Kapitel 46 - Schammale

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Magnus' Sicht

Nur gerade so konnte Magnus sich davon abhahlten, panisch an seinen Hals zu fassen, um das bunte Halstuch wieder zurecht zu rücken.

Er hatte die Male an seinem Hals noch niemandem gezeigt, außer dem Hofarzt, der ihn behandelte. Selbst Alexander kannte nur die Version kurz nach dem Vorfall.

Danach hatte er es ihm nicht offenbaren wollen, denn er hatte im Gefühl, dass dieser Vorfall den König genauso belastete wie ihn und er hatte es nicht schlimmer machen wollen. Magnus wollte nicht, dass er sich noch mehr Sorgen machte und so hatte er geschwiegen.

Er hatte unerwähnt gelassen, wie sehr er diese Male verabscheute, zeigten sie doch nur, wie schwach er war. Wie wehrlos. Schon wieder.

In dem Moment, in dem Andrew ihn versucht hatte zu erwürgen, hatte ihn eine Decke aus Taubheit geschützt. Die sichere Gewissheit, dass er nun wohl sterben würde, hatte ihm Frieden geschenkt und vielleicht, ganz vielleicht, hatte er sich schon darauf gefreut, all das Leid endlich abzustreifen und wieder mit seinen Eltern vereint zu sein.

Natürlich war er froh, dass es nicht so weit gekommen war und Alexander ihn gerettet hatte, aber damit war dann auch dieser Schutz dahin. Schleichend wurde ihm immer klarer, wie knapp er dem Tod eigentlich entronnen war. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr ängstigte es ihn, aber auch seine Selbstvorwürfe wuchsen.

Er hätte etwas tun sollen. Er hätte nicht zulassen sollen, dass Andrew ... so mit ihm spielte.

Jedes Mal wenn er in den Spiegel sah, sah er wie entblöst und verletzlich er doch war. Für ihn waren es mehr Male der Scham als der Beweis für sein Überleben. Er schämte sich dafür und würde sie am liebsten irgendwie überdecken, auch wenn er dann noch immer ein sanftes Vibrieren spüren würde. Da, wo der schlanke Diener zugepackt hatte.

Das war der Grund, wieso er sich die verschiedendsten Halstücher anlegte und dass Isabelle jetzt auch nur einen Hauch dieser Schammale gesehen hatte, reichte, um seine Fassade vor Angst erzittern zu lassen.

Aber er musste das unter Kontrolle kriegen! Er durfte nicht schwach werden, nicht vor ihr. Doch er konnte jetzt auch nicht in sein Zimmer flüchten und dort den Schmerz freilassen, der ihn so peinigte.

Nein, ersteinmal musste er ihn tief in sich vergraben und sich diesem Verhör weiterhin unterziehen, bevor er endlich loslassen würde. Nur für einen Moment die Kontrolle abgeben. Es klang wie ein kleiner Wunsch, aber glich in Wirklichkeit einer Mammutaufgabe.

Er räusperte sich leise, während er, nun kontrolliert und diskret, das Halstuch zurechtrückte.
~Das ist nichts Wichtiges. Nur das Ergebnis eines Fehlers, den ich gemacht habe. Eine Warnung, wenn du so willst. Eine Warnung, niemanden zu unterschätzen, so harmlos und vertrauenswürdig er auch erscheinen mag.~

Er blickte Izzy vielleicht einen Augenblick länger an als nötig, um ihr klar zu machen, dass er sie weder unterschätzte noch sich einschüchtern ließ. Allerdings ließ er auch durchscheinen, dass er ihr nicht wirklich traute, aber das tat er niemandem, außer vielleicht dem König, aber bei dem schien dieses Vertrauen ja vergebens.

Alle anderen Menschen, denen er vertraut hatte, hatten ihn entweder verraten oder auf andere Weise enttäuscht. Magnus hatte einmal gelernt, dass man nur auf sich selbst vertrauen konnte, nur schien er diese Lektion oftmals zu vergessen oder zu vernachlässigen.

~Ich gehe nicht davon aus, dass du mir sagen wirst, wer das war?~
~Da hast du recht.~, antwortete er schlicht. In dieser Hinsicht gab es nichts, was er beschönigen musste.

Den Vorfall gedachte er in jene Schublade zu stecken, in der auch alle anderen Dinge lagen, die er am liebsten einfach vergessen und hinter sich lassen würde. Nur leider war ihm das bisher bei kaum einem gelungen, aber er war zu naiv, um diese Hoffnung aufzugeben.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now