Kapitel 54 - Geschwisterliebe

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Isabelles Sicht

Isabelle machte sich Sorgen um ihren Bruder und das nicht gerade wenig. Schon beim Gespräch mit diesem ominösen Magnus hatte sie das Gefühl gehabt, dass etwas nicht stimmte und als sie dann zufällig den Streit zwischen den beiden mitbekommen hatte, hatte sie endlich Gewissheit.

Irgendetwas war passiert, das Alec dazu bewegt hatte, so unnahbar und ignorant zu reagieren. Denn normalerweise war er zu jedem freundlich, den er auch nur annähernd in sein Herz geschlossen hatte. Hier hingegen war er nahezu grausam gewesen und das passte einfach nicht zu ihm.

Als er ihre Mutter dann so plötzlich stehen gelassen hatte, erkannte sie, dass es ihm nicht gut ging, denn er log nur selten -und sie wusste von Simon, dass er keine Termine hatte. Das hatte sie dazu bewegt, nach ihm zu sehen, doch nie hätte sie mit dem Bild eines zusammengesunkenen und zitternden Alecs gerechnet.

Dieser Anblick erinnerte sie an andere Zeiten, denn es gab nur ein weiteres Mal, als sie ihn so ... zerstört gesehen hatte: Nach Jace' Tod.

Nachdem sein bester Freund fort war, hatte Alec sich verändert, hatte sich verschlossen und war kalt und ... wütend. Wütend auf die ganze Welt und vor allem auf sich selbst, da er sich stets einredete, dass er es nicht geschafft hatte Jace zu retten.

Er hatte versucht, alles und jeden auszuschließen, Menschen wie Gefühle, doch gerade letztere ließen das nicht so einfach mit sich machen. Manchmal suchten sie ihn mit so einer Kraft heim, dass er sie nicht mehr unterdrücken konnte und sie wie ein Vulkan ausbrachen.

Das war nach Jace' Tod des öfteren passiert, denn obwohl man es dem Blondschopf nicht zutrauen würde, war er für Alec ein Ruhepol, ein sicherer Hafen gewesen. Als dieser plötzlich weg war, war er verloren und Izzy hatte ihm kaum helfen können, auch wenn sie es immer versuchte.

Diese Zusammenbrüche hatten seit der Krönung abgenommen, denn Alec hatte es sich zum Ziel gemacht, nur noch seiner direkten Familie zu vertrauen und niemals mehr solche Schwäche zu zeigen. Die Tatsache, dass seine Gefühle nun wieder überhand genommen und ihn zu Boden gerungen hatten, war ein Beweis dafür, dass er diesem Magnus mehr als nur vertraute.

Er hatte ihn in sein Herz geschlossen, aber deshalb war es für sie nur unverständlicher, wieso er sich in der Bibleothek so verhalten hatte.

Sie brauchte Antworten, aber ersteinmal musste sie für ihren Bruder da sein, der sie brauchte, ohne etwas verurteilendes zu sagen.

Also ließ sie sich auf die Knie sinken und zog ihren Bruder an den breiten Schultern zu sich, um ihn fest in den Arm zu nehmen. Leicht wiegte sie sie beide hin und her und summte dabei eine beruhigende Melodie, während Alecs Beben langsam nachließ und er sich verzweifelt an sie krallte.

So verblieben sie eine unbestimmte Zeit lang, bevor er sich schließlich löste und zurück an die Wand lehnte. Alec war blass und seine Augen gerötet. Tränenspuren glänzten auf seinen Wangen und er wirkte so verzweifelt und verletzlich.

So hatte Isabelle ihn auch schon lange nicht mehr gesehen, weswegen sie umso entschlossener war, das zu ändern. Sie wollte, dass ihr Bruder glücklich war, auch wenn er selbstverständlich ebenfalls das Recht hatte, genau das auch mal nicht zu sein. Er war nicht perfekt, obwohl er das jedem weismachen wollte.

~Ich bin so ein Idiot.~, murmelte Alec irgendwann leise und sah zu Boden.
Izzy runzelte die Stirn.
~Wieso?~

~Wegen Magnus. Ich habe ihn angelogen und sein Vertrauen in mich zerstört. Er hasst mich jetzt bestimmt.~
~Warum hast du nicht mit ihm darüber geredet, was dich beschäftigt?~

Alec sah sie verwirrt an.
~Ich meine, es ist doch schon ziemlich offensichtlich, dass es einen Grund haben muss, dass du Magnus ignorierst, wenn du doch eigentlich in ihn verliebt bist. Wieso quälst du euch so?~, erläuterte sie nun und verlagerte ihr Gewicht neugierig auf die Ballen.

