• neununddreißig •

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Finn Morgan

Niedergeschlagen setzte ich mich auf mein Bett. Ich hätte niemals gedacht, dass mir ein Mensch so wichtig werden konnte. Doch Spencer war mir so unendlich wichtig geworden! Er war zwar nicht sonderlich klug, doch komischerweise störte es mich nicht sehr.

War es richtig, ihm und seiner Familie zu beichten, wer ich wirklich war? Doch sie waren alle so nett zu mir, da konnte ich sie doch nicht einfach anlügen!

Allerdings war die jetzige Situation auch nicht viel besser. Spencer war nicht einmal in der Schule. Das war bestimmt wegen mir gewesen! Er wollte mich nicht mehr sehen. Vielleicht war es besser so.

"Ich wette mit dir, dass du nicht der Grund bist, warum er nicht in der Schule war." Ich sah zu Liam. "Das ist mir relativ egal." Nein. Das war es nicht. Ganz und gar nicht. "Schon klar. Es ist fast Mitternacht, Finnie. Normal schläfst du seit drei Stunden. Aber sieh dich an: du hockst immer noch in deiner Schuluniform auf dem Bett. Du tust seit Schulschluss nichts anderes. Er ist dir nicht egal."

Liam setzte sich zu mir. Er hielt zwei Tassen in der Hand. "Zieh die Uniform aus. Dann bekommst du eine Tasse." Ich nickte und stand auf, zog die Uniform aus. Vor dem großen Wandspiegel sah ich auf meine Narben. Stich- und Schussverletzungen. Ich war hässlich. Warum wollte er mich denn nur töten? Mein großer Bruder war alles für mich!

"Spencer mag dich so, wie du bist. Hör auf, immer darüber nachzudenken. Lass es einfach alles auf dich zukommen. Er hat selbst genug scheiße erlebt. Sonst wäre die eine Akte nicht versiegelt." Ich schnappte mir ein T-Shirt und zog es an.

"Kannst du es nicht öffnen?", fragte ich und ging zu ihm zurück, nahm mir eine Tasse mit heißer Schokolade. "Oh, das könnte ich. Aber irgendjemand würde es bemerken und mich lokalisieren und dann lande ich im Gefängnis. Also musst du ihn wohl oder übel fragen. Vielleicht hat er auch so etwas erlebt. Immerhin hat er mitten im Schuljahr gewechselt." Ich zuckte mit den Schultern.

"Von Milo weiß ich zumindest, dass er morgen wieder in die Schule kommt. Ihm geht es wohl nicht besonders gut." Ich schluckte. "Dann sollte er zu Hause bleiben." "Er will dich aber sehen. Das ist doch total süß!" Liam stand auf. "Spring über deinen Schatten und rede mit ihm."

Ich schüttelte meinen Kopf. "Das kann ich nicht. Dafür bin ich noch nicht bereit." Und das war keine Ausrede. Ich war wirklich nicht bereit dafür. Es war ein Beziehungsgespräch. So etwas hatte ich noch nie, denn ich hatte noch nie eine Beziehung. "Hm, ich werd' dir dabei schon helfen. Irgendwie. Aber jetzt gehe ich schlafen. Gute Nacht, Finnie." Leicht nickte ich. "Gute Nacht."

Ich trank meine Tasse aus und sah aus dem Fenster. Kein einziger Stern war am Himmel zu sehen. Seufzend stellte ich die Tasse auf den Nachttisch und kuschelte mich in die Decke.

Was sollte ich denn morgen tun? Ich wollte nicht mit Spencer reden. Ich hatte solche Angst! Diese Angst spürte ich nur bei meiner Familie. Es war ungewohnt, vor etwas anderem Angst zu haben! Spencer würde mich verabscheuen, vielleicht sogar hassen!

Mein iPhone klingelte. Noch immer war es ungewöhnlich, ein Smartphone zu besitzen. Es war eine Nachricht von Liam:

Geh schlafen!!!!!!

Seufzend sperrte ich das Gerät und legte mich gemütlich hin. Doch schlafen? Konnte ich dies überhaupt?

Spencer küsste mich. "Nein! Du musst das lernen!", erwiderte ich und schob ihn von mir weg. "Aber das ist so langweilig. Du bist viel interessanter!", grinste Spencer. "Und wenn du das nicht langsam in deinen Kopf bekommst, fliegst du von der Schule."

Er seufzte und legte sich neben mich. "Du bist gemein. Können wir nicht ein bisschen knutschen? Nur zehn Minuten?" "Nein." "Bitte!", jammerte er. "Nein!" Ich sah Spencer genervt an. "Vielleicht danach, okay?" Ich hielt ihm das Geschichtsbuch hin. "Na gut." Spencer nahm es und fing endlich an zu lernen.

"Finnie, aufwachen." Müde öffnete ich meine Augen. "Hm?" Es war Liam. "Du musst aufstehen. Wir fahren in 40 Minuten los." Ich nickte und strampelte die Decke weg. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich unmotiviert. Zumindest wusste ich nun, wie sich so etwas anfühlte. Und es war beschissen!

"Du gehst schnell duschen und dann isst du was, ja? Du siehst nämlich richtig scheiße aus." Genervt warf ich ein Kissen nach meinem besten Freund. "Ist ja gut." Liam ging aus dem Zimmer.

Heute würde Spencer kommen. Oh Gott! Das würde ich nicht überleben! Dann hörte ich einen Knall, weshalb ich total zusammen zuckte.

"Warum stirbst du nicht?!", schrie mich mein großer Bruder an. Ich fühlte keine Schmerzen von den Stichwunden, nein. Der Schmerz war schon lange vergangen. Ich war einfach nur noch müde.

"Du hast alles versaut! Du hast mich der Polizei gemeldet! Dabei bin ich doch nur gerecht! Die Leute verdienten es, zu sterben! Begreifst du das denn nicht? Es waren Betrüger, Ehebrecher! Sie verdienten kein Leben! Der eine schlug sogar seine kleine Tochter! Das müsstest du doch erst recht verstehen!"

Marcel richtete die Waffe auf mich. Ich hörte diesen lauten Schuss, ein Schmerz spürte ich allerdings nur kurz in meiner Brust, doch mehr war da wirklich nicht mehr, weshalb ich kraftlos meine Augen schloss.

The Tape ∣ boyxboy ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt