Kapitel 9 - Willkommen zum Arroyo Grande Highschoolball

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Drinnen herrschte bereits großer Andrang. Die Schülerinnen und Schüler der Arroyo Grande Highschool standen in Grüppchen zusammen, ausnahmslos festlich gekleidet, die Mädchen mit aufwändigen Hochsteckfrisuren, die Jungs im maßgeschneiderten Anzug.

Etliche Teenagerseelen und ebenso viele unterschiedliche Erwartungen, Nöte und Wünsche.

Gelächter und Gesprächsfetzen drangen in Dees Ohr, während aus dem zum Ballsaal umfunktionierten Auditorium die ersten Klänge von Endless Summer zu hören waren.

Sie zupfte Richie am Ärmel und dirigierte ihn zur Garderobe, wo sie ihre Sachen abgaben. Anschließend stellten sie sich in die kleine Warteschlange, die sich vor dem Eingang gebildet hatte.

Isabelle und Bones posierten gerade für den Fotografen, an dessen Kamera sich niemand vorbeistehlen konnte, ohne zuvor abgelichtet zu werden. Erneut bewunderte Dee Isabelles Kleid, das hervorragend ihre Figur umschmeichelte. Aber auch Bones, das musste man anerkennen, sah in einem hellgrauen Anzug und einer zart roséfarbenen Krawatte gar nicht schlecht aus.

Als Dee und Richie an die Reihe kamen, war es ihnen fast unmöglich, ernst zu bleiben.

Sie machten es dem engagierten Fotografen wirklich nicht leicht. Zwar bemühten sie sich, seinen Anweisungen zu folgen, mussten bei jeder Pose aber so albern lachen, dass die Bilder im Grunde nicht zu verwenden waren.

Der leicht überforderte Mann war heilfroh, sie schließlich in den Ballsaal entlassen zu können und sich dem nächsten Paar zuzuwenden. Er konnte natürlich auch nicht ahnen, dass vor allem Dee nur deshalb so aufgekratzt und überdreht war, weil sie das Erlebnis von vorhin in einer anderen Stimmung gar nicht ausgehalten hätte.

Das Organisationsteam hatte wirklich alles gegeben, um den zweckmäßigen Raum, der sonst für Aufführungen und Besprechungen genutzt wurde, in einen glamourösen Ballsaal zu verwandeln.

Mit Blumenkästen, die, passend zum Motto des Abends, mit Sand und Muscheln gefüllt waren, hatte man für diejenigen, die tanzen wollten, einen großen Bereich abgeteilt. Der sonst so gewöhnlich aussehende Linoleumboden leuchtete in Blau- und Rottönen, während eine Nebelmaschine für die nötige Atmosphäre sorgte.

Die ersten mutigen Paare bewegten sich durch die wabernden Nebelschwaden, als würden sie auf Wolken tanzen, während andere an der Strandbar standen und die Cocktails ausprobierten. Offiziell gab es natürlich nur alkoholfreie Getränke, aber da die Cocktailbar von den älteren Schülern betrieben wurde, erhofften sich einige, dass später vielleicht Hochprozentiges gemixt wurde.

Dee sah sich um und erblickte Jake und Eve in der Menge. Eve trug ein bodenlanges rotes Kleid, das die Schultern frei ließ, während Jake sich für einen anthrazitfarbenen Anzug entschieden hatte, zu dem er, in Anlehnung an die Garderobe seiner Tanzpartnerin, eine rote Krawatte trug.

Sie sieht okay aus, nicht mehr und nicht weniger, dachte Dee ein wenig respektlos.

„Möchtest du schon tanzen?", fragte Richie und bot ihr seinen Arm.

Dee wollte. Sie hakte sich bei ihm ein und ließ sich von ihm in die Mitte der Tanzfläche geleiten.

Wie immer fehlte ihnen der nötige Ernst auch hier, und sie alberten mehr miteinander herum als dass sie tanzten. „Haltung jetzt, Richard! Wir möchten doch die Wahl zu Ballkönig und Ballkönigin gewinnen."

„Willst du das, ja?" Richie richtete sich auf und zog Dee näher an sich heran, worauf sie erneut in albernes Gelächter ausbrach.

Während Isabelle sich einen Cocktail an der Bar mixen ließ, stand Bones etwas abseits und beobachtete Dee, wie sie sich gerade kichernd krümmte. Eine einzelne, gelockte Strähne hatte sich selbstständig gemacht und fiel ihr nun ins Gesicht. Die natürliche Art, die sie in diesem Moment ausstrahlte, verzauberte ihn augenblicklich. Hätte ihm einer gesagt, wie unglücklich er aussah, hätte er sich wahrscheinlich zusammengenommen, sich ebenfalls etwas zu trinken organisiert oder sich mit Isabelle unter die anderen Tanzenden gemischt. Aber es sagte ihm leider niemand und so stand ihm sein ganzes Gefühlschaos deutlich ins Gesicht geschrieben. Seit der neunten Klasse liebte er Dee heiß und innig, und obwohl ihm jeder klarzumachen versuchte - einschließlich er selbst - dass aus ihnen niemals ein Paar werden könnte, gelang es ihm nicht, sie aus seinen Gedanken zu streichen. Dass es jetzt ausgerechnet Richard geschafft hatte, mit ihr auf den Abschlussball zu gehen, das wollte Bones einfach nicht in den Kopf.

