Kapitel 53 - Sturm

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Alec fühlte sich schrecklich und hilflos. Schrecklich hilflos.

Es war als ob alles um ihn herum plötzlich taub und farblos geworden war, während in seinen Ohren ein hoher, leerer Ton schrillte und sein Inneres zu verbrennen schien.

Er nahm es kaum war, dazu fühlte er sich zu schwerelos und doch irgendwie gefangen. Es machte keinen Sinn, aber das machte gerade nur das wenigste.

Er konnte noch immer nicht recht realisieren, was gerade passiert war. Er sah nur noch Bruchstücke und fühlte nur noch ... Reue ... und Leere. Eine alles verschlingende Leere, die diese schreckliche Taubheit auslöste.

Was hatte er nur getan? Was
hatte er nicht getan?

Er hatte Magnus nicht zugehört und seine Sorgen ignoriert, seine Verzweiflung, die ihm doch so deutlich ins Gesicht geschrieben stand, als er ihm sein Herz ausschüttete. Er hatte diese Worte des Aufweckens mit Füßen getreten und Magnus einfach ... ignoriert.

Magnus wusste nicht, dass ihn jedes Wort getroffen hatte und ein nicht zu geringer Teil von ihm auch auf sie reagieren wollte, doch er hatte es nicht getan. Stadessen war er still gewesen und hatte versucht alles an sich abperlen zu lassen.

Vielleicht war ihm das so gut gelungen, weil es sich ein wenig so angefühlt hatte, als wäre er unter Wasser gewesen, während Magnus ihm von der Oberwelt aus etwas zurief. Er nahm zwar den süßen Klang seiner Stimme wahr, verstand das Gesagte aber nicht recht.

Erst als er ihn mit Änsgten konfrontiert hatte, die er doch gar nicht haben konnte und dann die Erwähnung von Jace ... Da war er plötzlich durch die Wasseroberfläche geschossen und hatte mit Wut im Bauch gehandelt, die jegliche Rationalität und Vernunft ausgeschaltet hatte.

Er hatte nicht nachgedacht bis er Magnus' Reaktion bemerkt und den Ausdruck in seinem Gesicht gesehen hatte. Erst dann war die Wut verpufft unf er war wieder er selbst, nachdem es sich durchgehend so angefühlt hatte, als würde nur sein Körper handeln und sein Geist teilnahmslos dabei zuschauen.

Dieser Blick hatte sich in Alecs Gedächtnis eingebrannt und wurde zu seiner Lieblingsfoltermethode.

Er hatte gesehen, wie das Vertrauen, das Magnus seid jener alles verändernden Nacht in ihn gehegt hatte, zerbrochen war wie heruntergefallenes Glas. Der leuchtende Funken, der während seiner Rede der Verzweiflung wie ein Leuchtfeuer gebrannt hatte, war erloschen. Stadessen hatte er enttäuscht, erschrocken, resigniert und verletzt ausgesehen.

Alec hätte diese angefangene Tat natürlich nie zu Ende gebracht, denn egal wie wütend er manchmal werden konnte -solche Wutanfälle waren nach Jace' Tod leider zu einer häufigen Norm geworden- er hatte nie die Hand gegen eine andere Person erhoben.
Meistens litten Gegenstände, aber niemals Menschen.

Auch das gehörte zu den Dingen, die er sich mal geschworen hatte umd nun eisern daran hielt. Das änderte allerdings nichts daran, dass er geschockt von sich selbst war und wieder so ... leer.

Na immerhin habe ich es geschafft, dass er mich jetzt fürchtet. Und hasst, dachte er sich resigniert. Er wusste nicht, ob er das bereuen sollte oder ob er überhaupt etwas zu bereut hatte, immerhin hatte er es nun erfolgreich geschafft, Magnus wegzustoßen. Es war richtig, auch wenn es sich so falsch...

~Ihr hab Besuch, Eure Hoheit.~, riss ihn ein Diener schüchtern aus seinen Gedanken. Sofort straffte Alec die Schultern und richtete sich auf, denn keinesfalls würde er jemand Fremdes sehen lassen, in welcher Verfassung er wirklich war.

Stadessen bemerkte er~Ich erwarte keinen Besuch und mein nächster Termin ist erst später.~
~Es ist Eure Mutter.~
Oh nein.

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~Mutter! Schön dich zu sehen! Was machst du denn hier?~, fragte er mit bemüht guter Laune, als er seine Mutter kurz, aber kräftig in den Arm nahm.

Er hatte sie nicht erwartet und in Wahrheit war er sich nicht sicher, ob er sich freute. Sie konnte ihn nämlich ähnlich wie seine Schwester lesen wie ein offenes Buch und gerade war er zu aufgewühlt, um eine ordentliche Fassade aufzubauen. Deshalb überraschte ihn auch das sorgenvolle Funkeln in den Augen seiner Mutter nicht.

Maryse Lightwood war eine stolze, aber sehr ehrliche und gütige Person. Sie kannte ihre Pflichten und handelte stets nach ihnen, hatte dabei allerdings immer Mitgefühl für andere übrig. Sie ging offen durch die Welt und auch wenn ihr Lächeln seid dem Tod ihres Manns etwas stiller geworden war, so hielt sie ihr Haupt hoch in die Luft und blieb eine liebevolle Person.

~Darf ich meinen Sohn denn nicht besuchen, wenn ich das möchte?~
~Natürlich, ich bin nur ... überrascht.~
~Das sehe ich.~, entgegnete sie und ihr Blick war weich und sorgenvoll wie der einer Mutter, die genau sah, wenn ihr Kind eine tapfere Miene zog, obwohl es Schmerzen litt.

Sie würde ihn definitiv irgendwann darauf ansprechen, aber nicht hier, wo sie die neugierigen Ohren der Bediensteten belauschen könnten und wo sie wusste, dass Alec niemals riskieren würde, vor anderen schwach zu werden als  seiner Familie.

~Ich ... muss dann auch schon wieder los. Termine.~, log er, um einer peinlichen Stille zu entgehen.
~Natürlich. Sehen wir uns beim Abendessen?~
~Klar.~

Dann wandte er sich ab und hastete förmlich in sein Büro, wo er sich ersteinmal sammeln sollte, denn er musste gefasst sein, wenn ihn seine Mutter zur Rede stellen würde.

Irgendwie glaubte er nicht, dass sie nur hier war, weil sie ihn vermisst hatte. Es musste etwas mit ihm zu tun haben ... und mit Magnus. Vielleicht hatte seine Schwester gepetzt oder sie hatte einfach nur ein gutes Gespür für schlechtes Timing.

Sobald er sein leeres Büro erreichte, atmete er auf und asbald die Tür zugefallen war, ließ er sich von allem übermannen. Wenn man ein Zimmer richtig aufräumen wollte, musste man erst alle Schubladen leeren und den Inhalt sortieren.
So verhielt es sich auch mit Gefühlen. Man musste sie erst alle frei lassen, bevor man sie dauerhaft und sortiert wegsperren konnte.

Also ließ er den Schmerz über sich ergehen, der langsam immer stärker geworden war bei dem Gefühl Magnus endgültig verloren zu haben. Er ließ die Reue zu, die er gespürt hatte, sobald er das zerbrechende Vertrauen erblickt hatte. Und er ließ die Frustration zu, die ihn bei dem Gedanken heimsuchte, dass Magnus ganz vielleicht damit recht hatte, dass er irgendwo Angst verspürte.

Wie sehr Alec dieses Gefühl doch hasste! Angst führte zu nichts und doch ließ man immer wieder zu, dass sie einen kontrollierte. Er wollte nicht kontrolliert werden, aber er konnte sich auch nicht wehren, denn wie rang man bitteschön ein Gefühl zu Boden?

Frustriert raufte er sich die Haare, während er alles in seiner Macht stehende dafür tat, nicht vollends zusammenzubrechen. Er war überfordert und nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen, war, alles frei zu lassen.

Er fühlte sich wie eine tickende Zeitbombe, unkontrollierbar wenn es darum ging, das nicht zu sein. Er wusste nicht, was er tun sollte.

Er hasste sich für seine Unfähigkeit, keine Entscheidungen treffen zu können. Er hasste es Magnus verletzt zu haben.

Ich habe gedacht, du wärst anders. Da hab ich mich wohl geirrt.

Diese Worte sorgten dafür, dass er sich plötzlich im Auge des Sturms wiederfand und da nichts mehr um ihn herumzuwirbeln schien, das ihn auf den Beinen hielt, sackte er zu Boden und vergrub das Gesicht in den Händen.

Er konnte das nicht. Er wusste noch nicht einmal, was er nicht konnte. Er war verwirrt, überfordert und hilflos. So hilflos.
~Alec? Oh Gott!~

Zehn und eine NachtDonde viven las historias. Descúbrelo ahora