Kapitel 31 - Erkenntnisse

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Bones, Richie, Jake und Dee hatten per Textnachricht vereinbart, sich am späten Sonntagnachmittag vor der Stadtbibliothek zu treffen. Richie informierte Dee, dass er gegen 15:30 Uhr bei ihr sein würde, damit sie vorher noch in Ruhe reden konnten.

Sein älterer Bruder Tim brachte ihn in seinem kleinen Wagen die kurze Strecke zu ihr, weil er ohnehin auf dem Weg ins Fitnessstudio in die selbe Richtung fuhr. Der hellblaue, schon sehr betagte Honda kam gerade erst aus der Werkstatt zurück, nachdem Tim ihn im betrunkenen Zustand gegen einen Hydranten gesetzt hatte. Jetzt war er froh, wieder einen fahrbaren Untersatz zu haben und gab sich großzügig, was das Übernehmen von Taxifahrten betraf.

Grinsend betrachtete Tim seinen kleinen Bruder, der während der gesamten Fahrt unruhig mit den Beinen gewippt hatte. „Bleib cool", sagte er, als er Richie absetzte, „und lass Dir nicht so in die Karten schauen!"

Richie nickte, fuhr sich mit beiden Händen durch seine Frisur, stieg etwas zögerlich aus dem Wagen seines Bruders und lief die wenigen Stufen hoch zum Haus der Garcias.

Seine Nervosität erwies sich allerdings als unbegründet. Dee öffnete ihm die Tür noch bevor er den Klingelknopf gedrückt hatte. „Hey, komm rein", rief sie, „magst du Käsemakkaroni, ich habe gerade welche gemacht."
„Ja gern", antwortete er und folgte ihr in die Küche, wo sie zwei Teller und Besteck auf dem runden Küchentisch arrangierte. Richie setzte sich auf einen der Holzstühle und beobachtete Dee dabei, wie sie die Käsemakkaroni aus einer Auflaufform auf ihre Teller verteilte. Der intensive Geruch des geschmolzenen Cheddars kitzelte ihn in der Nase und erinnerte ihn daran, dass er heute noch nicht viel zu sich genommen hatte.

Dees Haare fielen ihr in natürlichen Wellen über die Schulter, eine einzelne Strähne machte sich selbstständig und verdeckte ihr die Sicht. Ungeduldig strich sie sie zur Seite. Richie kam nicht umhin, ihre unglaublich langen Wimpern zu bewundern. Er musste zugeben, dass er selten ein so hübsches Mädchen gesehen hatte und fragte sich, ob nur er das so empfand, oder ob auch neutrale Beobachter Dee als schön bezeichnen würden. Er vermutete, dass wohl Letztgenanntes der Fall war.

Dee setzte sich ebenfalls und machte sich über ihre Makkaroni her. Sie aßen eine Weile schweigend, bis Richie fragte:
„Geht's dir besser? Gestern Abend hast du so traurig gewirkt."

Dee legte die Gabel auf ihrem Teller ab und hob ein wenig ratlos die Schultern.
„Ich weiß doch auch nicht", antwortete sie, „das ist alles so verrückt, ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Typ real ist. Dass meine Träume real sind. Und wenn doch, müssten wir dann nicht damit zur Polizei gehen?"
Sie sah Richie mit großen Augen an, in denen sich ihre innere Zerrissenheit nur allzu deutlich widerspiegelte. Auf ihre Frage hatte Richie auch keine Antwort, obwohl er gestern Nacht noch lange wach gelegen hatte, in der Hoffnung, einen Sinn in den Geschehnissen erkennen zu können. Aber auch er drehte sich im Kreis, fand letztendlich keine Erklärung für das was passiert war.

„Letzte Nacht hatte ich schon wieder so einen Scheißtraum", fuhr Dee leise fort, „von einem Baum, an dem sich offenbar jemand erhängt hat. Und unser Freund kam natürlich auch wieder vor."
Mitfühlend sah Richie sie an. „Das ist echt ziemlich weird", sagte er. „Hast du noch mehr gesehen? Zum Beispiel wer sich erhängt hat?"
Dee schüttelte den Kopf. „Gar nicht. Es stand noch ein Fahrrad da, war an den Baum gelehnt."
„Vielleicht finden wir nachher etwas, das uns weiterhilft", überlegte Richie, „wir wissen zum Beispiel schon, dass der Schriftzug auf dem Hoodie das Logo der Basketballmannschaft der Camino High ist..."
„Vorausgesetzt das stimmt, was Bones glaubt gesehen zu haben", unterbrach ihn Dee.

„Es ist zumindest ein Anhaltspunkt und wir stehen nicht komplett ohne Informationen da. Wir gehen da nachher hin und machen uns auf die Suche. Ich meine, wir sind zu viert, irgendwas Hilfreiches werden wir schon finden." Richie beugte sich vor, streckte seine Hand aus und legte sie behutsam auf Dees lange, schlanke Finger. „Es muss eine Erklärung für das alles geben, Dee! Und dann können wir auch dagegen kämpfen. Wir werden das überstehen!", sagte er.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt