Kapitel 43 - Wenn du nur wüsstest

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Alec war nicht nur müde sondern fühlte sich auch hundeelend. Er wollte einfach nur schlafen, am liebsten für immer. Er wollte schlichtweg allein sein, pflichtlos, sorglos und einsam in seinem Bett vergammeln.

Aber er konnte nicht, denn immerhin war er der König. Er hatte nunmal Pflichten, vor denen er sich nicht drücken konnte. Er musste aufstehen und konnte nicht in Selbstmitleid baden wie er es gerne getan hätte.

Also war er aufgestanden und hatte den Tag mit einer grimmigen Miene begrüßt. Nur weil er seinen täglichen Aufgaben nachging, hieß das ja nicht, dass er nicht mies gelaunt sein durfte.

Dass Simon seine Launen abbekam, obwohl er nichts getan hatte, um seinen Zorn auf sich zu ziehen, interessierte ihn nicht. Ihn interessierte gar nichts.

Ob das eine gute Ausgangsposition für die Urteile war, die er heute über eine Handvoll Straftäter fallen würde? Wahrscheinlich eher nicht, aber wen kümmerte es?
Alec nicht. Ganz bestimmt nicht.

Mittlerweile war es Nachmittag und er saß in seinem Büro. Dieses Mal schaftte es der Ausblick auf den Garten leider nicht, ihm Ruhe zu schenken, denn dazu war er einfach zu aufgewühlt.

Wegen Magnus. Er hasste es zu sehen, dass er verletzt war, wegen ihm.

Am frühen Vormittag war Alec durch seinen Palast geschlendert und kam dabei zufällig an Magnus' Zimmer vorbei. Aus einem Gefühl, das er nicht länger definieren durfte, hatte er angehalten und die Wachen hatten ihn nicht gestoppt, als er die Tür einen Spalt weit öffnete.

Im Zimmer war es still und leer.
Man konnte nur einen Umriss auf dem Bett sehen, der sich dort zusammengerollt hatte und immer wieder zuckte, als erlebe er gerade einen schlimmen Traum. Selbst aus der Distanz hatte er das leise Wimmern verständnisloser Qual hören können und es hatte ihm das Herz gebrochen.

Deshalb hatte er die Tür schnell
wieder geschlossen und war fort gegangen.

Alec hatte damit gerechnet, dass sein plötzliches Abstandnehmen nicht spurlos an Magnus vorbeigehen würde. Die verwirrten und leicht getroffenen Blicke hatten nur zu deutlich darauf hingewiesen.

Aber es jetzt nochmal vor Augen geführt zu bekommen, war etwas ganz anderes. Er hatte sich selbst geschworen, Magnus vor allem Übel der Welt zu schützen und diese Mission versuchte er auch weiterhin durchzuführen, doch dabei schien er bisher immer das Gegenteil zu erreichen.

Stets war er es nämlich, der Magnus Schmerz zufügte. Er war beim Vorfall gescheitert und hatte sich deshalb zurückgezogen, aber jetzt scheiterte er schon wieder und das tat verdammt weh.
Er hasste es, glaubte aber noch immer, dass all das für eine gute Sache war.

Dass es ihnen beiden besser gehen würde, wenn er sich nur weit genug entfernt hätte. Er hoffte, dass nur die ersten Schritte so wehtun würden und es mit der Zeit langsam besser werden würde. Und Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt.

Gerade saß er vor seinem Schreibtisch und betrachtete den jungen, schwarzhaarigen Mann, der finster dreinblickte.

Er wartete auf sein Urteil für schlimme Körperverletzung. Er hätte einen anderen beinahe umgebracht, dabei schien er sogar noch jünger als Magnus.

Allerdings hatte dieser bereits einen Mord begangen, auch wenn er es bis heute heftig bestritt. Menschen waren grausam, das hier war das beste Beispiel -zumindest in seinen Augen.

Er wollte gerade zu etwas ansetzen, als es klopfte. Irritiert zog er die Augenbrauen hoch, denn er erwartete eigentlich keinen Besuch.

Vielleicht war etwas mit dem anderen Gefangenem, weshalb ihn die Wachen nun in seinem Prozess unterbrachen? Er war nicht sicher.
~Herein.~

Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und gab den Blick frei auf ... Magnus. Er sah entschlossen aus in seinem hellen Hemd und der dunkelbraunen Hose, aber auch ... kalt.