„Hey, hör auf Trübsal zu blasen, Junge! Komm, lass uns doch auch tanzen". Isabelle stand plötzlich neben ihm, nahm seinen Arm und zog ihn resolut auf die Tanzfläche, die mittlerweile so stark frequentiert war, dass man aufpassen musste, um sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten.

Christina und Ethan bemühten sich gerade, die richtige Schrittfolge zu finden, was ihnen offenbar schwer fiel. Das mochte allerdings eher daran liegen, dass Christinas Konzentration beeinträchtigt wurde, weil sie nebenbei versuchte, Jordan zu stalken.

Ethan schien es nicht zu bemerken, was eigentlich verwunderlich war, denn selbst Dee fielen Christinas sehnsüchtige Blicke auf, obwohl sie nicht unmittelbar neben ihr tanzte.

Das ist peinlich!

Oh ja, sie erinnerte sich noch gut daran, wie vernarrt Christina in Jordan war, schließlich hatte dieses Thema in ihren Gesprächen viel Raum eingenommen. Damals, als sie noch miteinander befreundet waren.

Wobei man es irgendwie verstehen konnte. Dee kannte Jordan schon seit Ewigkeiten und musste zugeben, dass er sich zu einem gut aussehenden Kerl entwickelt hatte, weshalb sie Christinas Schwärmerei durchaus nachvollziehen konnte. Vielleicht würde sie nachher bei der Wahl zum Ballkönig für ihn stimmen. Aber auch Anne, die heute Abend offenbar Jordans Tanzpartnerin war, sah sehr hübsch aus. Sie trug ein eng anliegendes Kleid, das sie farblich auf den Anzug von Jordan abgestimmt hatte. Die Beiden gaben ein äußerst attraktives Pärchen ab. Vielleicht würde es Jordan ja heute gelingen bei Anne zu landen. Dee gönnte es ihm jedenfalls.

„Hey, darf ich mir Richie mal ausleihen, ich glaube Bones' Bedarf am Tanzen ist für heute gedeckt", fragte Isabelle, nachdem das Organisationsteam via Lautsprecher zur Damenwahl aufgerufen hatte. Ihr Gesicht war gerötet und eine verschwitzte Haarsträhne klebte an ihrer Stirn. Offensichtlich genoss sie den Abend und Dee tat ihr gerne den Gefallen, eine Runde auszusetzen. Die Pause konnte sie außerdem gut gebrauchen. Wenn sie sich nicht täuschte, dann hatte sich jetzt schon an ihrer linken Ferse eine fiese Blase gebildet.

Sie organisierte sich einen freien Hocker und setzte sich neben Allegra, die etwas verloren alleine an der Bar saß.

„Hey, wo ist denn dein Eric?"

„Er wurde mir gerade entwendet."

„Umso besser, dann lass mal die Cocktails testen."

Der Junge, der Dienst hinter der Bar hatte, gab sein Bestes, um ein würdiges Getränk für die Mädchen zu zaubern.

„Mit Sprit?", fragte er augenzwinkernd

Dee lehnte ab. Noch mehr von dem Stoff, aus dem die Träume sind, benötigte sie wahrlich nicht. Auch Allegra gab mit einem pikierten Blick zu verstehen, dass sie keine illegale Zutat wünschte.

Kaum standen die zwei liebevoll gemixten Getränke vor ihnen, bemerkte Dee, dass Jake durch die Menge der vielen Feiernden direkt auf sie zusteuerte. Sie blickte ihm entgegen, während sich ihre Wangen rosa färbten.

„Sorry, ich hatte deine Nachricht zu spät gelesen, was wolltest du denn besprechen?"

Lässig und vollkommen unverkrampft lehnte er sich mit dem Rücken gegen die aus alten Obstkisten und Bambusstäben gefertigte Bar.

Dabei war ihm sicher nicht bewusst, dass er wirkte, als wäre er direkt einem Hochglanzjournal entsprungen. Bei Jake war das wahrscheinlich in keiner Weise beabsichtigt. Er war einfach von Natur aus ein Hingucker.

Das dunkle Haar fiel ihm in sanften Locken ins Gesicht. Seine schönen, mandelförmigen Augen mit den langen Wimpern hielten Dees Blick fest.

Heilige Scheiße, dachte sie und war für einen kurzen Moment ziemlich durcheinander.

„Es war nicht so wichtig, ich hatte einfach mal wieder Lust zu reden", erwiderte sie schließlich, ohne den wahren Grund für ihre nächtliche Nachricht preiszugeben.

„Gut, dann komm, wir können ja tanzen und dabei reden", schlug Jake vor. Er bot Dee seinen Arm und sie hakte sich bei ihm ein.

Doch auch wenn sie sich in seiner Gegenwart immer wohl fühlte und ihm absolut vertraute, war sie dennoch nicht in der Lage, ihm, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte, von ihrem Traum zu erzählen und davon, wie elend sie sich noch so lange danach gefühlt hatte. Stattdessen genoss sie es, mit ihm zu tanzen und sich ablenken zu lassen, damit sie nicht auch nur den kleinsten Gedanken an das blutige Mädchen, und noch weniger an den widerlich unmenschlichen Typen von vorhin aufwenden musste.

The Soulcollector - Rätselhafte TodesfälleOù les histoires vivent. Découvrez maintenant