Kapitel 77

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Theresa Hummels.

Theresa HUMMELS.

THERESA HUMMELS.

Dieser Name schallte immer lauter durch meine Gedanken. Durch diese Aussage war mein kratzender Hals, die laufende Nase und der Druck auf meinem Kopf vergessen. Hatte sie wirklich behauptet, dass das Mädchen, welches dort im Garten herum sprintete die totgeglaubte Tochter von Mo und mir sei? Fassungslos sah ich Mo mit großen Augen an, auch er hatte anscheinend einen Kloß im Hals.

„Aber wie?" wollte ich sprachlos wissen.

„Diese Frau hatte uns Theresa angeboten und verschwand auch sehr schnell. Ohne einen Anhaltspunkt suchten wir jahrelang nach dieser Frau. Wir wollten doch wissen, wer die Eltern waren, wenn Theresa irgendwann wissen wollte, wer ihre richtigen Eltern waren. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie das gewesen wäre, wenn wir ihr hätten sagen müssen, dass wir keine Ahnung hätten, wer die Eltern sind."

„Wie kamen sie auf uns?" wollte Mo misstrauisch wissen.

„Wir haben recherchiert und das Tag ein, Tag aus, fünf Jahre lang... bis zu dem Tag vor einem Jahr. Es war kurz vor Weihnachten, als Theresa ihr aller erstes Großkreutz - Trikot bekommen hatte. Sie freute sich euphorisch und bedankte sich an den Nikolaus. Und es klingt etwas komisch, als wir sie in diesem Trikot mit dem Rücken zu uns begutachteten, fiel es mir wie Schuppen vom Kopf. In diesem Moment hatte ich mein Laptop zur Hand genommen und gab einfach 'Auf gut Glück' >Borussia Dortmund< ein. Es dauerte einige Zeit bis ich mir sämtliche Bilder der Spieler angesehen hatte und ihren Lebenslauf durchgelesen hatte. Irgendwann nachdem ich alle Münchner Dortmundspieler durchwühlt hatte, gab ich den allerletzten ein und hatte bis dahin die Hoffnung schon fast aufgegeben. Doch, dann sah ich sie..."

Meine Augen wurden zu Schlitze und ich war mir sicher, dass diese Frau meine Mutter war.

„Ulla Holthoff." schoss es aus Grace und meinem Mund.

„Ist das nicht deine Mutter?" fragte nun Mo etwas unsicher.

Ich wusste nicht woher, aber irgendwie legte sich mein Kopf schief und mir wurde mit einem Mal was damals wirklich abgegangen war. Deswegen durfte ich mein 'totes' Kind nie sehen, weil ich dann gewusst hätte, dass sie noch am Leben gewesen wäre. Deswegen gab es nie eine Verabschiedung am offenen Sarg. Nicht, weil ich den Anblick nicht hätte ertragen können, sondern weil ich dann gemerkt hätte, dass der Sarg leer gewesen wäre. In mir stieg Wut auf und ich schnaubte verächtlich auf.

„Mir wurde im Moment so einiges klar, Mo."

„Vielleicht auch zum Thema: Totgeburt?" wollte er ebenfalls in einem säuerlichen Ton wissen.

„Unfassbar, wenn das stimmen sollte, was Sie erzählten, dann war unsere Trauer wegen Nichts! Wir hatten uns umsonst Gedanken gemacht!"

„Ihr wolltet nie, dass das Kind zur Adoption freigegeben wurde."

„Nein, natürlich nicht. Wir hatten unser Mädchen vor Geburt geliebt. Sie wissen gar nicht, wie das ist, wenn man mit einer enorm hohen Fieber und einer starken Lungenentzündung ins Krankenhaus gefahren wurde. Drei Tage nachdem es vom Frauenarzt bestätigt wurde, dass das Kind gesund sei um dann genau am ersten Tag im April zu erfahren, dass man am Vortag eine Totgeburt bekommen hätten. Wir haben alles getan um unser Kind in den Armen halten zu können. Gewissensbisse nagten jeden Tag an uns, weil wir nichts von unserem siebenmonatigen Kind hatten. Wir waren zwei sechszehn, aber wir hatten das Kind bevor es da war geliebt und dachten auch nie an eine Abtreibung." fügte ich geschockt zu.

„Hätten wir das nur eher gewusst, dann hätten wir sie gesucht!" erwähnte Mo etwas enttäuscht.

„Ihr musst euch keine Schuld auflasten, Kinder. Deine Mutter dachte, es sein besser für euch."

Ich stand auf und lief bis zum Ende der Terrasse. In meine Augen bildeten sich Tränen, die ich nur weinte, wenn ich an mein 'totes' Kind dachte, aber da... an der Hecke... dieses Kind war lebendig. Quicklebendig, als wäre sie nie zwei Monate zu früh gekommen. Als wäre sie nie etwas anderes gewohnt. Als hätte sie uns nie vermisst. Enttäuscht über mein damaligen Glauben an mein Vorbild dachte ich mit sehr viel Zorn in mir an diese Frau, die sonst so stark wirkte. Ich wandte mich zum Tisch und sah Finlay an.

„Waren zwei Männer neben Ulla gewesen?" wollte nun Mo neugierig wissen.

Seine Hände hielten immer noch sehr krampfhaft den Stuhllehnen fest, auf dem er saß.

„Nein, da war nur diese Frau!" dachte Grace intensiv nach, sodass man ihre Falten auf der Stirn sah.

„Warte, Liebling, hatte die Frau nicht in Auftrag eines Mannes unterschrieben. Ihr musst wissen, dass nur die Erziehungsberechtigten die Adoption einreichen können, weil ihr - wie ihr schon sagtet, erst sechszehn gewesen wart - haben ein Elternteil von jeden von euch eine Unterschrift niedergelegt. Wenn ihr näheres wissen wollt, dann schaut doch einfach mal da vorbei..."

Finlay holte eine Visitenkarte raus und schob sie über den gesäuberten Tisch zu uns. Mo nahm diese und sah mich aufrichtig an.

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