In seinem Blick konnte Alec nicht wie üblich lesen, was in ihm vorging, denn seine leicht glasigen Augen schienen wie dunkle, undurchdringbare Mauern. Sie versperrten allen den Blick auf die gute Seele hinter ihnen. Die gute Seele, die er verletzt hatte.

Auch der Angeklagte wandte seinen Blick zu ihm und seine dunklen Augen weiteten sich kaum merklich.
~Dios mio.~
~Auch schön, dich zu sehen, Raphael~, sagte Magnus und ein kurzes Lächeln huschte über seine schönen Lippen,~Alex- Alec, wir müssen reden.~

Alec.
So hatte ihn Magnus noch nie genannt. Ein weiteres Zeichen von Distanz, die nun auch Magnus angenommen hatte. Es versetzte ihm einen Stich, aber er hatte es schließlich auch genauso gewollt oder nicht?

Mit kleinen, bedachten Schritten kam er auf ihn zu, ergriff seinen Arm und zog ihn in eine Ecke des Zimmers, um den Hauch von Privatheit vorzutäuschen. Er ließ ihn nicht los, blickte ihm aber direkt in die Augen.

~Egal, was du im Begriff bist zu tun, tu es nicht, denn es wird nicht gerecht sein.~
~Wie meinst du das?~, fragte er irritiert.

~Du siehst nur Fakten, Alec. Du siehst, dass dieser Mann einen anderen verletzt hat und dafür zur Rechenschaft gezogen wird, aber du siehst nicht darüber hinaus. Du willst die Gründe nicht wissen, wieso er das getan hat. Willst nicht wissen, wieso Menschen schlechte Dinge tun. Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß. Hast du noch nie etwas getan, von dem du gewusst hast, dass es für einen guten Zweck ist, auch wenn Menschen dafür leiden müssen?~

Wenn du nur wüsstest, dachte Alec sich gequält.

~Worauf willst du hinaus?~
~Raphael hat den Mann zusammengeschlagen, weil der kurz davor war, sich an seiner Schwester zu vergehen. Er hat es getan, um einen seiner Herzensmenschen zu schützen. Er kannte die Konsequenzen und er wird sie auch tragen, aber bedenke, wieso er es getan hat. Hattest du noch nie einen Menschen, für den du alles tun würdest, egal, was es dich kostet?~

Wenn du nur wüsstest, dachte er sich wieder.

Alec kannte diese Gefühle nur zu gut, aber dennoch beeindruckte es ihn, mit welcher Leidenschaft Magnus sich für diesen jungen Mann einsetzte. Mit einer ähnlichen Leidenschaft hatte er früher über Bücher gesprochen, er erinnerte sich noch genau an das Feuer in seinen Augen. Nun loderte der Wunsch, den Jungen zu schützen in ihnen auf.

Gleichzeitig schienen sie ihn aber auch anzuflehen.
Tu ihm nichts. Er hat es nicht verdient. Nicht er.

~Ich will dir nicht in dein Urteil reinreden. Dazu habe ich kein Recht, aber ich will, dass du mehr tust als Nachdenken, bevor du entscheidest. Hör nicht nur auf deinen Verstand, sondern auch auf dein Herz, denn nur das kann über die Grenzen des sichtbaren hinaussehen. Nur dann sind Entscheidungen richtig~, sagte er weiter und legte seine Hand kurz auf Alecs Brust, um seine Worte zu unterstreichen,~Überdenke deine Entscheidung nochmals und tue dies auch für künftige, denn die Welt ist kompliziert und so viel mehr als Schwarz und Weiß, gut und schlecht, hell und dunkel. Entscheide also weise, mein König. Danke.~

Mit diesen Worten ließ er ihn los und drehte sich um, um wieder zur Tür zu gehen.

Auf dem Weg hielt er kurz an und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Die Geste war liebevoller als man hätte meinen können und sprach aus einer Erleichterung, die nur einherkam, wenn man eine lang getragene Schuld beglich.

Dann ging Magnus zur Tür und hinterließ die Übrigen beiden in perplexem Schweigen.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now