Kapitel 64 - Lost Souls

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Christina

Nichts lief so, wie sie es sich erträumte.

Anne hatte sich ihren Jordan an Land gezogen, ausgerechnet den Jungen, für den sie selbst schon so lange und heftig schwärmte.

Jake, der immerhin einige Male mit ihr geflirtet, und bei dem sie sich deshalb heimlich auch ein paar Chancen ausgerechnet hatte, schien überhaupt kein Interesse mehr zu haben, und Richie war liebestrunken in Dees Falle getappt.

Eine unbestimmte Furcht hatte Christina ergriffen. Eine immer größer werdende Sorge, dass ihr nie die große Liebe begegnen würde, dass kein Junge sich so um sie bemühte wie um Dee oder Anne. Dass sie vielleicht sogar einmal so enden könnte wie ihre Mom, ungeliebt, unattraktiv und unzufrieden.

Sie musste daher nicht lange überlegen, als die - zugegebenermaßen reichlich merkwürdige - Message von Ethan auf ihrem Display erschien:

„Hey, mal Lust, etwas Aufregendes zu erleben? Dann schnapp Dir Dein Bike und komm hoch zum Rastplatz."

Die Neugierde, was Ethan wohl mit Aufregendes meinte, paarte sich mit dem
verlockenden Gefühl, das der Traum von dem geheimnisvollen Wesen im Kapuzenpulli bei ihr hinterlassen hatte, und so war es gar keine Frage, ob sie der Einladung Folge leistete.

„Ich bin mal eine Weile unterwegs", informierte sie ihre Mutter, die unten auf dem Sofa saß und in einer Zeitschrift blätterte.

„Allein? Wo willst du denn hin?"

Christina unterdrückte eine genervte Antwort. Sie wusste, dass sich ihre Mom nur Sorgen machte, aber unterschwellig war da auch das Gefühl, benutzt zu werden. Als Freundin, die die Mutter schon lange nicht mehr hatte, als Unterhalterin, als Abladeplatz für Sorge, Frust und Ärger. Und das fand Christina ungerecht. Sie war die Siebzehnjährige, die mit dem Liebeskummer, die, die sich ungeliebt fühlte. Doch ihre Mutter zwang ihr einen Rollentausch auf.

„Bisschen mit dem Fahrrad fahren. Du hast doch Beschäftigung", erwiderte sie knapp und deutete auf das Magazin, das auf dem Schoß ihrer Mutter lag.

Um einer Debatte zu entgehen, verließ sie eilig das Wohnzimmer, schlüpfte in ihre Turnschuhe, wobei sie sich nicht einmal die Mühe machte, sie zuzubinden. Mit einem Gefühl der Erleichterung ließ sie nur Sekunden später die Haustür hinter sich ins Schloss fallen.

Im Wohnzimmer hörte Christinas Mutter, wie draußen das Garagentor geöffnet und wenig später wieder geschlossen wurde. Nachdenklich starrte sie durch die Terrassentür in den Garten. Sie hatte ein ungutes Gefühl.

Ethan

Es gab Tage, oder auch nur Momente, da sehnte er sich nach seinen Freunden. Nach ihrem Lachen, nach ihren blödsinnigen Kommentaren, ja sogar nach ihren Frotzeleien und Lästereien.

Aber ebenso gab es Tage, da verachtete er gerade diejenigen, die ihm einmal so nahe gestanden hatten. Er war geradezu angewidert von ihrer Art, sich mit Nichtigkeiten zufrieden zugeben und derart profanen Dingen in ihrem Leben überhaupt Bedeutung beizumessen.

Er wollte Teil von etwas Besonderem sein, er strebte Höherem entgegen, das mit den ganzen scheiß Teeniethemen wirklich absolut nichts gemein hatte.

Außerdem fühlte er sich zu wenig wertgeschätzt! Sah denn überhaupt jemand, wie brillant er war? Wie intelligent, besonders, ja einzigartig? Nein! Seine Freunde machten sich über alles Gedanken, nur nicht über Ethan. Und das wollte er jetzt ändern.

Er wollte sie herausfordern, ihnen zeigen, dass sie ihn unterschätzten. Sie das Fürchten lehren. Etwas ganz Großes aufziehen und dann, wenn es unbedingt sein musste, mit Pauken und Trompeten darin untergehen.

Sorgsam verstaute er seine Sport-Armbrust in dem dafür vorgesehenen K4 Stoffrucksack und steckte noch einen Satz der Pfeile ein, die sein Vater ebenfalls in der unverschlossenen Glasvitrine aufbewahrte.

Aufgeregt und erfüllt von einem grimmigen Tatendrang verließ er dann sein Elternhaus, holte sich sein Rad aus der Garage und trat den Weg in des Los Padres Nationalpark an, der ihm gleich ein wunderbares Jagdgebiet eröffnen würde.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWhere stories live. Discover now