Kapitel 34 - Das Wörtermeer

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~Hey.~, begrüßte Alec Magnus am Abend und nahm ihn fest in den Arm, statt ihn, wie sonst, zur Begrüßung zu küssen.

Seid dem Vorfall am Vormittag war Alec verdammt anhänglich geworden und wollte Magnus ständig berühren, um sicher zu gehen, dass er auch wirklich noch da war und nicht verschwinden würde wie ein geliebter Traum. Dafür hatte er auch seine restlichen Termine für diesen Tag abgesagt, denn es gab Wichtigeres als seine blöden Pflichten. Magnus war wichtiger und er wollte ihn gerade einfach nicht aus den Augen lassen.

Nach einer Weile, in der sie sich still gehalten hatten, war dann endlich der Hofarzt gekommen und hatte ihn untersucht. Magnus schien wohl Glück im Unglück gehabt zu haben, denn der Mediziner hatte ihnen mitgeteilt, dass er sehr wahrscheinlich keine bleibenden Schäden haben würde und es viel schlimmer aussah als es tatsächlich war.

Er musste sich jetzt nur schonen und möglichst wenig sprechen, damit er seinen Hals entlastete, der in den nächsten Tagen in den buntesten Farben erstrahlen würde.

Die kleine Wunde an seiner Kehle hatte der Arzt verbunden und ihn dann noch mehrere Fläschchen mit Salben und Tränken in die Hand gedrückt, um die Heilung zu beschleunigen.

Alec hatte genau aufgepasst und hatte sich gedanklich vorgenommen, darauf zu achten, dass Magnus auch wirklich tat, was der Experte ihm gesagt hatte.
Er hatte nämlich alles andere als begeistert ausgesehen, als er sich den Vortrag des Arztes angehört hatte.

Als der Arzt das Zimmer schließlich verließ, hatte Alec einem Diener aufgetragen, Pergament und Schreibutensilen zu besorgen, damit Magnus aufschreiben konnte, wenn er etwas brauchte. Darüber hatte Besagter noch miesgelaunter ausgesehen, aber Alec zeigte kein Erbarmen.

Er wollte nunmal, dass es Magnus so schnell wie möglich wieder gut ging und wenn das hieß, dass er hart sein und kontrollieren musste, dass er alle Vorschriften einhielt, dann war das eben so.

Er hatte sogar die heutige Nacht streichen wollen, denn Schlaf war immer gut und in seinem Zustand würde Magnus wohl kaum dazu in der Lage sein, die Geschichte weiterzuerzählen. Als er das jedoch vorgeschlagen hatte, hatte er heftig mit dem Kopf geschüttelt und ihn so entschlossen angesehen, dass Alec gewusst hatte, dass er dieses Mal stur bleiben würde. Also hatte er widerstrebend eingewilligt und hier waren sie nun.

Langsam lösten sie sich voneinander und Magnus lächelte ihn sanft an. Wie immer sah er hinreißend aus, auch wenn er dem kaum Beachtung schenkte.

Viel mehr sorgte Alec sich wieder, denn er konnte den Anblick eines leblosen Magnus in seinem Bett einfach nicht vergessen. Es ließ ihn nicht los und noch immer hatten ihn Sorge und Angst fest im Griff.

Er fragte sich, wie Magnus schon wieder so schön lächeln konnte, denn allein beim Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um. Alec konnte nicht einfach lächeln und so tun, als wäre nichts gewesen.

Er konnte den Anblick einfach nicht verdrängen. Wie denn dann die Schuld, die er deshalb verspürte?

Er war es nämlich gewesen, der Andrew Magnus zugewiesen hatte. Er hatte zugelassen, dass dieser ... Verrückte Tag ein Tag aus bei Magnus gewesen war.

Es hätte ihm schon viel früher etwas zustoßen können und dann wäre Alec nicht da gewesen, um ihn zu schützen. Es gab so viele Wege, wie er Magnus hätte verlieren können und er hätte keinen davon überhaupt auch nur erahnt!

Er konnte nicht einfach so weitermachen wie sein Gegenüber.

Schweigend nahm er Magnus' Hand und setzte sich neben ihn aufs Bett, aber er war nicht wirklich bei der Sache, was er wohl nicht so gut verstecken konnte wie er sich erhofft hatte.

Magnus' verwirrte und fragende Miene sprach Bände. Er wusste nicht, was in ihm vorging und Alec war nicht gerade gewillt, seine Gedanken zu teilen.

Er wollte nicht, dass er sich auch Sorgen machte, denn er hatte schon genug hinter sich. Er wollte ihn nicht beunruhigen und so schüttelte er nur mit einem gezwungenen Lächeln den Kopf.
~Es ist alles gut.~

Der Blick wurde misstrauischer, als er die Augenbrauen zusammenzog und ihn skeptisch musterte. Alec hatte es noch nie so richtig wahrgenommen, aber Magnus' Miene war ziemlich ausdrucksstark und sagte all die vielen Worte, die er mit seiner Stimme momentan nicht bewerkstelligen sollte.

Sie sagte so unglaublich viel aus, dass er das Pergament in seinen Händen eigentlich gar nicht brauchte, obwohl es natürlich eine nützliche Ergänzung war.

Nach einem kurzen Moment der Stille zuckte Magnus die Schultern und schien sich widerwillig mit seiner Aussage zufrieden zu geben. Mit einem neuen Lächeln drückte er ihm den Pergamentbogen in die Hände, der, entgegen seiner Erwartungen alles andere als unbeschrieben war.

Viele kleine schwarze Buchstaben standen in Reih und Glied hintereinander und ergaben ein ganzes Wörtermeer, in dem es nur so vor unentdeckten Abenteuern wimmelte. Es lud gerade dazu ein, darin einzutauchen und Dinge zu erleben, die nur Dank Fantasie möglich waren.

~Wann hast du das denn geschrieben?~, fragte er überrascht, denn eigentlich war er beinahe nie von Magnus' Seite gewichen oder wenn, nie für lange.

Doch so schnell konnte doch niemand schreiben, oder?

Magnus machte eine ausladende Bewegung mit seinen Händen, die wohl so etwas wie Magie darstellen sollte. Kurz lächelte er schwach, bevor er sich dem Bogen und der Geschichte darin hingab.

Lieber Alexander,
da meine Stimme Sank diesem Vorfall ersteinmal außer Gefecht gesetzt ist, möchte ich die Geschichte unter anderem auf diese Weise weiterführen, denn es wäre viel zu schade, sie mittendrin abzubrechen. So bedeutend war der Vorfall nicht, als dass ich dir das antun möchte ...

Beim letzten Satz sah Alec wütend auf, denn er stimmte schlichtweg nicht.

Er würde mit Freuden alles ertragen, was das Leben an Schmerz und Folter zu bieten hatte, nur damit Magnus verschont blieb. Er war nicht länger ein Fremder, ein Spielzeug. Er gehörte nunmal zum Kreis seiner engsten Vertrauten, seiner Herzensmenschen, und für deren Glück würde er alles tun.

Wieso wollte Magnus das nicht verstehen? Wieso wollte er nicht verstehen, dass er wichtig war? War er so ein guter Schauspieler, damit man es ihm einfach nicht ansehen konnte?

Als er ihn anblickte, zuckte Magnus nur die Schultern, als würde er seinen stummen Vorwurf einfach beiseite wischen. Seufzend wandte er sich wieder den Buchtsaben vor sich zu.

Zehn und eine NachtWhere stories live. Discover now