Kapitel 28 - Vorurteile

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Magnus' Sicht

Mit einem seeligen Lächeln betrat Magnus sein Zimmer. Nachdem sie sich noch eine Weile geküsst und dazwischen immer wieder süße Worte gewechselt hatten, musste Alexander leider los.

Er hatte noch andere Termine, die er ausgeruht wahrnehmen wollte und Magnus würde diese Gelegenheit nutzen, um selbst noch ein bisschen zu schlafen oder vielleicht etwas zu lesen. Er war sich da noch nicht ganz sicher.

Auf alle Fälle wollte er aber seine Ruhe haben, weshalb er nur mäßig begeistert war, als er Andrew in seinem Zimmer vorfand.

Dieser besah ihn mit einem seltsamen Blick, den er nicht ganz einordnen konnte und das mochte schon etwas heißen, denn eigentlich war Magnus sehr gut darin, andere zu lesen wie ein offenes Buch.
Diese Fähigkeit hatte er sich während seiner Flucht antrainiert, denn sie war sehr hilfreich, um zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.

Auch bei Alexander wandte er sie regelmäßig an, wenn auch nicht so intensiv, denn er vertraute ihm. Dass diese Fähigkeit bei Andrew nun teilweise versagte, beunruhigte ihn schon etwas, aber dann doch nicht so sehr, als dass er ernsthaft besorgt wäre.

Andrew sah einfach so ... harmlos aus. Als könnte er keiner Fliege etwas zu Leide tun. Wieso also sollte gerade er etwas verheimlichen?

~Hey, was machst du denn hier?~, fragte er also nur freundlich.
~Ich wollte nach dir sehen und schauen, ob es dir gut geht.~
~Das ist nett, aber wieso?~

Andrew zögerte sichtlich, bevor er tief durchatmete und ihn beinahe entschuldigend ansah.
~Wegen dem König. Man hat seine Schreie benahe im ganzen Gebäudekomplex gehört.~
~Oh.~
Etwas verlegen setzte er sich aufs Bett.

Magnus erinnerte sich nicht gerne an diesen Streit, denn es hatte ihn verletzt, Alexander so zu sehen. Allerdings hatte es ihn gedanklich auch in eine andere, aber ebenso laute Zeit zurückversetzt.
Kurz hatte er tatsächlich so etwas wie Angst gespürt, aber diese war genauso schnell wieder fort gewesen wie sie gekommen war.

Er konnte Alexander enfach nicht lange böse sein und ihn schon gar nicht fürchten. Dafür erschienen ihm diese tiefblauen Augen zu sanft und liebevoll.

Deshalb verzog er auch leicht das Gesicht, als er daran erinnert wurde. Andrew setzte sich neben ihn auf die Bettkante und legte ermutigend eine Hand auf seine.
~Ist alles in Ordnung?~
~Ja, schon. Wir haben uns vertragen und Alexander hat sich entschuldigt. Also ist alles wieder gut.~

Er lächelte leicht bei der Erinnerung. Es war ihm ziemlich klar gewesen, dass Alexanders es nicht gewohnt war, sich für sein Verhalten zu entschuldigen.

Das konnte er ihm an seiner Miene ablesen, aber gerade deshalb freute er sich umso mehr über diese Entschuldigung. Da es so selten vorkam, war sie dieses Mal von Herzen gewesen und auch in seinem Gesicht hatte Magnus erkennen können, wie ernst es ihm war.

Das hatte ihn gerührt, auch wenn er Alexander eigentlich schon in dem Moment verziehen hatte, in dem die Wut aus seinen Augen verschwunden war. Er hatte nur noch eine Weile gebraucht, bis er sich wieder im Hier und Jetzt befand.

Ein Blick zur Seite verriet ihm, dass Andrew noch etwas auf der Zunge lag und er sich wohl nur nicht traute es auszusprechen.
~Spucks schon aus.~, meinte er lächelnd.

Andrew errötete ertappt und blickte dann auf seinen Schoß hinab.
~Um was ... ging es in diesen Streit eigentlich?~

~Ich habe im Alleingang einen sehr wichtigen Termin angenommen, an dem eigentlich Alexander teilnehmen sollte. Ich wollte ihn aber nicht wecken, da er so friedlich ausgesehen hatte, als er schlief. Das und meine etwas unkonventionelle Vorgehensweise hat zu dieser Auseinandersetzung geführt. Aber ich habe es ihm erklärt und er hat sich dann entschuldigt.~
~Nur darum?~, entfuhr es Andrew und er wandte sofort danach verlegen den Blick ab.

~Ja wieso?~
~Naja...~, sagte er gedehnt,~Man konnte zwischen dem wütenden Geschrei auch das ein oder andere Wort verstehen und so habe ich zufällig mitbekommen, wie er dich billige Schlampe genannt hat, ... was ich natürlich vollkommend verurteile. Niemand sollte so beleidigt werden.~

Magnus presste bewusst zwei Finger aneinander. Er fand es ehrenhaft von Andrew, ihn so zu verteidigen, aber tatsächlich war es nicht das erste Mal, das ihn jemand auf diese Art beleidigt hatte.

Viele machten nämlich den Fehler, vom Äußeren aufs Innere und damit aufs Verhalten zu schließen und so war jemand mit mehr Falten, Unreinheiten oder einem unsymetrischen Gesicht automatisch anständig und prüde.
Jemand mit einem guten Aussehen jedoch, der dieses offen präsentierte und betonte, kam bei dieser mit Vorurteilen belasteten Ansichtsweise deutlich schlechter weg.

Für viele gab es nur hässlich und klug oder schön und dumm.

Zumindest war Magnus bisher nur auf solche Menschen getroffen. Sicherlich gab es auch welche, die nichts von diesen Vorurteilen hielten, aber die hatten sich dann wohl schlichtweg seinem suchenden Blick entzogen.

Als Alexander in seiner Wut diese Worte gesagt hatte, hatte ihn das schon verletzt, aber vor allem in die Vergangenheit zurückversetzt, die er einfach nicht loswurde.

Da er seine Schutzmauern in dessen Gegenwart mittlerweile weit unten hatte, hatte es ihn natürlich noch mehr geschmerzt, aber gleichzeitig hatte er gewusst, dass das nicht sein Alexander war, der da sprach. Das war nur der Zorn gewesen, der seinen Ursprung in Verrat und Eifersucht fand.

~Ich hab schon schlimmeres erlebt. Es ist süß, dass du dich aufregst, aber es ist wirklich in Ordung. Ich komme klar und ich werde Alexander ganz bestimmt nicht wegen so etwas fallen lassen. Er ist mir wichtig und ich ihm wohl auch. Das hat er zumindest gesagt und ich glaube ihm. Können wir das Thema einfach fallen lassen?~

~Wow, ich an deiner Stelle hätte das nicht so locker genommen, aber wenn du meinst. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?~, fragte Andrew hilfsbereit.

Magnus schüttelte den Kopf.
~Nicht wirklich. Ich hatte eigentlich vor, mich etwas auszuruhen. Die letzte Nacht mit Alexander war ziemlich ... ereignisreich.~
~Klar.~, entgegnete er mit einem seltsam harten Zug um den Mund, bevor er aufstand und den Raum verließ.

Magnus atmete erleichtert auf, denn obwohl er Andrew irgendwie mochte, fühlte er sich in dessen Gegenwart doch stets unbehaglich. Er schob es darauf, dass er sich in Gegenwart Fremder immer etwas unsicher fühlte.

Nur Alexander schaffte es, dieses Gefühl von Geborgenheit zu wecken und damit waren Magnus' Gedanken wieder bei ihrem Lieblingsthema. Mit einem zarten Lächeln zog er sich aus und ließ sich in die weichen Laken sinken, die leider nicht den männlich-beruhigenden Duft von Alexander in sich trugen.

Warum sollte er auch weiter über Andrew und dessen seltsames Verhalten nachgrübeln, wenn er sich genauso gut diesen glücklichen Gedanken zuwenden könnte, bei denen sein Herz ein paar Takte schneller schlug? Das wäre doch unsinnig.

Und zur Abwechslung wollte Magnus auch genau das sein. Er wollte, dass sein Verstand von den verliebten Gefühlen vernebelt wurde und ihn blind gegenüber seiner Außenwelt machten.

Er wollte seine Skepsis, die die Wände seines Herzens bewachte, in den Urlaub schicken, und einfach mal genießen, unbewacht und frei zu sein. Er wollte seinen naiven Gefühlen die Führung überlassen und seinen paranoiden, verkopften Verstand ignorieren.

Er wollte sich zur Abwechslung mal erlauben, einfach unbeschwert glücklich zu sein.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now