Kapitel 35

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Tills Sicht:

Scheiße. Was hatte ich getan?! Wieso verdammt hatte ich sie das gefragt?! Ich wollte doch gar nicht mit ihr befreundet sein. Das hieß ja wir würden uns Dinge anvertrauen. Dinge die ich niemandem erzählen wollte. Dinge die dann nur wieder gegen mich verwendet werden würden.
Irgendwie musste ich da wieder raus kommen. Aber in ihrer Nähe fühlte ich mich so unfassbar wohl. Dieses Gefühl war mir total fremd und vielleicht machte es mir auch ein bisschen Angst. Vielleicht wollte ich es deshalb nicht zulassen. Ich hatte es nicht verdient glücklich zu sein. Ich hatte es nicht verdient, so jemanden wie Martha als Freundin zu haben. Und als feste Freundin schon gar nicht. Daran durfte ich nicht mal denken. Wir würden niemals ein Paar werden.
"Wollen wir morgen vielleicht nochmal Physik lernen?", fragte ich sie dann und unterbrach somit diese seltsame Stille zwischen uns.
"Klar, können wir machen." "Ähm okay cool.", sagte ich und stand dann auf und ging in mein Zimmer. Wow schon wieder war es einfach nur komisch zwischen uns geworden. Ich hatte echt meine Zweifel, dass es mit unserer Freundschaft was werden würde. Ich meine, wenn es jedes Mal so komisch enden würde, konnte ich da echt drauf verzichten.

"Okay also was genau verstehst du denn nicht?", fragte Martha mich dann am nächsten Tag, als wir wieder auf der Tischtennisplatte saßen und sie mir mal wieder versuchte diesen blöden Physikkram einzutrichtern. "Na alles. Wer braucht denn so einen Scheiß?!", sagte ich schon genervt. Ich war einfach nur sauer auf mich, dass ich selbst die einfachsten Dinge nicht verstand. Mal wieder war ich nur ein Loser. "Hey, komm ich erkläre es dir noch einmal von Anfang an. Dann wird das schon.", sagte sie und lächelte mir aufmuntern zu. Ich atmete einmal tief durch, schloss dabei meine Augen und sagte dann: "Okay". Also fingen wir nochmal von vorne an und es wirkte Wunder. Langsam kam auch etwas von dem ganzen Physikkram in meinem kleinen Sportlerhirn an.

"Ich bin beeindruckt. Martha-Mathebrain. Du hast es echt drauf mit dem Erklären." "Tja kannst du mal sehen.", lachte sie und es war endlich mal wieder normal zwischen uns. Und das gefiel mir. Sehr sogar.

"Kann ich dich mal was fragen?", setzte Martha dann plötzlich an. Innerlich verkrampfte ich mich wieder und dachte nur 'nein ich will ihr nichts erzählen'. Ich mache nicht nochmal den gleichen Fehler. "Was ist mit deiner Familie?", stellte sie die von mir am meisten gefürchtete Frage. "Darüber möchte ich nicht reden.", sagte ich direkt mit harter Miene. Ja meine Maske war wieder hergestellt. Die Mauern wurden noch ein Stückchen dicker und schützten mich davor, nicht die Fassung zu verlieren. "Aber, ich dachte wir wären Freunde.", sagte sie verständnislos. "Na und? Wenn ich es dir erzähle, wer garantiert mir, dass du damit dann nicht wieder zu Hauser oder Rike oder sonst wen rennst?! Oder sogar zu deinem Hasimir." Ich war selbst überrascht wie scharf meine Stimme klang. Scharf wie Messer. Genau so scharf wie die Scherben in Marthas Hand. Und genau wie sie Vorgestern in ihrer Hand tiefe Schnitte hinterlassen hatten, schnitten auch meine Worte, tiefe Kerben in Marthas Haut. Besser gesagt in ihr Inneres. "Ich hab mit Kasimir Schluss gemacht du Idiot.", sagte sie leise und ich sah noch wie ihre Unterlippe anfing zu zittern, bevor sie dann ohne sich nochmal umzudrehen wegrannte. Fuck. Ich raufte mir die Haare und schlug mir selbst gegen den Kopf. Wie blöd war ich eigentlich?!
Ich war einfach zu unfähig eine emotionale Bindung mit Menschen einzugehen. In allen Menschen sah ich nur potenzielle Verräter und Menschen, die mir was Böses wollten. Dabei war Martha doch die Einzige, die in mir den Till sah, der ich war und eben nicht den Tillinator. Doch genau den ließ ich in letzter Zeit, vor allem bei ihr, viel zu oft raushängen.
Ich hatte einfach zu große Angst wieder enttäuscht zu werden. Aber das war nun mal das Risiko welches man eingehen musste. Aber war ich dazu bereit? Ich wusste es nicht. Und deswegen stieß ich sie immer wieder von mir weg. Obwohl ich doch ihre Nähe so sehr wollte. Es war ambivalent. Vielleicht auch ein bisschen krank. Aber ändern konnte ich es auch nicht. Bzw. wollte ich es nicht ändern. Noch nicht. Klar hatte ich mich schon gebessert, aber bei Viktor oder in der Schule war das auch was anderes. Die fragten auch nicht nach meiner Familie. Die wollten nicht jedes Detail aus meinem Leben wissen.

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