Kapitel 11 - In der Bibleothek

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Am Mittag atmete Alec erleichtert durch, als er die Bibleothek betrat. Ein Termin war plötzlich ausgefallen, weshalb er nun tatsächlich so etwas wie Freizeit hatte, was nur sehr selten vorkam.

Als König hatte man leider stets einen sehr vollen Terminplan.

Da ihm aber nicht eingefallen war, wie er diese kurze Freizeit am besten nutzen könnte, war er einfach in die Bibleothek gegangen. Es war schon viel zu lange her gewesen, dass er etwas anderes als langweilige Berichte gelesen hatte.

Die Bibleothek erstreckte sich über einen großen Raum im Untergeschoss des Palastes, von dem aus man auch den prachtvollen Garten betreten konnte. Durch die großen Fenster fiel goldenes Sonnenlicht hinein und tauchte die dunklen Bücherregale in ein sanftes Licht.

Goldfarbener Staub schwirrte durch die Luft und es war so angenehm ruhig. Keine Menschenseele war hier, um dem Raum die friedliche Atmosphäre zu nehmen und so erlaubte Alec sich selbst einen Moment der Entspannung.

Obwohl er es liebte, König zu sein, war diese Arbeit doch mit viel Stress verbunden. Immer musste er perfekt sein. Ein perfekter Stratege, der weise, aber klare Entscheidungen traf. Der so stark war, dass niemand ihn zu übertrumpfen wagte, aber auch nicht zu stark, damit man ihn für ein kaltherziges Monster hielt. Dennoch musste er immer beherscht sein und durfte nie die Kontrolle verlieren.

In Wahrheit war die Aufgabe des Königsseins ein Ritt auf der Rasierklinge. Immer war die Gefahr da, etwas Falsches zu tun, das ernsthafte Konsequenzen hätte.

Die Momente, in denen Alec den Druck, der auf ihm lastete, kurz vergessen konnte, waren rar gesäht und er plante, jeden einzelnen komplett zu nutzen.

Andächtig lief er zwischen den deckenhohen Regalen umher und versuchte sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal aus privaten Gründen hier war und nicht, um irgendein Geschäft abzuwickeln. Es war viel zu lange her, das war gewiss.

Als er plötzlich ein leises Rascheln hörte, hielt er in seiner Bewegung inne. Sofort verschwand die entspannte Haltung und er richtete sich gewohnheitsmäßig etwas auf, um schoneinmal einschüchternder zu wirken. Dann ging er weiter und fand hinter der nächsten Ecke den Ursprung der Unruhe.

Es war Magnus.

Er lehnte mit dem Rücken zu ihm seitlich an einem Regal und blätterte in einem kleinen Büchlein, das wahrscheinlich irgendwann einmal ein Händler angeschleppt hatte. Er schien den König nicht zu bemerken, aber das war auch gut, denn so hatte dieser die Chnace, den anderen in Ruhe zu betrachten.

Magnus hatte sich anscheinend umgezogen, denn nun trug er ein beiges Hemd zu einer weiten, dunklen Hose. Sonst schien alles gleich zu sein wie am frühen Morgen ... oder nein. Wie Alec vorhin war er entspannt, seine Schultern hingen leicht herab und auch der Rest seines schönen Körpers wirkte alles andere als verspannt.

Dennoch strahlte er seine übliche, mühelos wirkende, Eleganz aus, um die Alec ihn ziemlich beneidete, denn er selbst hatte sie sich hart antrainieren müssen.

Langsam beschloss er, dass es wohl besser wäre, wenn er sich zu erkennen gab und nicht von Magnus bei seinem Gestarre erwischt wurde. Bemüht gelassen ging er also auf ihn zu und räusperte sich einmal vernehmlich.

Magnus fuhr erschrocken herum und drückte instinktiv das kleine Büchlein fest an seine Brust.
~Was liest du denn da?~, fragte Alec möglichst unverfänglich, denn natürlich erinnerte er sich noch an Magnus' distanziertes Verhalten vor der Entscheidung.

Er würde sich eher die Zunge abschneiden als zuzugeben, dass ihn dieses Verhalten verletzt hatte.
Anstatt zu antworten, hielt Magnus ihm stumm das Buch vor die Nase.

