Kapitel 20 - Einfach nur da

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Magnus' Sicht

Magnus war neugierig, denn er wollte wissen, was Alexander vorhatte, ihm zu erzählen. Seiner entschlossenen, aber melancholischen Miene nach musste es etwas Wichtiges sein.

Die blauen Augen hatten so ... traurig geschimmert. Als würde er sich an etwas erinnern, das ihn bis heute nicht losgelassen hatte.

Dennoch konnte seine Neugier Magnus nicht davon abhalten, selbst etwas melancholisch zu sein. Die Geschichte, die er heute erzählt hatte, war nämlich von Ereignissen aus seinem eigenen Leben inspiriert worden.

Auch er hatte seine Mutter verloren und es verfolgte ihn noch immer, obwohl er es schon längst akzeptiert hatte. Noch immer waren seine Selbstvorwürfe sehr präsent und es war anstrengend sie auszublenden.

Das funktionierte ohnehin nur, wenn um ihn herum viel los war. Wenn es jedoch still und er alleine mit seinen Gedanken war ... dann holten sie ihn ein, die Dämonen seiner Vergangenheit. Die Ursache seiner Zweifel und der Grund, wieso er sich manchmal etwas seltsam verhielt.

Noch immer lenken sie seine Entscheidungen und hatten Einfluss auf sein Leben. Magnus hasste das, denn für ihn war es nur der Beweis seiner Schwäche.

Starke Menschen ließen sich nicht von vergangenen Schatten beeinflussen, sondern handelten stets unabhängig davon. Sie handelten frei nach ihrem eigenen Befinden und deshalb waren die Entscheidungen, die sie trafen, auch immer gut.

Er konnte das nicht tun, weshalb seine Entschlüsse in der Regel böse Folgen hatten. Die einzige Entscheidung, in der schlechte Konsequenzen bisher ausblieben, war die Entscheidung für Alexander. Magnus hoffte, dass er auch weiterhin so viel Glück hatte.

Am Nachmittag stand er am vereinbarten Treffpunkt und wartete nervös auf Alexander. Hibbelig verlagerte er sein Gewicht von einem auf den anderen Fuß, während er sich suchend umblickte.

~Du bist gekommen.~, erklang es plötzlich hinter ihm. Schnell fuhr er mit der Hand am unterem Rücken herum und atmete erleichtert auf. Alexander.

Wie immer sah er einfach fabelhaft aus mit seinen verwuschelten schwarzen Haaren und den breiten Schultern. Jedoch wirkten seine blauen Augen müde und er schien etwas zusammengesackt, während sich seine Hände an den Seiten unschlüssig zu Fäusten ballten und wieder lösten.
Instinktiv tat er einen Schritt nach vorne und nahm eine von Alexanders großen Händen zwischen seine.

Ernst und, wie er hoffte, ermutigend und zuversichtlich blickte er ihn an.
~Selbstverständlich bin ich das. Ich lasse keine Gelegenheit aus, bei dir zu sein und dir zuzuhören, was auch immer du sagen möchtest. Ich stehe jetzt an deiner Seite.~

Alexander lächelte matt, seine Augen jedoch leuchteten dankbar. Er erwiederte das Lächeln und ließ sich mitziehen, als der König ihn auf einen Pfad, den nur er kannte, tiefer in den Garten hinein führte.

Er war wie ein kleiner Jungel, wenn man ersteinmal die vordersten Bäume passiert hatte. Im hinteren Teil waren diese erstaunlich hoch und grün, was zweifellos an der regelmäßigen Bewässerung lag, die ein Vermögen kosten musste.

Das Blätterdach war dicht und es war eher feucht als heiß. Magnus sog den Duft von Blumen ein, die im Schutz der Bäume mehr als gut gediehen und atmete lächelnd aus. Es war schön hier, aber sie waren noch nicht am Ziel.

Alexander führte ihn immer weiter bis er sogar wieder die Ansätze des Palastes sehen konnte, bevor er endlich stehen blieb. Vor ihnen war ein winziger Hügel, auf dessen Kuppe ein aufgestellter Stein thronte.

Ein Grabstein. Er war frei von jeglichem Gewächs und schien auch sonst sehr gepflegt. Magnus tat es dem König gleich und schwieg, denn so langsam bekam er eine Ahnung davon, was er ihm wohl erzählen wollte.

Alexander seufzte schwer, als schien er einen Enschluss gefasst zu haben, der ihm nicht gerade gefiel.
~Bitte versprich mir, bis zum Ende zuzuhören. Und ... kommentier es nicht.~
~Natürlich. Alles, was du willst.~

Er lächelte schwach und blickte kurz aus dem Augenwinkel zu ihm hinab, bevor sich seine Augen wieder auf den Grabstein fixierten.

~Als ich jünger war, hatte ich einen besten Freund. Er war der Sohn des Beraters meines Vaters und wir sind quasi miteinander aufgewachsen. Sein Name war Jace und er war immer sehr ... impulsiv und draufgängerisch. Er hatte beinahe goldene Augen und eine freche Zunge, die ihn nicht selten in Schwierigkeiten gebracht hat. Ich habe ihn als Bruder geliebt und habe stets auf ihn aufgepasst. Er gehörte zur Familie.
Eines Tages, ich müsste siebzehn gewesen sein, hatte er mich dazu überredet, auf Streifzug durchs Königreich zu gehen. Dabei kamen wir bis an die Grenze und haben die Gegend erkundet. Es war verboten, aber gleichzeitig auch so aufregend. Zum ersten Mal verstand ich, wieso er den Nervenkitzel in brenzligen Situationen so liebte. Man fühlte sich lebendig. Wir alberten gerade herum, als es passierte.
Eine Räuberbande aus dem Nachbarkönigreich übertrat die Grenze und wollte eines der dortigen Dörfer überfallen. Keine Seltenheit, wie ich später erfuhr. Jace und ich waren im Weg und damit gezwungen, uns zu verteidigen, als sie angriffen. Es war alles gut, denn wir waren Waffenbrüder und geübt im Kampf. Es schien als würden unsere beiden Herzen wie eines schlagen. Doch dann ging alles schief. Ich wurde von Jace weggelockt und als ich mich endlich wieder zu ihn umdrehen konnte, um ihm zu helfen, sah ich, wie ein S-Schwert durch seine Brust gerammt wurde. Als die Räuber bemerkten, dass ich zu geschockt war, um mich weiter zu verteidigen, haben sie kurzen Prozess mit mir gemacht und mich bewusstlos geschlagen. Als ich wieder erwachte, war es schon längst zu spät und ... mein bester Freund tot.
Weißt du, ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass viele mich hassen, dass ich schärfere Regeln eingeführt habe, aber ich hatte doch keine Wahl!
Hätten meine Eltern strengere Grenzkontrollen durchführen lassen, wären ihre Gesetze härter gewesen, dann würde Jace noch l-leben. Also musste ich es tun, um andere vor diesem Leid zu bewahren. I-Ich hatte keine Wahl. Jace haben sie auch keine gelassen.~

Es war still danach. Alexander hatte den Kopf gesenkt und schien tief in vergangenen Erinnerungen zu sein und Magnus wusste nicht, was er sagen konnte, um es besser zu machen -nicht dass er überhaupt etwas anmerken sollte.

Viel zu gefangen war er von Mitgefühl. Alexander hatte in so jungen Jahren so etwas Schreckliches erleben müssen. Ihm war wortwörtlich das Herz herausgerrissen worden, als man Jace' durchstach. Dieses Ereignis prägte ihn bis heute und machte viele seiner Handlungen so viel nachvollziehbarer.

Aber auch so kannte Magnus seinen Schmerz nur zu gut und er wünschte, er würde es nicht tun. Er hasste es, wenn Alexander litt und er konnte nichts tun ... Doch, er konnte etwas für ihn tun, nämlich für ihn da sein.

Genau wie Alexander am Morgen, zog jetzt Magnus ihn in seine Arme und hielt ihn fest. Er schwieg und wartete geduldig, bis sich der andere fallen ließ und sich an ihn klammerte.

Alexanders Herz klopfe genau so schnell wie seins und sein großer Körper bebte leicht. Magnus hingegen hielt still und war einfach nur da.

Jedoch war genau das manchmal einfach das richtige. Manchmal reichte es, wenn man einfach nur da war und einem versicherte, dass man nicht alleine mit seinem Schmerz und der Trauer war.

Taten sprachen mehr als Worte und deshalb schwiegen sie beide an diesem denkwürdigen Ort und vielleicht, ganz vielleicht sah ihnen dabei ein Geist mit einem sanften Lächeln und gold blitzenden Augen zu.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now