Kapitel 12 - Glück und Zweifel

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Magnus' Sicht

~Darf ich dich küssen?~
Magnus' Herz blieb bei dieser Frage stehen... aus mehreren Gründen.

Ein Grund war, dass er noch nie zuvor jemanden geküsst hatte, freiwillig zumindest. Viele hatten es versucht, aber er hatte es stets verweigert, denn für ihn sollten diese Art von Erfahrungen etwas Besonderes sein und er wollte sie mit jemanden machen, der nicht nur sein Äußeres sah, sondern ihn so mochte, wie er war.

Der erste Kuss sollte etwas Besonderes werden mit einer besonderen Person. Das waren seine Gedanken davor gewesen.

Danach war ihm bei jeglichem Gedanken an körperliche Nähe schlecht geworden und er hätte sich am liebsten übergeben. Mit der Zeit hatte das etwas nachgelassen, aber noch immer waren ihm viele Berührungen mehr als unangenehm.

Das war ebenfalls ein Grund gewesen, wieso er beim letzten Kussversuch zurückgeschreckt war.

Ein weiterer Grund, wieso sein Herz stehen zu bleiben schien, lag an der Frage an sich. Noch nie hatte jemand ... nach seiner Erlaubnis ... gefragt. Ob er es zulassen würde. Entweder hatte man einfach über seinen Kopf hinweg entschieden oder seine Meinung war egal gewesen.

Er war immer nur Menschen begegnet, die sich nahmen, was sie wollten und für die Bitte ein Fremdwort war. Er hatte es über sich ergehen lassen oder erfolgreich abgewehrt, aber egal wie er reagiert hatte, danach hatte er sich schlecht gefühlt.

Er hatte sich stets so ... unbedeutend gefühlt. Jetzt jedoch wurde er gefragt! Er wurde um Erlaubnis gefragt und Magnus' Herz konnte nicht anders, als höherzuschlagen.

Er fühlte sich dadurch keinesfalls vollkommen sicher, aber sicherer als sonst, denn er könnte diese Bitte einfach verneinen. Ein einfaches Nein und der König würde sich entfernen.

Magnus bedeutete das sehr viel, weshalb er sich die Zeit nahm, ernsthaft darüber nachzudenken.

Wenn er ehrlich zu sich selbst war, war das einzige, das ihn noch abhielt, Angst.
Eine Angst, die ihren Ursprung in der Vergangenheit fand und die Magnus nie so wirklich losgeworden war. Er wusste nicht, ob er stark genug war, sich ihr jetzt zu stellen.

Dabei wollte er den König wirklich gerne küssen. Neben seinem guten Aussehen, hatte er nämlich irgendetwas an sich, das ihn besonders machte. Er wollte ihn kennenlernen und wissen, was hinter der selbstsicheren Fassade steckte. Er wollte den Menschen hinter den harten Gesetzen kennenlernen und ein Schritt dahin war wohl dieser Kuss.

Doch dazu würde er erst die Angst schlagen oder zumindest für einen kurzen Moment in den Hintergrund drängen müssen, damit er sie vergessen könnte.

Unvermittelt sah er in die tiefblauen Augen des Königs, denn diese hatten irgendwie eine beruhigende Wirkung auf ihn. Sie nahmen ihn gefangen und entführten ihn an einen Ort der friedlichen Stille.

In eine Blase, in der er tatsächlich sicher war. Sein hektischer Atem wurde langsamer und er konnte tief Luft holen, um sich zu wappnen

~Gewöhn dich aber nicht daran.~
Er sprach so leise, dass er bezweifelte, dass ihn der König verstanden hatte, aber anscheinend besaß dieser übersinnliche Kräfte, denn seine Mundwinkel zogen sich nach oben.

Langsam hob er seine Hand, legte sie sanft an Magnus' Wange und strich beinahe liebevoll darüber.

Im nächsten Moment spürte er wie sich heiße Lippen auf seine senkten und ihn in seinen ersten, freiwilligen Kuss verwickelten. Ein kleines Seufzen entkam ihm, denn er war überwältigt von alle dem, was er plötzlich fühlte.

Es war zu viel.

