Kapitel 16 - Fallen lassen

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Magnus' Sicht

Es war, als würde man am Rand einer Klippe stehen und überlegen, ob es besser wäre zu springen oder es sein zu lassen.

Einerseits war da dieses große Unbekannte, das man so gerne entdecken würde. Doch dazu brauchte es Mut, damit man es schaffte loszulassen.
Andererseits war da aber auch das alte Leben, das Vertraute, das so einfach zu erreichen schien, aber dafür weder gut noch aufregend war.

Magnus war hin und her gerissen.

Alexanders Worte hatten ihn gerührt und er gab ihnen auch recht. Er war sogar erleichtert, dass er nicht der einzige gewesen war, der diese Spannug zwischen ihnen, dieses Feuer, bemerkt hatte. Wenn er ehrlich war, zog es ihn ebenfalls zu dem attraktiven König hin und er wollte nur nicht bei ihm bleiben, weil er Angst hatte.

Aber das war es ja gerade, das ihn davon abhielt zu springen: Angst. Er hatte Angst sich zu öffnen, nur um dann verletzt zu werden. Angst zu vertrauen und sich zu öffnen, nur um enttäuscht zu werden. Angst zu fallen und nicht aufgefangen zu werden.

Er kannte den König doch gar nicht! Was, wenn all diese süßen Worte gelogen waren und er Magnus bei nächster Gelegneheit loswurde, nur um sich zu rächen? Es wäre nicht das erste Mal, dass er betrogen und getäuscht wurde.

Doch er konnte die Anziehung zwischen ihnen nicht leugnen und wer wusste schon, was geschah, wenn er tatsächlich losließ? Vielleicht würde ihn Alexander nicht nur auffangen sondern höher steigen lassen als je zuvor.

Was wenn er neue Höhen mit ihm entdeckte und nicht nur an seiner Seite herrschte, sondern auch endlich ... frei war? Frei im Herzen und im Geiste.

Was wenn er tatsächlich in den Genuss lang anhaltener Liebe und Sicherheit kommen würde? Die Chance war mehr als gering, aber sollte er es nicht zumindest versuchen? Konnte er diese Gelegenheit wirklich ausschlagen?

Ihm war klar, dass, wenn er Alexander abweisen würde, seine Freiheit nur von kurzer Dauer war. Er wäre zwar frei, aber er würde dann auch so lange gejagt werden, bis er wieder gefangen war und dann könnte er auf keine Gnade hoffen.

Allerdings schien es so verlockend einfach, diese Möglichkeit zu wählen. Er müsste sich keiner psychischen Gefahr aussetzen oder auf jemand anderen vertrauen als auf sich selbst.

Magnus war so lange auf sich allein gestellt gewesen, dass er bezweifelte, dass er anderen Menschen auch nur ansatzweise trauen konnte. Aber vielleicht könnte er das ja wieder erlernen, an Alexanders Seite, der ihn flehentlich ansah.

Seine wunderschönen blauen Augen funkelten bittend und wie könnte er ihnen je einen Wunsch abschlagen? Magnus hatte sich oft anhören dürfen, wie schwach er doch sei, aber zum ersten Mal machten ihn diese Worte nicht mehr wütend.

Vielleicht war es sogar gut, schwach zu sein, wenn man so jemanden wie Alexander hatte, mit dem man gemeinsam stark sein konnte. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen, als er eine Entscheidung traf.
~Ich bleibe ...~

Alexanders Sicht

Als Magnus die erlösenden Worte sagte, konnte Alec nicht anders, als ihn in eine stürmische Umarmung zu ziehen und ihn fest an sich zu drücken. Erst verspannte sich der Körper des Kleineren etwas, bevor er die Umarmung zögernd erwiederte.

Alec war einfach so ... glücklich. Er hatte sich fallen lassen und nun würde er Magnus nicht enttäuschen, sondern für ihn da sein.

Sie beide würden lernen, einander nicht nur zu mögen sondern irgendwann vielleicht sogar zu lieben, aber vor allem einander zu vertrauen. Sie würden sich öffnen und hoffentlich gegenseitig zu neuen Höhen verhelfen. Sie würden füreinander da sein und nichts würde sie trennen können ... Zumindest glaubte er das jetzt noch.

~Ich war noch nicht fertig~, murmelte Magnus' samtige Stimme,~Ich habe noch ein paar Bedingungen.~

Sofort ließ Alec ihn los und sah ihn aufmerksam an. Egal, was für Bedingungen jetzt kamen, er würde sie akzeptieren, solange sie dafür sorgten, dass Magnus blieb.