Alec zuckte die Schultern und wirkte unentschlossen, was untypisch für ihn war. Normalerweise wusste er nämlich stets, was er wollte und war meistens auch stur genug, um es zu bekommen, unbeachtet dessen, ob es ihm nun gut tat oder nicht. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog er es auch durch.

Nur warum hatte er sich dann in den Kopf gesetzt, Magnus wegzustoßen, wenn beide scheinbar Gefühle füreinander hatten?

~Es ist besser so. Ich tue ihm nicht gut und er ist nur in Gefahr, wenn ich bei ihm bin. Außerdem würde sich doch alles ändern, wenn ich ... Es würde den Bach hinuntergehen und alles, was ich getan habe, wäre wie vom winde verweht. Und was ist, wenn ...~

Frustriert, weil seine Stimme langsam wieder zu zittern begonnen hatte, vergrub er en Kopf in den Händen.
~Ist es wegen den Abdrücken auf seinem Hals?~
~Woher weißt du davon?~, fragte Alec fordernd und hob den Kopf wieder.

~Sein Halstuch ist verrutscht, als ich mit ihm geredet habe. Also?~
~Es ist nicht unbedingt deswegen, aber es war der Auslöser. Ich will nicht, dass er in Gefahr ist ...~

~... und außerdem hast du Angst~, machte sie dieselbe Feststellug wie Magnus, wenn auch um einiges ernster,~Du hast Angst, verletzt oder enttäuscht zu werden, wenn du dich komplett fallen lässt.~

Alec zog eine mehr als unglückliche Miene, aber er widersprach nicht. Eher schien er mit sich zu ringen, ob er es nun zugeben oder seinen Stolz behalten und schweigen sollte.

Egal wofür er sich entscheiden würde, Izzy hatte ihre Antwort bereits und diese zauberte ihr ein trauriges Lächeln auf die geschminken Lippen.

~Ich fürchte nur, dass das zur Liebe dazugehört. Man muss einander vertrauen, auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden. Dieses Risiko gehört leider dazu und ist der Preis für das Glück, zu lieben und geliebt zu werden. Das einizge, das man dagegen tun kann, ist ehrlich zueinander zu sein und miteinander zu reden. So geht man schmerzenden Lügen aus dem Weg. Dazu gehört auch, seine Ängste miteinander zu teilen, so verletzlich man sich dabei auch fühlen mag. Der Richtige wird dir dabei helfen, diese Ängste zu überwinden, damit ihr gemeinsam frei und glücklich sein könnt. Ich verstehe, dass du Angst hast, das ist normal, aber ich sehe, dass dir Magnus etwas bedeutet und deshalb solltest du zumindest einen Versuch wagen, ihm zu vertrauen. Vor allem weil er deine Gefühle zu erwiedern scheint, zumindest zwischen den Zeilen.~, erklärte sie nun sanft und hoffte gleichzeitig, dass Alec sie verstand.

Dass er sie verstand und ihre Bitte versuchte umzusetzen, denn sie wollte, dass er glücklich war. Das war er nach Jace' Tod selten gewesen und das hatte man nicht nur daran gemerkt, dass er kaum noch ehrlich gelächelt hatte.

Jetzt hatte er endlich wieder eine Chance dazu und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er sie ergriff und endlich aus den glücklosen Mustern seines Alltags ausbrach. Allerdings konnte sie das nur bedingt beeinflussen, denn es war Alecs Leben, aber das hieß nicht, dass sie nicht wenigstens versuchen konnte ihm zu zeigen, was gut für ihn war.

~Er ... erwiedert meine ... Gefühle?~, fragte er nun mit heiserer Stimme.

~Er heißt Magnus und liebt Sonnenuntergänge~, scherzte sie, bevor sie hinzufügte,~Ich denke schon. Er hat gesagt, dass er sich bei dir wohlfühlt und das Gefühl von Sicherheit schätzt, das du ihm vermittelst. Außerdem ist sein komplettes Gesicht weich geworden und der Blick war definitiv sehnsuchtsvoll. Er mag dich und war wohl ziemlich verzweifelt, als du dich entfernt hast. Du hast ihn verletzt, ja, aber Gefühle kann man nicht so einfach abschalten, denn dann würde schließlich auch die Liebe zu etwas Kontrollierbaren werden, doch das ist sie nicht. Deshalb kann man sie ja auch nicht mit dem Verstand sondern nur mit dem Herz wahrnehmen.~

~Wann bist du so weise geworden?~
~Wann immer du ein Idiot bist.~, entgegnete Izzy grinsend.
~Also, sollte ich mit ihm reden?~
Sie nickte entschlossen.
~Lass dein Herz sprechen und er wird dir glauben ... und irgendwann auch verzeihen.~

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now