II.6

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Als das Monster einen Schritt auf ihn zutrat, bewegten sich die Haare ein wenig und Arthur sah ein kurzes Blitzen dahinter. Ohne wirklich zu wissen, was er eigentlich tat, streckte er langsam die Hand aus. Zitternd berührte er die Wange des Pferdes, und atmete dann in einem Stoß aus. Er schien die Luft angehalten zu haben, und fühlte nun die Freiheit, die gemeinsam mit dem Sauerstoff in seine Lungen zu fließen schien.

Sanft streichelte er über den großen Kopf, wagte sich dann auch an die Mähne und legte sie auf eine Seite, um das Auge des Tieres als Ganzes sehen zu können. Dieses war genauso tiefschwarz wie das restliche Fell, doch durch seine Feuchtigkeit glänzte es im Mondschein.

Arthur merkte erst, dass er selbst auch einige Schritte nach vorne gemacht hatte, als das Tier seinen Kopf senkte und seine Nüstern an Arthurs Brust stießen. Dieser starrte immer noch voller Faszination in das Auge seines Gegenübers. Was ihm anfangs wie eine trostlose Finsternis vorgekommen war, schien mit jeder Sekunde, in der er sich mehr darauf konzentrierte, mehr Details anzunehmen. Das Auge dieses Pferdes war wie der Nachthimmel, in dem man auch mit der Zeit immer mehr Sterne erblickte. Es funkelte als wären in seiner Tiefe tausende Diamanten gefangen, wie ein tiefer See, in den man alle Schätze der Welt versenkt hatte.

Plötzlich schien das Aug immer größer zu werden, Arthur hatte das Gefühl, als fiele er in es hinein. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen, und er ließ sich von dem Strudel willig mitreißen.

Sobald sich seine Lider geschlossen hatte, fühlte er sich wieder geerdet. Es war finster um ihn herum, und eine Totenstille herrschte. In ihm brodelte etwas, doch er wusste nicht genau, was es war. Er fühlte sich geborgen, stark, aber auch unsicher. Plötzlich wurde es rund um ihn heller, und er fühlte, wie sein Herz wärmer wurde und kräftiger in seiner Brust schlug. Als ihn das Licht ganz umfing, verlor er plötzlich den Boden unter den Füßen. Hilflosigkeit breitete sich in ihm aus, und die Lichter wurden wieder schwächer. Kälte kehrte zurück, aber sie machte ihn wieder stark. Das Brodeln nahm zu, und als Arthur es als als Hass erkannte, ging ein Ruck durch seinen Körper. Er öffnete die Augen.

"Deinos." Die geflüsterten Worte verließen seine Lippen, ohne dass er etwas dazu beigesteuert hatte.

Die Augen des Pferdes hatten an Tiefe verloren, doch schienen sie nicht mehr so undurchdringlich wie am Anfang. Die Angst, die zuvor noch in Arthurs Gliedern gesessen hatte, war nun verschwunden. Sanft tastete er sich mit der Hand zum Hals des Tieres vor, streichelte das samtene Fell. Zwar hatte er sich auch zuvor schon mit allen Blutmondgeborenen verbunden gefühlt, doch diese Stute fühlte sich nun so bekannt an wie eine alte Bekannte.

"Deinos", murmelte er noch einmal, als ob er dadurch den Namen und diesen Moment für immer behalten könnte.

Einen Augenblick blieb das Pferd noch an seiner Seite, dann wendete es den Kopf ab und unterbrach somit die Berührung. Es ließ Arthur noch einen letzten Blick auf seine Erscheinung werfen, dann wandte es sich um und ließ sich von der Dunkelheit der Nacht verschlucken.

Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis Arthur den Blick von der Stelle losreißen konnte, an der er das Monster zuletzt gesehen hatte. Schon bevor er wieder in die Mitte der Lichtung schaute wusste er, dass er wieder alleine war. Auch von dem weißen Pferd war nichts mehr zu sehen oder spüren.

Er atmete einige Male tief ein und aus, fühlte, wie seine Lider immer schwerer wurden. Der Mond stand bereits hoch am Himmel, die Zeit dürfte schneller vergangen sein, als er gedacht hatte.

Beinahe wehmütig ließ er seinen Blick noch einmal über die Mondblumen streichen, dann wandte er sich um und trat den Heimweg an.

BlutmondgeborenWhere stories live. Discover now