Kapitel 38

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"Du musst mir das nicht erzählen, wenn du es nicht willst.", sagte er dann, nachdem ich immer noch nicht weiter geredet hatte. Seine Stimme klang ganz weich. So weich, dass er mir damit eine Gänsehaut verpasste. "Ich will aber. Du sollst verstehen wieso ich so hinter dir her war und wieso mich dein Verhalten so verletzt hat.", sagte ich und sah ihn an. Bei dem letzten Wort huschte ein trauriger Ausdruck über sein Gesicht. "Ich weiß nur nicht wie ich anfangen soll.", sagte ich und beschäftigte mich wieder mit meinen Fingern. So als würden sie mir dabei helfen die passenden Worte zu finden. Doch natürlich taten sie das nicht. "Ich will nur nicht, dass du dich dazu verpflichtet fühlst.", sagte er wieder. "Hinter jedem Verhalten steckt ein Grund. Ich bin mir sicher auch du hast deine Gründe wieso du so reagierst wie du nun mal reagierst. Aber diese Gründe rechtfertigen nicht all dein Verhalten. Sie können es erklären bzw. verständlich machen, aber rechtfertigen? Nie im Leben. Genau so ist es bei mir. Bei mir war auch nicht immer alles schön und rosig.", fing ich dann einfach an drauf los zu reden. "Als ich 11 Jahre alt war, da ist mein Vater gestorben. Er hatte Krebs und hat es nicht geschafft ihn zu besiegen. Meine Mum hat das ganze gar nicht verkraftet und hat immer öfter zur Flasche gegriffen. Sie fiel in ein tiefes Loch und stürzte immer tiefer hinein. Sie war nicht mehr in der Lage sich um mich und meinen Bruder zukümmern. Lenny war 15, also wurde er dann aufs Einstein geschickt. Das Geld haben meine Oma und Opa gezahlt. Sie hätten sich nicht um uns beide kümmern können. Doch ich war noch zu jung und habe deshalb erstmal bei meinen Großeltern gelebt. Über ein Jahr habe ich dann bei ihnen gewohnt. So lange hat es auch gedauert bis meine Mum dann endlich einen Entzug und eine Therapie angefangen hat. Dann mit 12 durfte ich auch endlich aufs Einstein. Klar war es bei meiner Oma und meinem Opa gut, aber mein Bruder und ich waren schon immer sehr eng miteinander und deswegen vermisste ich ihn sehr. Gerade in der Zeit der Trauer hätte ich ihn gut gebrauchen können. Aber dann war der Tag gekommen und ich sah ihn am Einstein wieder. Es tat gut, Leute um sich zu haben, die einen nicht jeden Tag bemitleideten. Hier konnte ich den ganzen Scheiß vergessen, auch wenn ich ab und zu denke ich habe meinen Vater irgendwie dadurch verraten. Am Anfang habe ich echt viel Mist gebaut. Ich weiß auch nicht. Vielleicht war es meine Art mit der Trauer umzugehen. Aber dann von Jahr zu Jahr tat es immer ein bisschen weniger weh. Und jetzt ist es schon 5 Jahre her. Aber. ", ich stockte kurz, um meine zitternde Stimme wieder in den Griff zubekommen. "Die Nachricht vom Tod meines Opas hat alte Wunden wieder aufgerissen. Auch wenn ich es nicht so nach außen gezeigt habe.", brach ich meinen Vortrag mit zitternder Unterlippe ab. Irgendwie realisierte ich es jetzt gerade erst so richtig, dass ich meinen Opa nie wieder sehen würde.
"Naja und ich habe damals und auch heute nicht wirklich mit jemandem darüber gesprochen und lieber versucht alles mit mir selbst auszumachen, aber das hat mich nur kaputt gemacht. Und ich... Also ich wollte nicht, dass du den gleichen Fehler machst. Deshalb bin ich dir am Anfang so hinterher gelaufen. Einfach weil ich gespürt habe, dass da was bei dir los ist und um ehrlich zu sein, warst du mir da schon wichtig und bist es auch immer noch.", flüsterte ich so leise, dass ich Angst hatte, er hätte es nicht gehört.
Schnell legte ich meine Hände im Schoß zusammen, da sie jetzt anfingen zu zittern. Aber es brachte nicht viel, weil sich das Zittern jetzt im ganzen Körper ausbreitete und durch tiefe Schlurchzer aus meiner Brust nur noch mehr verstärkt wurden. Beschämt wendete ich mich von Till weg. Es sollte mich doch eigentlich niemand so sehen. Momentan verlor ich echt oft in Gegenwart von anderen die Beherrschung. Aber naja, irgendwie gehörte ja auch sowas zu dem Freundesein dazu. Dass man sich eben nicht verstellen musste, sondern immer genau zeigen konnte wie man fühlte und wie man eben war.
Ich zuckte zusammen, als sich plötzlich seine Hand auf meine Schulter legte. Zum Einen, weil ich mich erschrak. Zum Anderen aber, weil dort wieder diese Nadelstiche waren und die Stelle brannte, wo er mich berührte. "Es ist okay.", sagte er nur. Und diese drei simplen Worte gaben mir den Rest. Ich stürzte mich in seine Arme, vergrub meinen Kopf an seiner Schulter und weinte hemmungslos. Es war eine so absurde Situation. Aber trotzdem fühlte ich mich so verbunden zu ihm, wie zu Keinem zuvor. Er schien etwas überfordert und legte wieder nur zögerlich seine Arme um mich. Aber das reichte mir schon. Mir reichte es seinen Duft einzuatmen, seinen Herzschlag und seine Arme um mich zuspüren.
Ich wusste nicht wie lange wir so da saßen, aber irgendwann hatte ich mich wieder beruhigt und wischte mir mit einem Taschentuch die restlichen Tränen weg.
"Okay das war doch schwerer als gedacht.", sagte ich und brachte sogar ein schiefes Lächeln zustande. "Martha, ich hatte echt keine Ahnung, dass es so krass ist. Ich meine du warst immer so positiv und naja wie ein Kampfhund halt." "Schon wieder der Kampfhund?", fragte ich und wir mussten lachen. Was in anbetracht dessen, dass ich vor paar Minuten noch weinend in seinen Armen lag ziemlich seltsam war. Aber es fühlte sich gut an. Und sein Lachen verpasste mir eine Gänsehaut. Da wurde mir schon wieder bewusst, wie selten er lachte.

What if?Where stories live. Discover now