Kapitel 90

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Er lief in das Schlafzimmer von unserer Tochter und weckte diese auf.

„Theresa, zieh dich an."

Ich realisierte nicht, was Mo zu Resi sagte. Ich blieb noch immer versteinert stehen als Resi zu mir kam und mich umarmte.

„Ich hab dich lieb, Mama." wollte sie in der Umarmung wissen.

„Theresa, lass uns gehen. Mama muss erst einmal über ein paar Dinge alleine nachdenken. " sagte Mo kühl.

Einige Sekunden vergingen in die ich zugesehen hatte, wie Mo unsere Tochter mit sich nahm. In mir baute eine unfassbare Leere auf, die ich kaum beschreiben konnte. Ich lief in das Kinderzimmer und fühlte die Stille in diesen Raum. Die Schranktüren waren noch immer aufgerissen und im Inneren herrschte Leere. Keine Klamotten. Keine Schuhe. Ich lief wie betäubt ins Bad und auch dort fehlte Theresas Zahnputzsachen. Es wirkte so als wäre sie für immer von mir gegangen.

Ich rannte realisierend an meine Wohnungstür und sah durch die großen Fenster wie dieser Mann, den ich noch immer so sehr liebte, Theresa in sein Auto packte. Ich stürmte das Treppenhaus herab. Meine Blicke sahen immer wieder aus dem Fenster um zu wissen, dass er noch da war. Als ich über ein vollgepackten Einkaufskorb sprang, der mitten auf der Treppe stand und fiel kopfüber die restlichen Stufen abwärts.

„Aminaa?"

Ich konnte nur noch eine mir bekannte Stimme aufnehmen, bevor ich durch einen reißenden Schmerz bewusstlos wurde.

*

Als sich meine Augen etwas öffneten, hörte ich nur ein regelmäßiges Piepsen neben mir. Mein Kopf brannte voller Schmerz auf. Anscheinend war dieses leise Piepsen doch viel lauter wie gedacht. Ich wollte mich etwas aufsetzen als ich merkte, dass die Schmerzen überall in meinen Gliedern saß. Meine Augen pressten sich quälend zusammen.

„Amina, du bist wach?"

Wieder ein stechender Schmerz in meinem Kopf. Ich öffnete meine Augen ein zweites Mal und versuchte zu erkennen, wer in diesem Zimmer saß. Doch die Gestalt schien nach längerem immer noch unscharf.

„Wo bin ich?" krächzte ich flüsternd hinaus.

„Du bist im Klinikum, weil du die Treppe hinuntergefallen bist. Ein Moment der Unaufmerksamkeit."

Diese Stimme konnte ich zu keinem bekannten Gesicht zu ordnen.

„Was ist mit mir, Doktor?"

„Ähm... ich bin kein Arzt in diesem Klinikum. Erkennst du mich den nicht mehr? Ich bin dein bester Freund."

Ich versuchte in meinen Gedanken etwas zu finden, dass mir als Erinnerung geblieben war. Doch, da war bittere Leere. Ich schüttelte traurig den Kopf und schloss meine Augen vor Erschöpfung. Augenblicklich hörte ich nur noch das Kratzen von einem Stuhl, der über den Boden sauste. Keine Sekunde später fiel eine Tür ins Schloss. Kurz bevor ich einschlief, hörte ich die Tür aufgehen und zwei Menschen diesen Raum einkehrend.

„Frau Hummels, wie geht es Ihnen?"

„Schmerzen."

„In welchen Bereichen?"

„Überall. Doktor, was ist mit mir?"

„Sie sind kopfüber die Treppe herunter gefallen und ihr bester Freund hatte unsere Sanitäter geholt. Wir wissen nicht, wie dieser Sturz geschah oder wieso Sie anscheinend sehr in Eile waren. Aber durch viele Untersuchungen in den letzten Stunden wissen wir, dass sie neben Verwundung in Bein-, Arm- und Kopfbereich auch eine schwergängige Gehirnerschütterung davon erlitten haben."

Ich bewegte mein Kopf etwas um klarer zu sehen, doch dies misslang mir. Ich seufzte auf und blickte die zwei verschwommenen Gestalten an.

„Ich kann ihnen aber mit größter Wahrscheinlichkeit sagen, dass sie wieder werden, doch was den Sturz auf ihren Bauch ausgelöst hatte..."

Meine Arme suchten sich automatisch den Weg zu meinem Bauch. Sie legten sich sanft auf diesen und mir durchfuhr eine Panikattacke.

„Was ist mit meinem Kind?"

„Es könnte zu 60% behindert sein."

„Sie machen Witze..."

Meine Stimme brach ab und ich fühlte mich innerlich leer. Wie konnte das passieren? Wieso traf es mich? War ich wirklich ein schrecklicher Mensch?

„Amina, wo ist Theresa?"

Mein Atmung wurde schneller und ich schüttelte den Kopf, da ich nicht wusste, wie ich auf die rasenden Erinnerungen reagieren sollte.

„Bei Mo."

„Was macht sie bei Mo? Ich dachte, er wollte dich überraschen?"

Ich fing zu weinen an als ich bemerkte, was für scheisse ich wirklich getrieben hatte.

„Rufen Sie mich, wenn Sie Schmerzen haben sollte."

„Ok, danke, dass Sie so schnell kommen konnten."

„Kein Problem, dafür bin ich ja da."

Als die Tür wieder ins Schloss gefallen war, nahm die unbekannte Gestalt meine zittrige Hand.

„Was ist passiert?"

„Mario... geklingelt... wollte mit mir reden..."

„Ok, Ok, beruhige dich erst einmal."

Diese Stimme klang voller Mut und Aufmunterung, doch das half mir nicht wirklich mich zu beruhigen. Ich hatte Fehler gemacht, die mir nicht nur meine Tochter nahm, sondern auch noch ein Kind bescherte, dass wegen mir behindert sein würde.

„Ich hab Mario geküsst... doch dann stand Moritz da... Ich wollte nur wissen... ob ich für Mario noch immer etwas empfand..."

„Und hast du das Mo gesagt?"

„Ich bin für ihn nur eine Hure, die sich niemals ändern würde." wisperte ich schniefend.

„Hat er das gesagt?"

Ich nickte nur und hielt meine Hände vor das Gesicht. Die Tränen bahnten sich ein Weg über meine Wangen in Richtung Kissen.

„Empfindest du noch etwas für Mario?"

„Nein,... Ich hatte es ihm gesagt und auch er benutzte zuvor diese Worte, dass ich mich nie verändern würde."

„Ich bin immer für dich da, Amina, das weißt du. Ich bin mir sicher, dass beide das nicht so meinten. Schließlich bist du ein bezaubernde Persönlichkeit, die schon viel mit gemacht hatte. Erst Magersucht, dann die unnötige Depression und nun dieser winzige Streit mit Mo, was kann dich schon umhauen?"

„Die Einsicht, dass ich Theresa nicht mehr wiedersehen kann, weil Mo sie mitgenommen hatte und dass ich weder zu Mo noch zu den Anderen einen Kontakt haben darf."

„Der beruhigt sich schon wieder." gab Kevin aufmunternd mit.

Zeiten ändern dich.Where stories live. Discover now