Kapitel 48 - Wie am Anfang

250 40 13
                                    

Alec war hin und her gerissen, was die kommende Nacht anging. Er freute sich, Magnus wiederzusehen und wieder in dessen Nähe verweilen zu dürfen, aber gleichzeitig war genau das auch irgendwie so schmerzvoll.

Er würde ihm nicht so nahe sein können, wie er es gerne hätte, und obwohl er das nun schon eine längere Zeit über so handhabte, wurde es nicht leichter. Im Gegenteil. Mit jeder Sekunde, die verstrich, sehnte er sich mehr danach, Magnus ganz nahe an sich zu ziehen und einfach in ihm zu ertrinken.

Er würde ihn so gerne berühren, so gerne küssen, sich so gerne in seinem Blick verlieren und wieder in die Traumblase flüchten, die ihre Verbindung so lange von der Außenwelt geschützt hatte. Nun jedoch schien sie wie ein eine geplazte Seifenblase, unerreichbar seid er wegen seinen Schuldgefühlen aus hier hinausgefallen war.

Aber er konnte nunmal nicht zurück und jetzt musste er einfach da durch. Er müsste nur noch ein kleines bisschen stark sein, bevor er über dem Berg wäre und alles wieder leichter werden würde. Zumindest redete er sich das ein.

Das Urteil über Ragnor Fell am Nachmittag war ihm nicht leichtgefallen, immerhin hatte er ihn durch ihr Gespräch berührt, aber auch beeindruckt. Der ältere Mann schien eine sehr ruhige, loyale Gestalt zu sein, die sich eher im Hintergund hielt und da die Strippen zog. Er wirkte unauffällig, hatte aber eine besondere Sichtweise auf die Welt.

Seine Menschenkenntnis war mehr als gut, auch wenn er selbst manchmal etwas griesgrämig erschien. Alec mochte ihn irgendwie, was die Entscheidung nicht einfacher machte.

Schlussendlich hatte er ihn zu weiteren Jahren Haftstrafe verurteilt, jedoch nicht so viele wie er es anfangs vorgesehen hatte. Dennoch war er zufrieden gewesen. Anders als jetzt, wo seine Nerven so gespannt waren wie Drahtseile und er kaum still sitzen konnte.

Als es an der Tür klopfte, musste er ersteinmal tief durchatmen und sich innerlich sammeln, bevor er sie schließlich öffnete.

Magnus lächelte ihn an, aber da er zuvor in den Genuss des wahren Lächelns gekommen war, wusste er, dass dieses hier gefälscht war, so echt es auch erschien.
Das erkannte er vorwiegend daran, dass seine Augen nicht mitfunkelten sondern dunkel und wieder so ... hart waren. Undurchchdringbar für jeden.

Seine Fassade war wieder voll intakt, genau wie Alecs und dieser mochte das nicht. Er mochte nicht, dass es so aussah, als wären sie wieder am Anfang und noch weit entfernt voneinander. Er wollte das irgendwie nicht, obwohl es ja richtig war.

Diese Distanz war richtig und das Dejavu ein ermutigender Beweis dafür. Lediglich das violette Halstuch verriet, dass sie nicht plötzlich in der Zeit zurückgereist waren. Stadessen befanden sie sich immernoch im Hier und Jetzt, so unschön dieses auch gerade erscheinen mochte.

~Guten Abend, Alexander. Wie geht es dir?~, fragte er und glitt beschwingt an ihm vorbei, ohne ihn zu umarmen oder zu küssen.
Wie am Anfang ...

~Gut. Es war eben ein normaler Tag. Nichts großes~, winkte er ab und folgte Magnus auf den Boden vor dem Bett, wie am letztem Tag,~Was wirst du mir heute erzählen?~

Alec hatte keine große Lust auf gezwungenen Smalltalk, denn einerseits war er alles andere als gut darin und andererseits machte Magnus nicht den Eindruck, als ob er viel mit ihm reden wollte. Das sah man ihm natürlich nicht an, denn für jeden anderen hätte er wohl ausgesehen wie immer.
Lächelnd, freundlich und schein-offen.

