Kapitel 63

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Marthas Sicht:

Mittlerweile war es schon eine Woche her nachdem Till ins Krankenhaus gekommen war. Eine Woche in der so einiges passiert war. Eine Woche in der ich so einiges erfahren hatte. Zum Beispiel auch, dass Till keinen gewöhnlichen Kreislaufkollaps hatte, sondern eine Panikattacke. Ausgelöst durch seine Eltern und die ganzen Selbstzweifel die er in sich trug. Von denen ich nebenbei bemerkt auch nichts wusste. Mir war zwar bewusst, dass da was tief in ihm kaputt sein musste, aber das es mal solche Ausmaße annehmen würde, darauf war ich nicht vorbereitet. Und er noch viel weniger. Er schämte sich dafür. Und das so sehr, dass er selbst mich deswegen angelogen hatte. Ich war so wütend deswegen. Aber nicht mal auf ihn, sondern auf seine Familie. Wie kaltherzig seine Mutter ihm einfach diese Nachricht geschickt hatte. Ich verstand nicht, wie eine Mutter so sein kann. Und ich dachte meine Mum hatte mich nicht lieb. Da konnte ich ja nur herzlich über meine lächerlichen Gedanken lachen. Meine Mutter hatte mich lieb, aber Tills Mum war echt ne Nummer. Apropos Nummer. Ich hatte die Handynummer von ihr aus Tills Handy geklaut, zögerte aber immer noch damit sie anzurufen. Ich glaube ich würde sie nur anschreien und es damit nur noch schlimmer machen. Aber irgendwie musste ich die beiden doch zusammen kriegen. Sie mussten sich vertragen und wieder eine Familie werden. Sonst würde er nie mit ganzem Herzen glücklich sein können und das wiederum würde ich nicht ertragen.
Man ich zerbrach mir hier schon seit Stunden den Kopf, kam aber zu keiner finalen Lösung. "Ey Kampfhund. Was sitzt du denn hier draußen so alleine?", riss mich Tills Stimme aus meinen Gedanken. Ich saß mal wieder im Park auf einer Bank und hatte einfach nur vor mich hin gestarrt. Ich blickte nach rechts, aus der Richtung war die Stimme gekommen. Ich sah Till in seinen Laufklamotten auf mich zu kommen. Sein leicht roter Kopf verriet mir, dass er seine Trainingseinheit bereits beendet hatte. Er legte seine Kopfhörer in die linke Hand und ließ sich dann neben mich fallen. "Alles okay bei dir?", fragte er dann und schaute mich mit seinen blauen Augen prüfend an. Ich seufzte laut auf. "Um ehrlich zu sein Nein. Da sind so viele Gedanken in meinem Kopf, die ich einfach nicht ordnen kann. So viele Fragen auf die ich keine Antwort habe. So viele Probleme für die ich keine Lösung finde.", erzählte ich ihm und wurde mit jedem Satz verzweifelter. "Was denn für Probleme?" "Naja Du zum Beispiel. Also nicht, dass du ein Problem bist, aber ich würde dir so gerne helfen, weiß aber einfach nicht wie. Und das lässt mich noch durchdrehen. Ich will doch nur, dass es dir wieder gut geht." "Bin ich etwa wieder nur ein Projekt von dir?! Wie retten wir den armen Till?!", warf er mir wütend an den Kopf und sprang direkt auf. "Man Till Nein. So war das doch gar nicht gemeint." "Lass mich in Ruhe! Ich war doch eh nie gut genug für dich. Ich war von Anfang an der verkorkste Junge, den niemand liebt. Du liebst mich doch auch nur so lange, bis jemand besseres vorbei kommt. Jemand der nicht so abgefuckt ist, wie ich.", schnaubte er wütend. Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Bitte was hatte er da gerade gesagt?! "Bist du jetzt vollkommen bescheuert?!", schoss ich jetzt genau so wütend zurück, stand auf und stellte mich ihm gegenüber. Wie konnte er so etwas nur denken und dann auch noch laut aussprechen?! Ich war echt fassungslos. Und so unglaublich enttäuscht. Aber jetzt gerade war ich einfach nur wütend auf ihn. Wütend auf seine Selbstzweifel, die ihn so etwas sagen ließen. "Du weißt ganz genau, dass das nicht wahr ist Till. Hör bitte auf dir so einen Mist einzureden." "Ich rede mir gar nichts ein! Es ist nun mal die Wahrheit!", seine Stimme wurde bedrohlich laut und ließ mich zusammenzucken.
"Till. Bitte. Ich will mich nicht mit dir streiten. Es ist trotzdem Quatsch was du da sagst. Du bist mein Freund und kein Projekt oder sonst was. Ich mache mir Sorgen. Das macht man nunmal bei Menschen, die einem was bedeuten.", versuchte ich ihm möglichst ruhig klar zu machen. Seine Miene verhärtete sich nur noch mehr und er spannte seinen Kiefer an. "Till, ich liebe dich.", brachte ich leise hervor und ich konnte die Tränen der Verzweiflung nicht länger zurückhalten. Wie von selbst stiegen sie in mir hoch und bahnten sich ihren Weg nach draußen und kullerten vereinzelt meine Wangen hinab. Meine Unterlippe fing an zu zittern und es bildete sich ein Kloß in meinem Hals, den ich einfach nicht los wurde. Egal wie feste ich schluckte, er blieb hartnäckig in meinem Hals verankert. Schnell ballte ich meine Hände zu Fäusten, um das Zittern kontrollieren zu können. Ich hatte Angst. Angst Till wieder zuverlieren. Er verschanzte sich nämlich gerade wieder hinter seiner Tillinator-Fassade und versuchte mich wegzustoßen. Ich wusste nicht wie lange ich diesen Kampf noch führen konnte. Langsam schwindeten meine Kräfte. Ich konnte nicht dauerhaft für ihn und für mich kämpfen. Das funktioniert nicht. Er musste mitziehen und ebenfalls kämpfen und nicht immer nur wegrennen. "Du bist besser ohne mich dran.", sagte er und seine eiskalte Stimme ließ mich erschaudern. Seine Worte fraßen sich in mein Hirn und nisteten sich dort ein. Fassungslos starrte ich ihn durch meine tränenverschleierten Augen an. "Till... Was... Wieso... Was redest du da? Ich brauche dich und will nur dich.", stotterte ich. Versuchte er gerade wirklich mit mir Schluss zu machen?! Das würde ich nicht verkraften. Ich verstand diesen plötzlichen Sinneswandel nicht. Wer oder was hatte ihn diese Flausen in den Kopf gesetzt?
"Martha komm schon. Wir wissen beide, dass das mit uns nie eine Zukunft gehabt hätte.", lachte er jetzt auf. Meine Unterlippe zitterte unkontrolliert und auch meine Fäuste fingen an zu zittern, so wie der Rest von meinem Körper. Meine Fingernägel bohrten sich unangenehm in meine Handinnenflächem und hinterließen dort kleine blutige Kerben. Er wollte das mit uns also tatsächlich beenden. Diese Erkenntnis brachte mich entgültig zu Fall. Wortwörtlich. Ich brach vor seinen Augen zusammen und kauerte mich auf dem kalten, dreckigen Boden zusammen. Doch er starrte mich nur weiter kalt von oben herab an und lachte laut. Ich hielt diese Demütigung nicht aus. Das war alles zu viel für mich.
Dann plötzlich riss ich meine Augen auf und fande mich neben Till im Bett wieder. Wir waren immer noch im Krankenhaus und ich hatte das alles nur geträumt. Erleichtert atmete ich aus und versuchte mich erstmal von diesem Albtraum zuerholen. Es hatte sich so real angefühlt, so echt, dass ich total durcheinander war.

What if?Where stories live. Discover now