Tag 12.5

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Sie ließ eine Hand wieder los, und zog ihn an der anderen mit. Theatralisch stöhnend folgte Arthur ihr, bis sie am Rande einer kleinen Lichtung zum Stehen kamen.

Sie standen nun nebeneinander, Mara klammerte sich mit beiden Armen an Arthurs Arm fest. "Schau", flüsterte sie mit großen Augen. Arthur wusste sofort, was sie meinte.

Die Lichtung war nicht sonderlich spektakulär, kurzes Gras bedeckte sie, doch in ihrer Mitte befand sich eine einzige Blume. Sie besaß eine große, weiße Blüte, die die Form von einem Teller hatte. Das alleine war es jedoch nicht, was sie so besonders machte. Irgendetwas an ihr passte nicht zum restlichen Bild, und nach einigen Sekunden kam Arthur auch darauf, was es war.

"Sie leuchtet im Schatten", hauchte er und ein Schauer rieselte über seinen Rücken. Es war mitten am Tag, und die Sonnenstrahlen erleuchteten die gesamte Lichtung. Aber vor dieser Blume schienen sie Halt zu machen. Ein Blick in den Himmel verriet Arthur, dass es auch keine Wolke oder Vogel oder Flugzeug war, das den Schatten warf. Es schien von der Blume selbst zu kommen.

"Es ist eine Mondblume", erklärte Mara ihm. "Ich habe die wo anders schon gesehen, aber normalerweise sind sie unter Tags geschlossen und öffnen sich in der Nacht. Dann sehen sie genauso aus wie diese hier jetzt."

Unwillkürlich trat Arthur einen Schritt zurück. Eine Mondblume. Fehlten nur noch ein paar Blutstropfen, und es wäre eine Blutmondblume.

Arthurs Kehle war wie eingetrocknet, er musste sich räuspern. "Lass uns hier verschwinden, bitte."

Mara warf ihm einen verunsicherten Blick zu. "Mein Gott, du bist ganz blass. Komm!"

Sie zog ihn wieder in den Wald hinein, er selbst trug nicht sehr viel zur Bewegung bei. Alles um ihn herum schien sich zu drehen. Seine Beine bewegten sich wie ferngesteuert, und als Mara anhielt, ließ er sich an dem Baum neben ihn hinuntergleiten. Er nahm den Kopf zwischen die Knie, um den Schwindel zu stoppen.

Mara hockte sich neben ihn und strich ihm wieder und wieder über den Rücken.

"Geht's dir wieder besser?", fragte sie schließlich, als er Minuten später wieder aufblickte.

Arthur nickte erschöpft. Er kam sich vor, als wäre sein ganzes Leben bis jetzt eine einzige Verfolgungsjagd gewesen. Er fühlte sich ausgezehrt, erschöpft und einsam. Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an den Baum. Mara sah ihm hilflos dabei zu, nahm nur seine Hand und drückte sie. "Ich bin da."

Es dauerte eine Weile, bis sich Arthur wieder stabil genug fühlte, die Augen zu öffnen. "Tut mir wirklich leid, ich hab keine Ahnung, was da gerade passiert ist."

Mara schüttelte den Kopf. "Gar kein Problem. Wie fühlst du dich denn? Schon wieder ein bisschen besser? Dein Gesicht hat zum Glück schon wieder etwas Farbe, vorhin hast du ausgesehen wie eine Leiche..."

Arthur stützte sich am Baum ab, als er sich aufrichtete. Maras hilflosen Blick versuchte er zu ignorieren. Als er schließlich wieder halbwegs sicher auf seinen Beinen stand, lächelte er sie schief an. "Alles gut, danke."

"Bist du dir sicher?"

Er nickte. "Ja. Ich fühle mich nur noch ein bisschen schlapp, aber ich falle nicht gleich um oder so." Er legte den Kopf schief und musterte sie mit eindringlichem Blick. "Ehrlich, du kannst aufhören, mich so besorgt anzusehen."

"Na gut, wenn du meinst... Aber ich hab eine Idee: Was hältst du davon, wenn wir kurz bei meiner Tante vorbei schauen? Sie wohnt gleich am anderen Ende des Waldes, das ist sogar kürzer, als wenn wir denselben Weg wieder zurückgehen, den wir gekommen sind." Sie schaute ihn fragend an. "Ich weiß zwar nicht, ob sie zu Hause ist, aber ich kenne den Hintereingang. Wir könnten dort eine Tasse Tee trinken und uns etwas aufwärmen, was hältst du davon?"

Arthur nickte. Nach diesem Erlebnis war es vermutlich gar nicht einmal so schlecht, sich etwas zu entspannen. Und die Aussicht auf ein ganzes Haus alleine für ihn und Mara, zusammengekuschelt in ein paar Decken eingewickelt, schenkte ihm gleich wieder neue Energie. "Klar, lass uns losgehen!"

BlutmondgeborenWhere stories live. Discover now