Erst dieses Flattern in seinem Bauch, das ihm ein Gefühl von Schweben vortäuschte. Und dann noch diese elektrisierende Gänsehaut, obwohl es nur ein unschuldiger Kuss war.

In Magnus' Kopf drehte sich alles, aber das war unwichtig. Alles war unwichtig! In diesem einem Augenblick vergaß er alle Sorgen, alle Ängste, alle Zweifel. Er fühlte sich zum ersten Mal seit langem wieder geborgen.

Aber nicht nur das.
Auch fühlte er für einen Wimpernschlag die Sicherheit, dass der König, Alexander, das hier genauso genoss wie er und er ihn auch genauso wollte wie er ihn.

Magnus hatte im Nachhinein keine Ahnung, ob er den Kuss überhaupt erwiedert hatte, denn er war so abgelenkt von allem gewesen, aber was er selbst mit seiner Unerfahrenheit klar sagen konnte, war, dass Alexander ein verdammt guter Küsser war.

Langsam lösten sie sich voneinander und Magnus öffnete die Augen. Sein Herz raste und sein Kopf drehte sich noch immer, aber gleichzeitig war er auch so ... verdammt glücklich. Beinahe hätte er dieses Gefühl nicht wiedererkannt.

Auch der König schlug flatternd die Augen auf und bedachte ihn mit einem unleserlichem, tiefgründigem Blick.
~Wir sehen uns heute Abend.~, sagte er jedoch nur und verschwand.

Magnus' Herz, das erst durch diesen Kuss wieder unter den Schutthaufen hervorgekommen war, zog sich schmerzhaft zusammen. Überwältigt von den Emotionen, die über ihn hereinbrachen, stützte er sich am Bücherregal ab.

Da waren Trauer, Enttäuschung, Verwirrung und wieder die altbekannte Angst. Die Zweifel waren ebenfalls zurück und erdrückten ihn beinahe mit ihrer allumfassenden Macht. So musste sich wohl Atlas gefühlt haben, als man den Himmel auf seinen Schultern ablud.

Magnus konnte nicht anders als sich zu fragen, ob er irgendetwas falsch gemacht hatte oder ob der Kuss der falsche Weg war, um Alexander näher zu kommen. Aber er fragte sich auch, ob nicht alles, was ihn hier in den Palast geführt hatte, vielleicht ... falsch gewesen war.

Alexanders Sicht

Alec musste dringend hier weg, ehe alles zusammenbrach.

Dabei hatte er den Kuss mit Magnus so sehr gewollt und er war ja noch nicht einmal schlecht gewesen, wenn auch mit wenig Aktion von seinem Gegenüber.

Das war nicht der Grund, für seine Flucht. Viel mehr war ihm alles zu viel geworden während des Kusses, denn dieser hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen, auf positive Weise.
Er hatte sich furchtbar leicht gefühlt und er war glücklich bis er gemerkt hatte, wie die Mauern um sein Herz langsam herunterfuhren.

Das durfte aber nicht sein! Er hatte sein Herz all die Jahre erfolgreich weggeschlossen und hatte nur rational gehandelt und auf seinen Verstand gehört. Nur setzte dieser bei Magnus komplett aus und das lag nicht allein an seiner Schönheit.

Alec hatte sich geschworen, sein Herz nie wieder für jemanden zu öffnen, da man schlussendlich doch nur von diesem jemanden verletzt wurde. Er gedachte nicht, das zu ändern und doch brachte ihn Magnus genau dazu. Er schaffte es, dass Alec anfing, all seine Entscheidungen, die sich damals so richtig angefühlt hatten, zu überdenken und das war alles andere als gut, denn dann kamen die erdrückenden Zweifel wieder, die er mit seinem Herzen weggesperrt hatte.

Gefühle waren nichts als Ablenkung und machten einen obendrein auch noch verletzlich. Alec konnte sich das nicht leisten. Dabei wollte er das so sehr ... Nein, jetzt musste er ersteinmal einen klaren Kopf bekommen, damit er das Problem an der Wurzel packen und beseitigen konnte.

Die Wurzel war defintiv Magnus und wenn er ihn loswürde, wären auch all die Zweifel fort.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now