinem vorherigen Traum an fast derselben Stelle. Jetzt erkannte Ethan den Platz, es war in der Nähe der Partylocation im Los Padres Park.

Er fühlte, wie sein Gesicht taub wurde. Verzweifelt wünschte er sich, dass das Blut in seine Wangen zurückkehren und sie mit Wärme füllen möge.

Als die dunkle Gestalt sich ihm zuwandte, blickte Ethan in eine Kapuze ohne Inhalt. Doch was auch immer sich unter dem dunklen Stoff verbarg, schenkte ihm ein grausiges Lächeln. Selbst im Traum wusste Ethan, dass sein Gehirn den fehlenden Eindruck nur mit der Illusion eines Lächelns ersetzte, weil es kein anderes plausibles Bild zur Verfügung hatte. Deshalb konstruierte der Verstand einfach das naheliegendste. Ethan hatte irgendwann darüber gelesen. Diese Fähigkeit bezeichnete man als Gedächtniskonstruktionsprozess.

„Tststst", machte die Gestalt und klang dabei ehrlich traurig. „Warum lässt du dich so vorführen von deinen sogenannten Freunden? Wehr dich! Misch die ganzen Idioten mal richtig auf."

***

Christina warf bereits das dritte Papiertaschentuch in den kleinen, rosafarbenen Mülleimer, der neben ihrem
gläsernen Schreibtisch stand. Ihre Augen waren vom Weinen ganz verquollen.

Der Abend ließ sich nur als totale Katastrophe bezeichnen. Ein erneuter Weinkrampf schüttelte sie, als sie an Jordan dachte und daran, wie er nicht die Finger von Anne lassen konnte.

Oder Dee, diese miese Kuh, die sich anscheinend Richie an den Hals geworfen hatte. Vermutlich, weil sie zuvor bei Jake abgeblitzt war.

Christina schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. Insgeheim hatte sie ein bisschen gehofft, Jake würde sich neuerdings für sie interessieren, nachdem er jetzt schon mehrmals ziemlich flirty ihr gegenüber aufgetreten war. Aber möglicherweise hatte sie sich da doch getäuscht. Jake schien sich für niemanden wirklich erwärmen zu können.

Jetzt saß sie hier, fühlte sich einsam und musste sich eingestehen, dass keiner der Jungs ernsthaft Gefallen an ihr fand. Selbst Ethan, mit dem sie sich doch wirklich gut verstand, war offensichtlich in ein anderes Universum abgetaucht.

Zornig entkleidete sie sich, warf ihre Jeans und den Markenhoodie von Affliction achtlos in die Ecke. Das Calvin Klein Schlafshirt streifte sie sich mit einer derart heftigen Bewegung über den Kopf, dass sie sich eine dünne Haarsträhne ausriss. Sie hieß den Schmerz willkommen, weil er ihr das Gefühl gab, wenigstens noch irgendetwas zu empfinden.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWhere stories live. Discover now