Tag 3.1

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Arthur starrte ihn misstrauisch an. Hatte er wirklich so offensichtlich gehandelt?

"Du verstehst das nicht." Er lehnte sich an seinem Sessel zurück.

Sein Vater schüttelte den Kopf. "Wie denn auch, wenn du mich davon ausschließt. Ich würde es aber gerne verstehen."

Arthur war hin und hergerissen. Einerseits vertraute er seinem Vater sonst auch alles an, immerhin war es immer sie gegen den Rest der Welt gewesen, nachdem seine Mutter gestorben war. Durch diese seltsamen Morde jedoch hatte er sich wirklich sehr von ihm distanziert. Eigentlich seltsam, dass er es so lange hingenommen hatte, ohne etwas dagegen zu unternehmen.

Schließlich rang er sich dazu durch, zumindest einen Teil der Wahrheit zu erzählen. "Ich weiß nicht genau, was es ist. Aber diese Morde faszinieren mich." Erschrocken, wie zweideutig man diese Worte auffassen könnte, besserte er sich aus: "Also nicht in dem Sinne, dass ich sie gut finde oder selbst nachmachen will, natürlich. Aber sie haben etwas an sich, was meine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht." Verunsichert schwieg er, und auch sein Vater wartete kurz, ehe er zu einer Antwort ansetzte.

"Hast du das Gefühl, dass diese Morde nicht nur deine Aufmerksamkeit, sondern auch dich anziehen?", sprach er schließlich genau das aus, was Arthur nicht gesagt hatte. Sein ungläubiger Gesichtsausdruck sprach Bände, und sein Vater nickte bedächtig. "Dachte ich es mir." Er seufzte und lehnte sich nach vorne, in Arthurs Richtung. Die Arme waren am Tisch abgestützt. "Ich selbst habe das zwar nicht erlebt, aber mein Großvater hat mir davon erzählt. Ich dachte immer nur, es wäre ein nettes Märchen, aber es passt genau auf dich." Wieder machte er eine Pause, als ob er nicht sicher war, ob er es ihm wirklich erzählen sollte. Dann entschied er sich endgültig dafür. "Weißt du, in der Geschichte erzählte er mir von den sogenannten Blutmondgeborenen."

Arthur zog eine Augenbraue in die Höhe. Das klang nun wirklich nicht nach einer Lösung für sein Problem. Aber er unterbrach seinen Vater nicht.

"Damit gemeint sind Lebewesen, es kann sich um Menschen, Tiere, oder auch Pflanzen handeln, die in einer Nacht geboren wurden, in der Blutmond war. Blutmond ist eigentlich jedes Jahr ein paar Mal, aber manchmal kommen noch andere seltene Naturphänomene dazu, die eine Geburt in einer solchen Nacht zu etwas Besonderem machen. Nun ja, auf jeden Fall haben diese Blutmondgeborenen eine besondere Gabe, oder einen Fluch, je nachdem, wie man es bezeichnen möchte."

Nur mit Mühe konnte sich Arthur ein Schnauben verkneifen. Einen Fluch? Blutmondgeborene? Was sollte das bitte alles mit ihm zu tun haben? Er war in einer kalten Novembernacht geboren, zwar stürmte es, wie ihm seine Mutter erzählt hatte, aber es herrschte mit Sicherheit keine besondere Mondkonstellation.

"Dieser Fluch unterscheidet sich individuell, und mein Großvater hat das auch nie genauer definiert. Auf jeden Fall ist es meistens so, dass er die Blutmondgeborenen zu einer Gefahr für andere macht. In welcher Form auch immer."

In Arthur keimte ein Verdacht auf, was der Gedanke seines Vaters gewesen sein könnte. Er vermutete, dass der Mörder aus Sedemoid ein Blutmondgeborener war.

"Alles schön und gut, aber wo komme dann ich ins Spiel?", unterbrach er ihn ungeduldig und runzelte die Stirn.

Sein Vater nickte beschwichtigend. "Dazu wollte ich gerade kommen. Je nach Form dieser Gefahr wollen sich die Betroffenen selbst daraus befreien, sie können die Polizei informieren oder holen jemand, der Geister austreiben will - auf jeden Fall helfen diese Dinge meist nicht. Dazu kommt nämlich eine andere Persönlichkeit in die Geschichte: mein Großvater nannte sie Jäger." Er machte eine bedeutsame Pause, damit Arthur das Erzählte kurz sacken lassen konnte. Dieser fühlte sich immer mehr wie in einem schlechten Fantasyfilm.

"Die Jäger sind dazu bestimmt, diese Blutmondgeborenen von ihrem Fluch zu befreien und dadurch natürlich auch die anderen Betroffenen zu retten, mehr oder weniger."

Wieder unterbrach Arthur ihn: "Und was haben bitteschön die Jäger davon?"

Sein Vater lächelte leicht und legte den Kopf etwas schief. "Diese sind anscheinend von Anfang an gegen die Einflüsse der Blutmondgeborenen immun, und sobald sie ihren Blutmondgeborenen von dessen Fluch befreit haben, können sie wie alle anderen Menschen auch wieder ein freies Leben führen, nur behalten sie diese Immunität."

Arthur schüttelte den Kopf. "Du weißt schon, dass das total absurd ist? Das hast du deinem Großvater jetzt aber nicht wirklich geglaubt?" Fast verächtlich verschränkte er seine Arme vor der Brust und stieß ein Schnauben aus.

Sein Vater zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Er selbst hat daran geglaubt, das habe ich gemerkt. Außerdem hat er mir erzählt, dass für diese Bestimmung ein bestimmtes Gen verantwortlich sein soll, das sich auf den männlichen Personen einer Familie weitervererbt. Mein Vater hat mir allerdings nie etwas Ähnliches erzählt, er wusste vielleicht nicht einmal davon, da mein Großvater selbst ja noch jünger war, als ich geboren wurde. Mir ist so etwas auch nicht widerfahren, aber ganz ehrlich, Arthur", er schaute ihn fast traurig an, "du hast dich in den letzten Monaten extrem von mir entfernt. Zuerst dachte ich, es wäre vielleicht eine pubertäre Phase. Aber ich habe noch nie gehört, dass das Sammeln von Informationsmaterial über eine bestimmte Mordserie eine pubertäre Phase startet."

Als er sich nun vom Stuhl erhob, wirkte er um etliche Jahre gealtert. Sein Haar war zwar noch von einem satten Braun, aber die Sorgen zeichneten sein Gesicht.

"Ich weiß nicht, vielleicht ist es wirklich alles nur Humbug. Ich persönlich fände es erleichternd, wenn du diese Obsession beenden könntest, und stattdessen wieder mehr mit mir unternimmst." Ein Hoffnungsschimmer flog kurz über sein Gesicht, verschwand jedoch genauso schnell, wie er gekommen war.

Arthur duckte sich unter der Last des schlechten Gewissens. Es tat ihm furchtbar leid, seinen Vater so zu sehen.

"Ich werd's versuchen, Paps", murmelte er leise.

Sein Vater lächelte ihm aufmunternd zu. "Würde mich sehr freuen! Und falls nicht - denk doch vielleicht noch einmal über diese Geschichte, Märchen, was auch immer es für dich ist, nach. In jeder Geschichte steckt ein Fünkchen Wahrheit, nicht?"

Arthur verdrehte die Augen, musste jedoch auch grinsen. Es tat gut, wieder einmal so offen miteinander zu sprechen. "Mal sehen", meinte er nur. Dann seufzte er und machte sich auf den Weg in sein Zimmer.



BlutmondgeborenWhere stories live. Discover now