Als er den Titel las, konnte er nicht anders, als zu lächeln.
~Eine Geschichte aus zwei Städten. Ich liebe dieses Buch! Gefällt es dir aus?~
Magnus nickte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Eine Steilfalte bildete sich zwischen Alecs Augenbrauen, denn er war erneut verwirrt. Hatte es Magnus die Stimme verschlagen? Oder hatte er keine Lust auf diese Unterhaltung, wollte aber nicht unhöflich sein? Oder aber ...

~Da wir uns hier nicht in einer Entscheidung befinden, darfst du selbstverständlich auch mit mir reden.~, sprach er seine Gedanken langsam aus.

Nun wurde Magnus tatsächlich etwas rot, als er endlich antwortete~Achso! Das ... wusste ich nicht.~

~Das ist nicht schlimm, immerhin ist es das erste Mal, dass wir uns außerhalb meines Schlafzimmers treffen. Also?~
~Was?~
~Das Buch.~

~Achso, ja. Es gefällt mir. Eigentlich war ich nur auf der Suche nach neuem Lesestoff. Ich habe noch nie so viele Bücher auf einmal gesehen!~
~Es ist nicht umsonst die größte Bibleothek in ganz Idris.~, behauptete er mit einem stolzen Unterton.

~Wenn ich so eine hätte, hätte ich direkt hier wohl ein Feldbett aufgestellt, um sie nie wieder verlassen zu müssen! Es ist wundervoll hier!~, gab Magnus zu und drehte sich einmal im Kreis, während seine braunen Augen jedes sichtbare Bücherregal auf einmal zu liebkosen schienen.

Alec konnte sich bei seinem begeisterten Tonfall kein Lächeln verkneifen. Auch er mochte es hier, aber er hatte noch nie daran gedacht, hier zu übernachten oder gar zu leben. Das war nun wirklich zu viel des Guten.

Aber vielleicht hatte er auch nur den Blick dafür verloren, wann etwas wirklich ... schön war. So schön, dass man so viel wie möglich so lange wie möglich brauchen und genießen wollte.

Vielleicht könnte Magnus ihm ja helfen, diesen Blick wieder zu schulen.

~Du liebst es zu lesen, oder?~
Magnus nickte wild, während ein verträumtes Lächeln seine vollen Lippen zierte.
~Meine Mutter war eine gute Freundin der Frau des Dorfgelehrten. Darüber hat sie gelernt zu lesen und hat es auch mir beigebracht. Sie hat immer die Meinung vertreten, dass es da draußen viel mehr Sehenswertes gibt, als unser Auge erreicht. Wir sollten nur die Neugier und den Mut finden, das zu entdecken, genau wie wir als Kinder den Mut hatten, die Nachbarschaft zu erkunden. Ein Weg, Neues zu erfahren und seiner Fantasie, die bei vielen Menschen noch in den Kinderschuhen steckt, beim Heranwachsen zu helfen, ist das Lesen. Man wird weiser, weil man nicht nur ein Leben gelebt hat, sondern viele. Also ja, ich liebe es neue Welten zu entdecken, wenn ich die Zeit dazu bekomme.~

Alec war überrascht von der Leidenschaft, mit der Magnus über so ein ... einfaches Thema sprach und sofort fragte er sich, ob er das immer tat. Ob er immer so ... mit vollem Herzen dabei war oder es sich nur auf die Dinge beschränkte, die ihm wirklich wichtig waren?

Alec selbst musste sich immer zu sehr kontrollieren, um wirklich Leidenschaft zeigen zu können. Es war nunmal der Gegensatz zu dem, wie er meistens agierte, weshalb er Magnus sehr bewunderte.

Allerdings musste er sich auch eingestehen, dass er zwar zugehört hatte, seine Konzentration dabei aber eher mittelmäßig war. Viel mehr hatte er sich, mal wieder, auf Magnus' Lippen fokussiert und sich gefragt, wie es wohl wäre, diese zu küssen.

Plötzlich geschah Alec etwas, das ihm nur ganz selten passierte und wovon er sich normalerweise stets erfolgreich abhielt. Er verlor die Kontrolle und sagte das, was er wirklich dachte.
~Darf ich dich küssen?~

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now