Nur seine zuckenden Finger, die sich abwechselnd zur Faust ballten und dann wieder losließen, verrieten ansatzweise wie angespannt er war. Auch verhielt er sich wieder diskret-distanziert, denn die unsichtbare Grenze, die man nicht überschreiten durfte, war wieder gezogen worden. Sie machte es ihm so unmöglich, wieder den Magnus zu sehen, in den er sich verliebt hatte.

Besagter warf ihm wieder eines dieser bittersüßen falschen Lächeln zu, bevor er begann zu erzählen.

Das Leben auf der Flucht war nicht so wie es sich der erwachsen gewordene Hexenmeister vorgestellt hatte, auch wenn er selbst nicht wusste, was diese Vorstellungen gewesen wären.

Auf jeden Fall war er ständig unterwegs, denn er konnte sich nie sicher sein, ob ihn nun Soldaten verfolgten oder nicht. Da wollte er kein Risiko eingehen, weshalb er sich auch erstmal von größeren Orten fernhielt und stadessen in der staubigen Wüste verweilte.

Er fühlte sich so einsam wie noch nie zuvor, aber auch so ... frei. Er war frei, das zu tun, was er wollte und beinahe niemanden würde es interessieren. Er konnte seine eigenen Entscheidungen treffen und das versetzte ihn in ein euphorsiches Gefühl der Unabhängigkeit.

Natürlich war es nicht einfach, aber in dieser Zeit lernte er, was es hieß, wirklich frei zu sein und er liebte dieses Gefühl.

Allerdings war es klar, dass er nicht für immer in der trockenen Wüste bleiben konnte, weshalb er sich im Schutze der Dunkelheit in einer schummrigen Dorfkneipe wiederfand. Es war stickig und warm, aber er war zur Abwechslung mal nicht alleine.

Ehe er sich dem Problem zuwenden konnte, dass er kein Geld dabei hatte, setzte sich ein junger Mann neben ihn an den Tresen. Er war etwas älter als der erwachsen gewordene Hexenmeister, hatte braune Haare und ein strahlendes Lächeln.

~Kann ich dir einen ausgeben, Süßer?~

Der erwachsen gewordene Hexenmeister versteifte sich, denn unweigerlich wanderten seine Gedanken zu dem Händler, der so viel zerstört hatte. Aber der junge Mann schien, zumindest ein Stück weit, anders zu sein. Er wirkte nicht so, als ob er handgreiflich werden wollte, was gut war.

Außerdem war er so durstig, dass sich seine Zunge bereits pelzig und trocken anfühlte. Ein Wunder, dass er noch nicht längst zu husten begonnen hatte.

Allerdings war es klar, dass der junge Mann etwas mit diesem Angebot beabsichtigte, wofür er noch nicht bereit war. Wäre es also möglich, diesen jungen Mann auszunutzen und seine deutlichen Erwartungen zu enttäuschen?

Er kämpfte kurz mit sich, bevor sein Durst siegte. Er brauchte es wirklich, würde sich aber den dunklen Blicken des jungen Manns entziehen, sobald sich die Möglichkeit bieten würde. Also lächelte er sein bestes Lächeln und nickte.
~Gerne.~

Der Abend war nett, endete jedoch damit, dass sich der erwachsen gewordene Hexenmeister durch die Hintertür hinaus schlich und floh.

Allerdings hatte dieses Ereignis etwas in ihm geweckt und er hatte begonnen, Menschen auszunutzen. Vor allem die, die ihn so ähnlich ansahen wie der Mann von der Kneipe.

Er war nicht stolz darauf, aber er wusste, dass er es nötig hatte und dass er niemanden vertrauen durfte. Zumindest glaubte er das lange, bevor er eine bestimmte Person traf, die sein negatives Bild der Menschen in ein rechtes Licht rückte.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now