Seine Nervosität ließ er sich dabei aber nicht anmerken und auch den Drang, ihn neugierig nach diesen Bedingungen zu fragen, unterdrückte er. Stadessen versuchte er interessiert, aber ruhig auszusehen. Ob ihm das aber gelang, war fragwürdig.

~Die erste Bedingung ist, dass du mich nicht mehr jede Nacht zu dir rufen lässt. Ich bin kein Hund, dem man einfach so befehlen kann, was er zu tun hat und was nicht. Zwar würde ich dir selbstverständlich Gesellschaft leisten, aber wir sind dabei mehr oder minder gleichberechtigt.~

Alec nickte verstehend. Er wusste, dass das, was sie beide irgendwann haben würden, nicht auf Ungleichheit basieren durfte. Auch sah er ein, dass er mit seinem königlichen Gehabe -er gab es zu, er übertrieb manchmal- nicht gerade weit kommen würde.

~Wenn das hier zwischen uns funktionieren soll, sollten wir uns auch nicht nur die paar Stunden in der Nacht sehen, sondern auch tagsüber. Sofern dein Terminplan das zulässt natürlich. Ich sollte in gewissem Maße in deine Angelegenheiten eingeweiht werden. Keine Geheimnisse.~

~Und die dritte?~
Magnus' Blick wurde unsicher.
~Wir machen alles in meinem Tempo. Ich habe in der Vergangenheit nicht gerade schöne Dinge erlebt und diese haben ziemlich viel von meinem ... Vertrauen zerstört. Deshalb ... möchte ich nichts überstürzen, wenn das für dich in Ordnung ist?~

~Natürlich.~, hauchte er und strich Magnus erneut sanft über die Wange,~Wir tun nichts, bei dem du dich unbehaglich fühlst. Sag mir einfach, wenn es zu viel wird.~
~Danke, Alexander.~

Genüsslich schloss Alec die Augen, als er seinen Namen hörte. Es klang einfach so ... sanft und liebevoll.

Er sprach Alecs Namen aus, als wäre etwas besonders Schönes. Eine liebliche Erinnerung an eine längst vergangene Melodie, die einen aber bis heute unglaublich glücklich machte.

Eigentlich hasste Alec seinen vollen Namen -viel zu förmlich-, aber jetzt begann er tatsächlich  ihn zu mögen. Ein weiterer Beweis dafür, wie sehr ihn Magnus zum Besseren veränderte.

Besagter ließ zu, dass er ihm über die vollen Lippen strich und hielt ihn dabei vollkommend mit seinem Blick gefangen. Magnus war schön, keine Frage, aber jetzt gerade war es nicht nur sein Äußeres, das strahlte, sondern vor allem sein Inneres.

Seine Augen funkelten wie Sterne und waren voller Gefühle, die dazu einluden, näher erforscht zu werden. Alecs Herz machte einen kleinen Sprung, als er bemerkte, dass er nun tatsächlich die Möglichkeit hatte, diese Gefühle zu erkunden und sich in ihnen zu verlieren.

Plötzlich traf ihn etwas im Auge und blinzelnd wandte er schwerenherzens seinen Blick ab. Die ersten Sonnenstrahlen kletterten gerade über den Horizont und tauchten den Himmel in ein zartes Rosarot, das perfekt zu seiner Stimmung zu passen schien.

Es war atemberaubend, aber nichts im Vergleich zu Magnus.

~Ich werde dich leider nicht vor den täglichen Entscheidungen bewahren können, aber sei dir sicher, dass noch niemand an dieser Stelle war, wo du jetzt stehst. Ich möchte die Dinge genauso wenig überstürzen wie du. Doch du bist besonders für mich, Magnus und deshalb wirst du heute bleiben.~
Magnus antwortete nicht, aber sein erleichterter Blick sagte genug.

Er wusste, dass Alec noch nicht so weit war, sich vollends für ihn zu entscheiden und er akzeptierte das. Sie mussten sich ersteinmal aufeinander einlassen und sich kennenlernen, bevor man endgültig beurteilen konnte, ob sie beide etwas für die Ewigkeit waren.

Mit einem kaum merklichen Nicken bestätigte er Alecs nächstes Vorhaben und im übernächsten Moment verbanden sich ihre Lippen zu einem süßen Morgenkuss, der aber so viel mehr war als das. Er war ein Zeichen für einen Neubeginn, einen echten Neubeginn, den beide gemeinsam antreten würden.

Ob er sich lohnen würde, würden sie aber erst am Ziel erfahren.

Zehn und eine NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt